Es war wieder einer der schlimmeren Tage für Alla Perenesii. Nachdem die nach Mallorca geflüchtete Ukrainerin an diesem Dienstag (19.4.) erfahren hatte, dass die russischen Truppen auch in der Gegend von Saporischja vorrücken, lag sie erst einmal weinend im Bett. In dem Ort im Süden der Ukraine lebt der Sohn der 60-Jährigen, und wenn sich die Kampfhandlungen ausweiten, dürfte auch der 31-jährige IT-Experte eingezogen werden.

Seit inzwischen rund drei Wochen lebt Perenesii auf Mallorca, aufgenommen hat sie die Deutsche Ali von Moltke, auf einer Finca bei Inca. „Während der ersten zwei, drei Tage fühlte ich mich hilflos ihrer Trauer gegenüber“, sagt die 53-jährige Fitnesstrainerin, „sie kam kaum aus ihrem Zimmer und hat wahnsinnig viel geweint.“ Bei jeder Frage nach ihrer Heimat oder ihrer Familie habe die Ukrainerin einen Heulkrampf bekommen. Inzwischen gibt es aber auch viele fröhliche Momente, auch an diesem Tag mit den schlechten Nachrichten aus der Ukraine. Die beiden Frauen stehen unter einem Orangenbaum auf der Finca, und als sie sich für das Zeitungsfoto anschauen sollen und dabei die Orangenblüten auf sie herabregnen, prusten sie plötzlich los. „Wie auf einem Hochzeitsfoto!“

Wechselbad der Gefühle

Dieses Wechselbad der Gefühle dürfte ziemlich repräsentativ sein für die Familien auf Mallorca, die in den vergangenen Wochen Ukrainer aufgenommen haben. Vor kurzem kamen 20 Gastfamilien und 40 Gäste von ihnen auf der Finca bei Inca zusammen, und die meisten wussten Ähnliches zu berichten: anfängliche Hilflosigkeit, viel Dankbarkeit, dann schnell Freundschaft. Der Austausch war so hilfreich, dass es bald weitere Treffen auf der Finca geben soll.

Helfer und Geflüchtete tauschten sich bei einem Treffen aus. | FOTO: ALEXANDER VON MOLTKE

Aufenthalts- und Arbeitsrecht

Wie viele aus dem Kriegsgebiet auf die Insel geflüchtet sind, lässt sich nur annähernd sagen. Die Vertretung der Zentralregierung auf den Balearen hat bislang 1.826 Anträge von Ukrainern auf sogenannte temporäre Hilfe registriert – die Personen erhalten ein zunächst auf ein Jahr begrenztes Aufenthalts- und Arbeitsrecht, werden in die staatliche Gesundheitsversorgung aufgenommen, die Kinder können eingeschult werden. Eine Sprecherin der Behörde weist aber darauf hin, dass einige Antragsteller schon vorher hier lebten und nicht alle Geflüchteten den Antrag stellten.

Neben der privaten Vermittlung in Gastfamilien gibt es mit dem Roten Kreuz auch eine staatlich beauftragte Hilfsorganisation auf den Balearen. Nachdem Ukrainer zunächst provisorisch im ehemaligen Covid-Hotel Bellver in Palma untergebracht waren, stehen derzeit drei offizielle Unterkünfte bereit, in denen ein mindestens einjähriger Aufenthalt garantiert sei, wie Sprecher Xavier Pozo erklärt – ein Hotel an der Playa de Palma, ein Bereich des Hospitals Sant Joan de Deu sowie Räumlichkeiten an der Schule La Salle. Mit 261 Geflüchteten seien derzeit alle verfügbaren Plätze belegt, hinzu kommen zwei Dutzend Notunterkünfte. Und auch die in Familien untergebrachten Ukrainer berate man bei den nötigen Behördengängen. Die Zahl der Antragsteller habe zuletzt leicht abgenommen.

Unterkünfte und Jobs gesucht

Dass in Kürze aber wieder mehr kommen werden, damit rechnet Paul Madden von der jetzt offiziell als wohltätig anerkannten Organisation „U R Mallorca“, in der sich auch von Moltke engagiert, vermittelt wurden bislang rund 150 Personen. Angesichts der neuen russischen Offensive dürften wieder mehr Menschen fliehen, so der Brite. Derzeit suche man nicht nur Unterkünfte, sondern wolle auch Jobs vermitteln. Gerade die Jüngeren sprächen Englisch und seien gut ausgebildet. Viele von ihnen dürften wohl letztendlich hierbleiben, im Gegensatz zur älteren Generation.

Alla Perenesii kann kein Englisch, Ali von Moltke kommuniziert mit ihr per App zur Spracherkennung: Klar und deutlich diktiert sie dem Handy eine einfache Frage, die Ukrainerin hört sich die automatische Übersetzung in ihrer Muttersprache an und antwortet. Das System habe sich eingespielt und sogar seine Vorteile, so die Deutsche: Man unterhalte sich besonders konzentriert, „manchmal sitzen wir drei Stunden mit diesem Ding und reden“.

Beschäftigen ja, Putzhilfe nein

Ansonsten geht Alla Perenesii im Haushalt zur Hand, hilft bei der Wäsche, erntet Orangen, führt den Hund aus. Sie habe das in den ersten Tagen von sich aus angeboten, ihr Gast sei ja nicht als Putzkraft eingestellt, sagt Ali von Moltke. Die Deutsche hat zwar Erfahrung mit Flüchtlingshilfe. Sie war bereits drei Mal in Frankreich, um dort Bootsflüchtlingen zu helfen, diesen Sommer wollte sie in Griechenland mit anpacken. Doch das hier sei jetzt anders: Die Ukrainer wurden im Gegensatz zu den Afrikanern aus einem funktionierenden Alltag gerissen, der Krieg mit seiner tödlichen Gefahr für die Angehörigen in der Heimat hängt wie ein permanenter Schatten über allem.  Ihre Herangehensweise: Sie warte erst einmal Signale ab und versuche, einfach da zu sein, statt ihren Gast mit Fragen und Fürsorge zu bedrängen. Hier eine Geste, dort eine feste Umarmung, der Rest ergebe sich dann von selbst.

Von Moltke rät jedem Helfer, sich im Vorfeld genau zu überlegen, wie man helfen könne, wer zu einem passe und dies den Vermittlern auch klar zu kommunizieren. Als Veganerin ist sie etwa froh, dass ihr Gast Vegetarierin ist. „Das war eine große Sorge, dass dann Teile von Tieren in meinem Kühlschrank sind.“ Und Perenesii ihrerseits freut sich, dass sie in einer Familie gelandet ist, in der gesundes Essen und Bewegung großgeschrieben werden. Sie hat schon einmal in ihrer Gastfamilie angefragt, ob sie später zu Besuch kommen dürfe, wenn der Krieg irgendwann vorbei ist.

Flüchtlingshilfe

Die Landesregierung hat Infos für Helfer auf einer Website (Span.) gebündelt: bit.ly/govern-ukraine

voluntariat@dgptv.caib.es


U R Mallorca (Englisch)

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