Dieser Schulbus bricht mit sämtlichen Kindheitsvorstellungen. Kein in die Jahre gekommenes Gefährt, mit muffigen Teenagern und einem schlecht gelaunten Fahrer. Schon von außen lädt der US-amerikanische „School Bus“ zum Einsteigen ein. Für Alessandra und Sandor sind es acht Quadratmeter, die Heimat bedeuten.

Bloß der Fahrersitz verweist noch auf den ursprünglichen Zustand

An diesem Donnerstag steht ihr Bus in einer kleinen Bucht nahe Cala Llombards. Umrandet von den Weiten der tiefblauen Mittelmeerküste ist das knallgelbe Gefährt kaum zu übersehen. Die Fahrertür öffnen nicht nur Alessandra und Sandor, sondern auch Bloodhound Tyson und Mischlingshündin Zoé. Gemeinsam erkunden sie seit fast einem Jahr Europa, seit ein paar Wochen Mallorca.

Im Inneren verweist bloß der Fahrersitz auf den ursprünglichen Zustand. Zur Linken eine moderne Küchenzeile mit dunkelbraunem Holz, rechts eine gemütliche Ledercouch mit Kaminofen. Den brauche es, denn der Bus habe im Gegensatz zu anderen mobilen Wohnungen keine Doppelverglasung. Dafür sorgen die vielen Fenster für ein helles Ambiente. Eine Durchgangstür führt zum kleinen Bad mit Dusche und einem Büro, welches am Abend durch kleinere Handgriffe in ein Schlafzimmer umgebaut wird. Auf dem Dach befinden sich vier Solarpanels.

Sandor (li.) im Gespräch mit MZ-Mitarbeiter Daniel Jacob. | FOTO: NELE BENDGENS

Eigentlich sollte es die Doppelhaushälfte im Neubaugebiet werden

Die Idee für ein neues Lebensmodell sei im November 2020 gereift, erinnern sich beide. Corona fesselte sie über zwei Wochen an die Couch. Eigentlich wollten sie die Quarantäne dafür nutzen, die Pläne fürs Eigenheim voranzutreiben. Für das Paar, das 2019 geheiratet hatte, der nächste Schritt einer Bilderbuchbeziehung. Gute Gründe, nach einer geeigneten Immobilie nahe ihrer fränkischen Heimat zu suchen, gab es. Freunde und Familie, die Fußballleidenschaft im Verein, die Sonntagnachmittage auf dem Rasen, das Kartenspielen in der Kneipe.

Doch die Pandemie nahm ihnen diese Ankerpunkte. Auch die Arbeit der beiden verlagerte sich in die heimischen vier Wände. „Ob man nun in Nürnberg oder Spanien sitzt, das macht dann auch keinen Unterschied mehr“, so Sandor. Kurzum: Die Doppelhaushälfte im Neubaugebiet mit Rollrasen und Weber-Grill „fühlte sich plötzlich nicht mehr so richtig an“, sagt der 33-Jährige.

Ein Raumwunder für 30.000 Euro

Sie begannen intensiv zu recherchieren, wie man ein anderes Lebensmodell umsetzen könnte. Die beiden stehen bereits mitten im Berufsleben, brauchten also ein Zuhause, welches Wohnen und Arbeiten trennen kann und den beiden Vierbeinern ausreichend Platz bietet. Zwei triftige Gründe, die dazu führten, dass man sich letztlich in einen US-Schulbus verguckte, „weil die Maße einfach super sind und weil es auch irgendwie Style hat“, sagt Alessandra. Über eine Firma in Deutschland importierten sie einen Schulbus, der nur wenige Jahre gefahren worden war, Kostenpunkt: 30.000 Euro.

Sie ließen ihn nach ihrem Gusto umrichten, auch weil sich beide weitestgehend als handwerklich talentfrei beschreiben. Eingerichtet haben sie ihr neues Zuhause dann aber doch selbst, allen voran Alessandra. Beruflich gestaltet die 28-Jährige Inneneinrichtungen von möbliert vermieteten Immobilien. Ein Job, den man mittlerweile bequem mit dem Laptop verrichten kann. Ebenso flexibel ist Sandor als selbstständiger IT-Projektmanager, der seinen Feierabend gern an der Angel oder auf dem Surfbrett ausklingen lässt.

Die Polizei brachte frische Äpfel vorbei

Die beiden fahren nicht die ganze Zeit umher, stellen ihr Leben auch gern mal ein paar Tage auf Halt, mal in der schönen Bucht oder auch auf dem Supermarkt-Parkplatz. Überall erregt der Schulbus Aufmerksamkeit. „Männer über 50 wollen immer den Motor sehen“, berichtet Alessandra. Auch die Polizei schaue ab und an vorbei, bislang ohne Probleme zu machen. Einmal brachte ein Polizist am Tag nach der Kontrolle sogar frische Äpfel aus dem eigenen Garten vorbei.

Alessandra und Sandor haben ihr Leben um 104 Quadratmeter verkleinert. In ihrer Altbauwohnung war das Ankleidezimmer fast so groß wie die gesamte Wohnfläche des Busses. Sie haben insgesamt 15 Kleidersäcke verschenkt, die noch vorhandene Garderobe passt nun in eine Schublade. Das Verkleinern war „ein Fremdscham-Moment. Was hat mich da über Jahre geritten, so viel Zeug zu kaufen? Es war, glaube ich, nicht mal exzessiv, sondern einfach der Standard, aber der ist so unfassbar hoch“, sagt Alessandra.

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Wie wenig es neben einer stabilen Beziehung und quirligen Vierbeinern braucht, um Glück zu erfahren, sei wohl die größte Erkenntnis des vergangenen Jahres. Sie vermisse zwar eine Spülmaschine, sagt Alessandra. „Der Fokus verändert sich aber. In unserem Freundeskreis wird gebaut, gekauft, verschuldet, man legt sich etwas mehr fest. Wir können uns so etwas auch vorstellen, müssen es aber noch nicht und das fühlt sich gerade besonders an.“

Im Sommer geht es erst mal wieder zurück nach Deutschland. „Mal wieder mit Freunden Fußball spielen oder abends ein Bier trinken.“ Das bleibe, so Sandor, beim Leben von Haltepunkt zu Haltepunkt auf der Strecke. Über ein Ende ihres Ausbruchs wollen die beiden im Moment noch nicht nachdenken. Dass ein Leben auf acht Quadratmetern so viel zu bieten hat, scheint sie auch in den Tagen auf Mallorca immer noch zu überwältigen.