Mallorca Zeitung

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Der Co.net-Untergang aus der deutschen Perspektive

Die Verbrauchergenossenschaft kommt aus Drochtersen, einer Gemeinde mit 11.500 Einwohnern in Niedersachsen. Eine Kollegin der dortigen Regionalzeitung „Stader Tageblatt“ erläutert die Hintergründe

Zeitgleich: die Razzia in Cala Ratjada ... BIEL CAPÓ

Diese Lawine reißt jetzt alle mit. Von den aktuell knapp 4.000 Genossenschaftsmitgliedern, der Gemeinde Drochtersen bis hin zu den Beschäftigten der Co.net-Ferienimmobilien in Spanien. Und natürlich Thomas Limberg, Co.net-Mitbegründer und eine zentrale Figur in diesem Wirtschaftsskandal.

Begonnen hat alles ganz klein, im Jahr 2001 mit der Gründung der Verbrauchergenossenschaft in Drochtersen. In den Anfängen sollen ein Einkaufsrabattsystem und der Betrieb eines Servicerechenzentrums für Banken und Industrie in Deutschland für Einnahmen sorgen. Co.net wirbt mit jährlichen Ausschüttungen von bis zu zehn Prozent.

2014 gründet Limberg eine neue Sparte in der Co.net-Gruppe: Co.net Holiday. Das Geld wird vor allem in Ferienimmobilien in Spanien angelegt. 2018 ist das Co.net-Ferienhaus-Portfolio auf Mallorca auf knapp 60 Immobilien angewachsen, darunter Hotels, Apartments und Ferienhäuser. Limberg sucht das Rampenlicht, die Verbrauchergenossenschaft entwickelt sich im Osten der Ferieninsel zu einem wichtigen Arbeitgeber.

... und die im niedersächsischen Drochtersen. | FOTO: BJÖRN VASEL

Erster Warnschuss schon 2014

Doch schon im Gründungsjahr der Sparte Co.net Holiday gibt es die ersten negativen Schlagzeilen. Die Stiftung Warentest warnt 2014 erstmals vor Anlagen bei Co.net. Wegen unklarer wirtschaftlicher Verhältnisse wird die Genossenschaft auf die Geldanlagen-Warnliste gesetzt. 2015 folgt erneut eine Warnung für Anleger. 2019 rückt die Verbrauchergenossenschaft in den Blick der Aufsicht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) untersagt Co.net Ende 2019, eigene Genossenschaftsanteile öffentlich anzubieten.

Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 gerät die Co.net-Lawine ins Rutschen. Wegen der Einschränkungen mit Lockdowns gibt es starke Einnahme-Einbrüche bei den Ferienimmobilien. Die beiden Co.net-Jahresergebnisse 2020 und 2021 weisen laut Handelsregister Fehlbeträge aus: 2020 waren es etwa 4,7 Millionen Euro, 2021 rund 2,5 Millionen Euro. Dennoch plant Co.net im Jahr 2020, für 9,5 Millionen Euro ein Fünfeinhalb-Sterne-Hotel in Canyamel zu errichten.

Millionen-Schulden

Schon damals hat Co.net Liquiditätsprobleme – und keine Rücklagen. Die Gewerbesteuer-Rückstände, die bei der Gemeinde Drochtersen aufgelaufen sind, betragen 2021 mindestens 1,4 Millionen Euro. Diese Zahl wird im Protokoll der Co.net-Generalversammlung 2022 genannt. Weitere 1,8 Millionen Euro sind laut Protokoll beim Finanzamt Stade fällig. Außerdem gibt es Probleme bei der Rückzahlung von Genossenschaftseinlagen. Im Laufe des Jahres 2022 lässt die Gemeinde Drochtersen eine Zwangssicherungshypothek auf den Firmensitz der Co.net am Nindorfer Deichfeld eintragen. Mehrere Mitglieder der Genossenschaft klagen gegen Co.net. Anfang 2023 laufen am Landgericht Stade mehrere Verfahren.

Bei der Generalversammlung der Genossenschaft Ende November 2022 hatten Vorstand und Aufsichtsrat empfohlen, das Hotel Paradise in Cala Ratjada für etwa neun Millionen Euro zu verkaufen. Damit sollten Schulden beglichen werden. Damals hieß es, Gespräche mit mehreren Investoren über einen Verkauf des Hotels Paradise würden geführt – verkauft ist es bis heute nicht.

