Wer einen Mallorca-Wanderführer aufschlägt, dem werden Routen auf dem Erzherzogsweg über Valldemossa, auf die Halbinsel La Victòria bei Alcúdia oder zum Kloster Lluc im Herzen der Tramuntana vorgeschlagen. Ganz anders bei einem neuen Büchlein. Die Autoren von „Els camins de Palma, volum segon“, dem zweiten Band von „Die Wege Palmas“, starten ihre Touren an Bushaltestellen am Stadtrand, an der Landstraße der Balearen-Uni, an der Plaça Gomila nahe dem Paseo Marítimo. Es geht durch Ortsstraßen, vorbei an Friedhöfen oder dem städtischen Autodepot Son Toells – um dann doch noch meist innerhalb der Grenzen der Gemeinde Palma in der Idylle zu landen.

Die Autoren sprechen von der Dialektik des urbanen und des ländlichen Raumes – wenn man so will eine Fortsetzung der Trennung, wie sie Palmas Stadtmauer einst schuf. „Es sind Gebiete, die sich Palma mit der Zeit einverleibt hat“, sagt Wanderautor Joan Carles Palos, der das Buch auf Katalanisch zusammen mit dem Historiker Bartomeu Carrió verfasst hat. Es sind aber auch Ausläufer der Kulturlandschaft der Tramuntana mit zahlreichen Zeugnissen ihrer einstigen Bewirtschaftung.

Kleine Siedlungen, die zu Stadtvierteln wurden

Ging es im ersten, vor zwei Jahren erschienenen Band um den östlichen Hinterhof der Balearen-Hauptstadt, gelegen zwischen der Playa de Palma und der Gemeinde Marratxí, erkunden die Autoren nun im zweiten Band die Gegend nördlich und westlich von Palma. Hier befanden sich kleine Siedlungen rund um Kirchen oder Klöster, die dann zu Stadtvierteln oder Vororten anwuchsen – das Kloster La Real, Son Sardina, sa Indioteria, verbunden durch den Camí dels Reis. Und weiter westlich dann der Stadtwald Bellver und die Serra de na Burguesa.

Weinanbau bei Son Malloll, in der Nähe des Parcbit nördlich von Palma, im Hintergund der Puig Gros. | FOTOS: VERLAG LLEONARD MUNTANER

Jede der zwölf beschriebenen Routen kombiniert detaillierte Wegbeschreibungen und Karten mit Hintergrundinformationen. Der Leser erfährt, wie die früheren Ländereien der Gefolgschaft von Erobererkönig Jaume I. aufgeteilt wurden und woher die Ortsnamen rühren. Von Gènova etwa, benannt nach der aus dem italienischen Genua herangeschafften Schmuggelware, oder Indioteria, wo früher Truthähne (indiots) gezüchtet wurden. Immer spielt das Wasser eine wichtige Rolle. Musste es im Pla de Sant Jordi östlich von Palma aus dem Boden gefördert werden, gelangte es im Nordwesten vor allem aus den Bergen in den Großraum Palma und über Bewässerungsleitungen bis in die Stadt.

Es geht um Höhlen, in denen früher Gips abgebaut wurde, etwa im „Vall de Silenci“, dem Tal des Schweigens im Gebiet von Son Quint, oder den Coves del Pilar auf dem Weg zum Puig dels Revells, die nach dem Willen ihres Besitzers Josep Ventayol Sureda in den 1930er-Jahren touristisch erschlossen werden sollten, was sich aber als nicht rentabel erwies. Es geht um frühere Straßenbahnlinien, Getreidemühlen oder Fabriken wie Can Ribas in Son Sardina – die in der Textilfabrik arbeitenden Frauen wurden fabricantes genannt. Und es geht um die Menschen, die hier einst lebten – oder hier begraben wurden. Der Friedhof von Sa Vileta hätte Material für ein eigenes Buch geliefert, meint Mitautor Carrió.

Sie sind ein eingespieltes Team: Wanderautor Joan Carles Palos (li.) und Historiker Bartomeu Carrió.

Gerade der Parkplatz an dem Friedhof ist Eingangstor zu einer Landschaft mit anspruchsvollen Routen, einem Wegenetz, das über die Hügel von Na Burguesa bis Calvià reicht und mit dem Puig Gros de Bendinat in knapp 500 Meter Höhe Panoramablicke auf die Südwestküste ermöglicht. Die Lieblingsroute der Autoren ist denn auch ein Weg von Gènova über den Coll des Pastors und an den Ruinen von s’Alzamora vorbei – hier ist der Ausblick besonders toll – bis zum Dorf Calvià. Auch wenn man auf diesem Weg ein kurzes Stück kraxeln oder auf dem Hintern rutschen müsse und generell viele Abschnitte nicht instand gehalten sind, seien alle beschriebenen Routen gut zu meistern. Man sollte aber in jedem Fall das Buch im Rucksack dabei haben – Wegweiser sind fast immer die Ausnahme.

Der Wanderführer zeigt unbekannte Orte, die näher sind als man denkt.

Wer das Umland Palmas ein wenig kennt, kann sich über die Beschreibung von selbst schon erkundeten Details freuen – eine steile Rampe hinter dem Friedhof von Gènova, ein Autowrack im Wald am Coll des Vent, eine Ruine am Coll de Son Marill, die früher eine Herberge auf dem Weg vom Umland nach Palma war –, aber durchaus auch neue Abzweigungen entdecken. Und für wen das Gebiet Neuland ist, der taucht ein in eine neue Welt.

Was das Buch vor allem von anderen Führern unterscheidet, ist die Perspektive der Autoren. Jede Route ist eine Reise in die Vergangenheit sowie der Versuch, das kulturelle Erbe und die Identität einer jeden Gegend vor dem Vergessen zu bewahren. Zwischen den Zeilen liest man Kritik an der Zersiedelung heraus, gerade im Gebiet Son Quint und Son Vida, auch an der Trägheit der Behörden beim Schutz der Landschaft und der Instandhaltung der Wege. Palos beschreibt diese als eine Art räumlicher Dimension der Historie. „Jeder Weg ist wie eine Seite im Geschichtsbuch. Ihr Verlust ist so, als ob man Bücher verbrennt.“