Die Ukraine widersteht vorerst, für die meisten Beobachter unerwartet, dem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieg. Währenddessen hat der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj in zahlreichen Ansprachen per Videoschalte an die Volksvertreter der Welt für Unterstützung für sein Land geworben. Am vergangenen Dienstag (5.4.) war das spanische Parlament an der Reihe.

Vor einer außergewöhnlichen Sitzung der Cortes Generales, der Vertreter des Unterhauses und des Senats, formulierte der Präsident der Ukraine einen bewegenden Aufruf. Wie bei seinen vorherigen Auftritten hatte die Botschaft einen direkten Bezug auf die Geschichte des Landes. Vor dem Bundestag erinnerte Selenskyj an die Mauer, im britischen Parlament zitierte er Winston Churchill. Vor der Kammer in Madrid spannte er wenig überraschend einen Bogen zum Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939), und das am Tag, nachdem die Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha die Weltöffentlichkeit erschüttert hatten.

Als wären wir im April 1937

„Stellen Sie sich vor, dass europäische Bürger heutzutage Wochen im Keller verbringen müssen, um sich vor der Bombardierung mit Raketen zu schützen. Wir sind im April 2022, aber es scheint, als wären wir im April 1937, als die ganze Welt den Namen einer spanischen Stadt kennenlernte: Gernika“, so Selenskyj. Am 26. April 1937 legten Kampfbomber der von Hitler entsandten Legion Condor und der italienischen Legionärsluftwaffe von Mussolini die kleine, symbolträchtige baskische Stadt in Schutt und Asche.

Der brutale Angriff zugunsten der aufständischen Truppen von General Francisco Franco gegen die Spanische Republik gilt bis heute als Symbol der Vergehen an der Zivilbevölkerung, verewigt in „Guernica“, dem weltbekannten Großgemälde von Pablo Picasso.

Sanktionen und Waffenlieferungen

Selenskyj bat die spanischen Parlamentarier um Unterstützung in Form von mehr Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen. In seiner Rede hätte er auch das Zögern der westlichen Mächte im Bürgerkrieg ansprechen können. Denn Großbritannien und Frankreich wollten der Republik nicht zu Hilfe kommen, um einen Konflikt mit Hitler-Deutschland zu vermeiden. Das verhinderte letztlich jedoch nicht den Zweiten Weltkrieg.

Spaniens Premier Pedro Sánchez versprach in seiner Antwort vor dem Parlament weitere Waffenlieferungen. Vor der Sondersitzung hatte die Regierung mehrere russische Diplomaten ausgewiesen, mit Ausnahme des Botschafters. „Die Hoffnung Europas liegt heute auf der Ukraine“, so Sánchez. Der sozialistische Regierungschef unterstrich zudem die Hilfsbereitschaft Spaniens bei der Aufnahme von Geflüchteten. Dafür werden gerade vier große Aufnahmelager eingerichtet.

Bei der Besichtigung eines dieser Zentren in Alicante vergangene Woche hatte Sánchez eine andere Parallele zur Geschichte seines Landes gezogen: „Wir sind stolz darauf, dass die öffentlichen Institutionen heute die Bereitschaft der Spanier für den Frieden und die Verbundenheit zu einem Volk repräsentieren, das leidet wie wir damals zu Zeiten des Bürgerkriegs und der langen Nacht der Diktatur.“

Ort und Datum waren kein Zufall. Sánchez sprach am Vorabend des 1. April, dem Tag, an dem vor 83 Jahren der Bürgerkrieg offiziell endete. In Alicante spielten sich in jenen Tagen jedoch noch dramatische Szenen ab. Tausende Flüchtlinge strömten hierher in der Hoffnung, per Schiff vor den Nationalisten flüchten zu können. Den letzte Ausweg bot das britischen Dampfschiff „Stanbrook“, das am 28. März 1939 fast 2.700 Menschen aus dem Hafen abholte. Die verbliebenen rund 15.000 Flüchtlinge, die auf den Docks zusammengepfercht waren, erlebten dann, dass kein weiteres Schiff mehr den Weg in den Hafen von Alicante zur Rettung wagte. Viele begingen Selbstmord, der Rest fiel den Franco-Truppen in die Hände.

Abgeordnete aller Parteien applaudierten

Die Ansprache Selenskyjs im altehrwürdigen Congreso de los Diputados sorgte für Bilder der Einigkeit, wie es sie in der stark polarisierten spanischen Politik selten zu sehen gibt. Abgeordnete aller Parteien applaudierten stehend dem Ukrainer, und auch Sánchez bekam für seine Rede mehr Zuspruch als gewohnt. Doch es gab auch Ausnahmen. Eine Handvoll Abgeordneter linker Parteien, auch vom Koalitionspartner der Sozialisten, dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP), verweigerten Selenskyj den Beifall, darunter Enrique Santiago, Staatssekretär im Sozialministerium und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens, die Teil von UP ist. Sie werfen dem ukrainischen Präsidenten vor, die Opposition im eigenen Land zu unterdrücken.

Auch am rechten Rand gab es Misstöne. Santiago Abascal, Vorsitzender der rechtsextremen Vox, störte sich am Beispiel Gernika. Selenskyj hätte besser das Massaker der republikanischen Truppen, den „Vorgängern von Putin“, in Paracuellos del Járama erwähnen sollen.

Zwischen all den geschichtlichen Vergleichen wagte Premier Sánchez aber auch einen Blick auf den Ausgang des Krieges in Osteuropa. „Die Geschichte Spaniens hat gezeigt, dass am Ende immer die Demokratie und die Freiheit siegen.“