Der steile und steinige Pfad schlängelt sich hoch über Bendinat zwischen Bäumen und Büschen immer weiter hinauf. Im Rücken geht über der Bucht von Palma die Sonne auf und wirft ein warmes Licht auf die Betonsäule, die sich vor der Kulisse der westlichen Tramuntana abzeichnet. Sie markiert den höchsten Punkt des Puig Gros de Bendinat in genau 485,766 Metern über dem Meeresspiegel.

Sie mögen keine Ausgeburt von Schönheit sein, aber trotzdem erfreut sich jeder Ausflüger ihres Anblicks. Denn wer die Betonsäule endlich ausmacht, der hat nach einer meist anstrengenden Tour endlich den Gipfel erreicht. Auch der Name für die Markierung des höchsten Punkts einer Erhebung ist nicht unbedingt wohlklingend, offenbar in keiner Sprache: Sie heißt vértice geodésico, auf Katalanisch vèrtex geodèsic, auf Deutsch trigonometrischer Punkt (TP) oder auch Triangulationspunkt.

Gipfelkreuz“ wäre als Name für die Markierungen natürlich einfacher, aber zum einen stehen nur auf einigen wenigen Bergspitzen Mallorcas tatsächlich Kreuze – beispielsweise auf dem Santuari de Sant Salvador bei Felanitx –, zum anderen sind die Standorte der vèrtexs geodèsics in keiner Weise auf Berge beschränkt, weswegen auch Hoch- und Bodenpunkte unterschieden werden.

Keine Gimmicks für Wanderer

Immerhin 78 der insgesamt 154 Betonsäulen markieren Gipfel auf Mallorca. Dazu muss man wissen: Die TP sind keine Gimmicks für Wanderer und andere Freizeitsportler, sondern Fixpunkte der Landesvermessung. Sie bilden mit ihren Koordinaten eine wichtige Grundlage für die Kartografie und Geodäsie, also die Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche.

Und auch wenn ihre Struktur heute vielen Ausflüglern ganz praktisch dazu dient, etwa den mitgebrachten Proviant auszubreiten oder auf dem Quader oder der Säule für ein Erinnerungs- oder Beweisfoto zu posieren, wurde der in der Regel 120 Zentimeter hohe Zylinder mit seinen 30 Zentimetern Durchmesser eigentlich dafür konzipiert, Vermessungsgeräte darauf zu positionieren. Unterschieden werden vèrtexs geodèsics erster Ordnung, sie gehen auf eine erste Phase des Ausbaus ab dem Jahr 1852 zurück, und solche zweiter und dritter Ordnung, die ab den 1930er-Jahren das Netz vervollständigten, das heute spanienweit mehr als 11.000 Standorte umfasst.

Namenschaos

Dieses organische Wachstum hat jedoch ein rechtes Chaos bei der Namensgebung zur Folge, wie die Geografin Maria Eulàlia Fons Carbonell in einer Studie zu den balearischen vèrtexs geodèsics festgestellt hat. Mallorquinische und spanische Bezeichungen wie Schreibweisen sind dabei bunt durcheinandergewürfelt, Artikel und Akzente falsch verwendet. Fons Carbonell hat in ihrer Studie Vorschläge für eine „Normalisierung“ der Bezeichnungen gemacht – ihre offizielle Übernahme dürfte angesichts der unterschiedlichen Zuständigkeiten aber noch eine Weile dauern.

Neben dem Namen ist jeder Standort aber auch mit einer eigenen Nummer im Online-Verzeichnis des Spanischen Geografischen Instituts eingetragen (ign.es, siehe „actividades“ und „geodesía“, Direktlink). Registerkarten enthalten die jeweiligen Koordinaten, Orts- und Zufahrts- oder Zugangsbeschreibung sowie auch ein Foto. Darauf erkennt man, wie beispielsweise im Fall des vèrtex geodèsic auf dem Puig Gros de Bendinat aus dem Jahr 1984, dass die Betonstrukturen ursprünglich weiß angestrichen waren. Die Plakette an jedem Standort mag darauf hinweisen, dass die Beschädigung und Zerstörung der geografischen Markierung „gesetzlich bestraft“ wird. Doch die Witterung, der diese Orte ausgesetzt sind, hält sich nicht an diese behördliche Warnung.

Der „vèrtex geodèsic“ auf dem Puig Gros de Bendinat in gut 486 Meter Höhe über dem Meeresspiegel: Blick auf die Bucht von Palma. Frank Feldmeier

Standort Talaiot

Neben den Gipfeln von Bergen und Hügeln, auf die auf allen vier Inseln in etwa die Hälfte der 217 Standorte entfällt, stehen die Markierungen darüber hinaus häufig auf dem Gelände landwirtschaftlicher Betriebe (23 Prozent) sowie in Ortschaften (6,5 Prozent). Dahinter folgen Gebäude, Kaps, Umweltschutzgebiete oder auch Inselchen vor der Küste. Es gibt vèrtexs geodèsics auf dem Puig Tomir, auf Cabrera vor Colònia de Sant Jordi, auf dem Castell Bellver, am Cap Enderrocat, auf der Halbinsel sa Mola oder auf dem Eiland sa Galera vor Can Pastilla.

Am weitesten ging die pragmatische Vorgehensweise der spanischen Geografen im Fall des Talaiot de Torelló auf der Nachbarinsel Menorca. Auf dem heute geschützten, prähistorischen Turmbau wurde – neben Signallichtern für den Flughafen von Menorca – ebenfalls ein vèrtex geodèsic installiert, nach Protesten aber schließlich im Jahr 2013 durch eine kleinere und somit diskretere Version ersetzt.