Ein Kegelbruder ist eigentlich ein recht harmloser Geselle. Meist aus dem Ländlich-Dörflichen. Etwas konservativ, traditionell, harmonisch und zielsicher, selbst nach dem zwölften Altbier. Manche der Vereine tragen lustige Namen wie „Pegelclub“ oder „Stramm am Tisch“. Klingt wie „Zu faul zum Tanzen“, gemütlich, halb-athletisch, eher trinksportlich. So auch das Image der Kegler: spießig wie das Wort Bundeskegelbahn. Doch ausgerechnet diese harmlosen Wesen standen monatelang im Fokus der deutsch-mallorquinischen Aufmerksamkeit.

Denn 13 ihrer Art sollen sich am Ballermann in Gremlins verwandelt, ein Restaurant abgefackelt und nebenbei einem Puffvater das darunterliegende Geschäft versaut haben. Schnell stand der Tatvorwurf der schweren Brandstiftung im Raum. Aber für den Mallorquiner war ganz egal, ob das Kegler, Ruderer oder Synchronschwimmer waren. Wichtig war die Nationalität. Typisch asoziale Deutsche. Klischee erfüllt. Die Bewegung Palma Beach warf kurz danach die Flinte ins Korn, gab den Kampf gegen den Sauftourismus frustriert auf. Das war etwas theatralisch.

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Gut drauf: So feiert man im Bierkönig auf Mallorca das Closing 2022

Als würde die Saison nie zu Ende gehen

Denn, bleiben wir noch kurz beim Ballsport, wäre Mallorca eine Kegelbahn, es müsste entzückt „Alle neune!“ rufen. Nie ließen mehr Urlauber mehr Geld auf der Insel als dieses Jahr. Und beim derzeitigen Wetter erscheint es so, als würde die Saison nie zu Ende gehen. Doch das ist kein Grund, glücklich zu sein für Hoteliers, Gastronomen, Politiker, Bürger. Zu laut, zu voll, zu teuer, zu asozial, zu viel Müll, zu wenig Niveau, zu wenig Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Vergessen scheinen die Zeiten, wo die Kegelbahn geschlossen war oder nur zu von der Politik festgelegten Zeiten öffnen durfte. Oder, um uns mal langsam vom Keglerlatein zu verabschieden, als Corona den Tourismus so gut wie lahmlegte. Als Urlauber, Journalist oder Leser fragt man sich da seit geraumer Zeit: Was wollen die eigentlich?

Es gab mal eine Zeit, da wollte Mallorca das neue, große Ibiza werden. Dann sollte es Las Vegas sein, dann wieder schließlich Miami Beach und wenn es nach dem Willen bestimmter Gastronomen geht, heißt jetzt das neue Ziel: Malle-Mykonos. Es ist schon spannend zu sehen, wie Mallorca versucht, sich selbst zu finden, aber dabei die eigene Identität und den Status verleugnet, als würde man sich zutiefst schämen, für das, was es hat. Gesucht werden die Anleihen stets im erfolgreichen Urlaubs-Ausland. Was die Mallorquiner dabei vergessen: Gerade die Deutschen wollen kein Malle-Mykonos, Ibiza, Miami oder Las Vegas. Sie wollen Mallorca in all seinen Facetten und mit all seinen Macken. Deshalb kommen sie. Sonst könnten sie auch in die Original-Destinationen fahren. Tun sie aber nicht. Zumindest nicht in dem Ausmaße, wie sie nach Mallorca kommen.

Immer mehr wollen auf Mallorca leben

Es ist schon leicht absurd, wenn man überlegt, dass die Balearen-Touristiker Anfang des Jahres noch fürchteten, dass der Tourismus erneut coronabedingt auf halber Strecke verreckt. Das Gegenteil ist passiert. Selbst jetzt, zum Ende der Saison, starten und landen täglich 700 Flieger auf dem Aeropuerto Son Sant Joan. Auch der Fährverkehr auf die Insel brummt: Nie sah man auf der Insel mehr frisch gewaschene SUVs, die mit ihren deutschen Kennzeichen die linke Spur der Stadtautobahn befüllen, nie wollten mehr Deutsche nach Mallorca ziehen und hier wohnen.

Die Ex-Aushängeschilder wie Boris Becker oder Claudia Schiffer sind zwar weg, Jürgen Klopp und Christian Ulmen dafür demnächst da und mit ihnen Tausende Deutsche, die gerade nach Energiesparmodellen auf Mallorca suchen. Der Winter in Deutschland wird schließlich teuer, da kann man den Jahreswechsel durchaus in einer zugigen Wohnung in Son Gotleu oder in der dritten Linie von Arenal verbringen. Hauptsache, Mallorca.

Der große Verlierer heißt Bierkönig

Doch es müssen weitere Abstriche gemacht werden. Die bitterste Meldung für die Fans: Das Wohnzimmer der Deutschen existiert nicht mehr. Als das galt über ein Jahrzehnt lang der Bierkönig. Jedes Wochenende reisten die Trinkerfreunde aus ganz Deutschland an, um die Tage am Tresen zu verbringen. Doch mittlerweile versprüht der Kultschuppen in der Schinkenstraße das Flair einer heruntergekommenen Provinz-Bahnhofsvorhalle, die seit Jahren nur noch oberflächlich instand gehalten wird.

Der Boden klebt, der Sound verursacht Kopfschmerzen, die Spüler verzichten auf eine Grundreinigung, die Security verlangt Austrittsgeld, die Klofrauen schlagen bei ausbleibendem Trinkgeld, und nicht wenige Gäste klagen nach dem Besuch über diverse Viren- und Bakterieninfektionen. Der Bierkönig hat in dieser Saison – und das unterscheidet ihn von Rest-Mallorca – wirklich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Und das muss man erst einmal schaffen.

Ob die Begeisterung im Winter bleibt?

Noch wenige Tage, dann ist die Urlaubssaison 2022 Geschichte. Vielerorts werden die Bürgersteige hochgeklappt, und dann herrscht erst einmal Ruhe. Eine Ruhe, die viele Neu-Auswanderer in den Wahnsinn treiben wird. Die Freude über die tolle Wohnung in Sant Elm währt nur kurz, wenn man feststellt, dass man dort im Winter fast der einzige Bewohner ist und niemanden findet, der mit einem die Fußball-WM guckt. Diese Sorgen müssen sich die 13 Kegelbrüder nicht mehr machen. Sie wurden mittlerweile alle aus der U-Haft entlassen und sind zurück bei ihren Familien im Münsterland.

Da ist es zwar kälter und ähnlich spannend wie im winterlichen Sant Elm, es hat aber den Vorteil, dass sich langsam der Mantel des Vergessens über diese verrückte Abfackel-Story legt. Neue, wahnwitzige Geschichten warten bereits auf uns in der kommenden Saison. Doch seien wir gewiss, dass das, was dieses Jahr so alles passiert ist, kaum zu steigern sein wird. Und das ist vielleicht zum Ende der Saison die beste Meldung.