Zwangsversteigerung im März

Das Drama nimmt seinen Lauf: Ende September/Anfang Oktober 2023 steht die Verbrauchergenossenschaft zwei Wochen lang unter vorläufiger Insolvenzverwaltung. Anfang Januar dieses Jahres wird erneut ein Insolvenzantrag gegen Co.net gestellt. Später stellt auch die Gemeinde Drochtersen einen. Für den 7. März wird eine Zwangsversteigerung des Firmensitzes am Nindorfer Deichfeld beim Amtsgericht Stade festgesetzt.

Ebenfalls im Januar taucht plötzlich ein neuer Mitspieler auf: Der Verein Igenos, nach eigenen Angaben eine bundesweite Interessenvertretung von Genossenschaftsmitgliedern, lädt zu einer informativen Mitgliederversammlung im Fährhaus Kirschenland in Jork. Die Versammlung mit mehr als 200 Mitgliedern wird von mehreren Security-Leuten bewacht. Auch Thomas Limberg ist anwesend. Etliche Teilnehmer machen ihrem Ärger Luft – unter anderem wegen Intransparenz. Viele haben Geld als Altersvorsorge in der Genossenschaft angelegt. Igenos wirbt für eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft.

Die zweite Insolvenz

Am 15. Februar ordnet das Amtsgericht Stade erneut eine vorläufige Insolvenzverwaltung für Co.net an. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wird der Bremer Rechtsanwalt Dr. Malte Köster eingesetzt. Was die Öffentlichkeit an jenem Donnerstag nicht ahnt: Es kommt noch dicker – viel dicker.

Bei der länderübergreifenden Großrazzia am vergangenen Freitag stürmen Polizisten die Co.net-Firmenzentrale in Drochtersen. Zeitgleich sichern Polizisten in Stade, Neu Wulmstorf, im polnischen Lodz, in Barcelona und auf Mallorca weitere Beweise. Es gibt zwölf Beschuldigte. Ein Mann wird vorläufig festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt Bremervörde gebracht.

Die Polizeidirektion Lüneburg will weder bestätigen noch dementieren, dass es sich dabei um Thomas Limberg handelt. Es werden zahlreiche Konten im In- und Ausland eingefroren und mehrere Immobilien beschlagnahmt. Eine international vernetzte Tätergruppierung soll professionell Genossenschaftsgelder veruntreut haben. Einer der Hauptbeschuldigten soll Angehöriger einer örtlichen Clanfamilie sein.

Clankriminalität „überrascht“

Rechtsanwalt Dr. Johannes Bender von der Düsseldorfer Fachkanzlei Bender und Pfitzmann, die nach eigenen Angaben rund 250 Mandanten in Sachen Co.net vertritt, begrüßt die Razzia: „Dadurch sind wichtige Unterlagen gesichert worden. Das ist förderlich, um Erkenntnisse zu gewinnen.“ Das sei bisher nicht immer einfach gewesen. Dass auch Clankriminalität dahinterstehe, komme „total überraschend“. Das könne aber auch ein Grund dafür sein, warum das Hotel Paradise nicht verkauft wurde, mutmaßt Bender.

Auch Drochtersens CDU-Fraktionschef Hannes Hatecke und SPD-Fraktionschef Kai Schildt äußerten sich überrascht angesichts der Großrazzia und des Hintergrunds der Clan-Kriminalität. Schildt befürchtet, die anhaltenden Ermittlungen könnten das vorläufige Insolvenzverfahren nun zeitlich deutlich verzögern. „Die Razzia bei Co.net führt aus heutiger Sicht nicht zu Verzögerungen im vorläufigen Insolvenzverfahren“, sagt hingegen Meike Ostrowski von der vorläufigen Insolvenzverwaltung Willmerköster in Bremen. „Wir kooperieren eng mit den Ermittlungsbehörden.“

Drochtersens FWG-Fraktionschef Cornelius van Lessen, der die Gemeinde immer wieder drängte, Zahlungen von Co.net einzutreiben, sagt: „Mich wundert, dass es so spät passiert ist.“ Er wirft der Gemeinde vor, fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie angesichts ausstehender Steuerzahlungen von Co.net nicht frühzeitig und ordnungsgemäß vollstreckt habe, so wie es die Abgabenverordnung vorsehe.

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