Wenn Poléle Fall an der Werkbank steht, ist sie in ihrem Element. Sie legt sich das Maßband um den Hals, nimmt den bunten Stoff in die Hand und setzt sich an die Nähmaschine. Jede Bewegung ist im Fluss. Vieles hat sich im Laufe von Falls Leben verändert. Doch Nähen war schon immer ein Teil davon.

Fall wurde vor 41 Jahren in Pikine geboren, der bevölkerungsreichsten Stadt Senegals. Sie war die jüngste von acht Geschwistern. Ihre vier älteren Schwestern kümmerten sich um sie, als ihre Mutter starb. Fall war damals nur elf Jahre alt, neun Jahre später starb auch ihr Vater. Fall lernte nach der Schule das Schneidern. Mit 20 Jahren traf sie auf einer Feier dann den Mann, den sie drei Jahre später heiratete. Bald bekam das Paar eine Tochter.

Allein mit der Tochter im Senegal

Weil es im Senegal nur wenig Arbeit gab, beschloss ihr Mann, nach Europa zu gehen. Sie war also allein mit ihrer kleinen Tochter, arbeitete in Nähwerkstätten und vermisste ihren Mann. In insgesamt acht Jahren sah Fall ihn nur bei drei Heimatbesuchen. Während einem seiner Besuche wurde sie schwanger, bekam einen Sohn. Fall erzählt ihre Geschichte etwas nervös. Sie ist es nicht gewohnt, allein so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Weil ihr Spanisch noch eher rudimentär ist, ist es schwierig, auf Details einzugehen. Ihre Antworten beschränken sich oft auf ein „Ja“ oder ein „Nein“. Dem schiebt sie dann ein unsicheres Lächeln hinterher, sie möchte auf keinen Fall unhöflich sein. Auch auf ihre Gefühle geht sie nicht zu sehr ein. War die Zeit allein im Senegal schwer? „Ja.“ Unsicheres Lächeln.

2016 hatte Falls Mann die Papiere, um seine Familie nachzuholen. Seitdem ist die Senegalesin in Palma. Fall erzählt, dass ihre Kinder Spanisch bereits besser sprechen als ihre Muttersprache. „Als ich in Senegal Urlaub gemacht habe, hat mein zehnjähriger Sohn kaum etwas verstanden“, sagt sie. Die Menschen dort hätten das kritisiert. Aber ihre Kinder seien viele Stunden in der Schule. Da komme die Muttersprache zu kurz.

Die Senegalesin Poléle Fall in der Caritas-Schneiderei Koluté.

Die Senegalesin Poléle Fall in der Caritas-Schneiderei Koluté. Nele Bendgens

Weil sie nach ihrer Ankunft auf Mallorca wieder schwanger wurde und sich dann um drei Kinder kümmerte, suchte sich Fall zunächst keinen Job. Ihr Mann verdient als Bauarbeiter genug, um die Familie zu ernähren. „Jetzt, wo die Kleine sechs Jahre alt ist, wollte ich wieder selbst arbeiten“, sagt Fall. Aber wo anfangen nach so vielen Jahren Pause, wo sie doch nie in diesem Land gearbeitet hatte? Fall hatte Glück und kam vor etwa einem Monat zur Koluté-Gruppe von Caritas.

Das Projekt entstand 2012, um Menschen aus dem Senegal eine Alternative zur Arbeit als Straßenhändler zu bieten. Aus afrikanischen Stoffen nähen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Kleider, Hosen und Röcke im westlichen Stil. Den Schnitt dazu entwirft die Designerin Ainhoa de la Iglesia. Fall schneidert also wieder. Allerdings ist Koluté nur für einen Übergang gedacht. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen ihr Handwerk und werden über Praktika an den Arbeitsmarkt vermittelt. Aktuell ist Fall tatsächlich die einzige Senegalesin, denn über die Jahre hat sich das Projekt entwickelt und soll generell benachteiligten Personen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen.

Chance auf eine Ausbildung

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Fall, die zwar erfahrene Näherin ist, aber seit vielen Jahren nicht gearbeitet hat, trifft hier beispielsweise auf die Nigerianerin Faith Ogbebar, die erst seit drei Monaten Nähen lernt. Ogbebar ist 30 Jahre alt und hat vier Kinder. Sie hat noch nie als etwas anderes als Hausfrau und Mutter gearbeitet. Für die Nigerianerin war das Caritas-Programm eine Chance, überhaupt eine Ausbildung zu bekommen. Sie ist von dem Projekt begeistert. „Auch in Nigeria wollen Frauen das Handwerk lernen, aber dort geht das nur, wenn man das Geld dazu hat“, sagt sie.

Unter Anweisung der Designerin machen die beiden Frauen mit acht weiteren Nähern aus seidigen Stoffen luftige und bunte Kleidungsstücke. Lernen sollen sie dabei mehr als „nur“ nähen: Ainhoa de la Iglesia erzählt, dass sie und die Sozialarbeiter den Teilnehmern nebenbei auch Informationen zu Themen wie Umweltschutz, Internetnutzung und Selbstbestimmung mitgeben. Für Menschen wie Fall ist es eine Chance, in dem neuen Land Freundschaften zu knüpfen und auch Spanisch zu lernen. Die Senegalesin ist insgesamt glücklich darüber, auf Mallorca zu leben. Auf die Frage warum, antwortet sie ausnahmsweise mit mehr als einem Wort: „Der Mann, den ich liebe, ist hier. Alles andere ist egal.“