Wohnungen, Verkehr, Vorzeigeprojekte - der neue Bürgermeister von Palma im Interview

Jaime Martínez über die Großprojekte seiner Amtszeit, Mittel gegen Wohnungsnot und Verkehrschaos sowie zur Frage, wie viele Kreuzfahrtschiffe und Urlauber gut sind für die Stadt

Jaime Martínez: „Eine lebenswerte Stadt ist eine besuchenswerte Stadt.“  | FOTO: GUILLEM BOSCH

Jaime Martínez: „Eine lebenswerte Stadt ist eine besuchenswerte Stadt.“ | FOTO: GUILLEM BOSCH / F. Feldmeier, C. Krauthausen

Architekt, Kunstsammler, Geschichtsfan – Jaime Martínez hat viele Leidenschaften, für die er in den kommenden vier Jahren an der Spitze der Stadtverwaltung von Palma aber wenig Zeit haben dürfte. Der Politiker der konservativen Volkspartei (Palma, 1971) hat nach den Kommunalwahlen vom Mai den Sozialisten José Hila als Bürgermeister abgelöst und führt eine Minderheitsregierung an. Nach seiner Zeit als balearischer Tourismusminister von 2013 bis 2015 in der Regierung Bauzá sitzt der Familienvater mit drei Kindern jetzt wieder an den Schalthebeln der Macht.

Bei Regierungwechseln entsteht hier immer der Eindruck einer Hü-und-hott-Politik – viele Entscheidungen werden wieder zurückgenommen. Was hat die linke Vorgängerregierung gut gemacht, wo gibt es Kontinuität?

Mir fällt schwer, da etwas Positives zu benennen. Beispiel Tourismus: Die Branche wurde verteufelt, an der Playa de Palma müssen wir dringend in Sachen Sauberkeit oder Sicherheit tätig werden. Beispiel Innovation: Der Distrikt Nou Llevant ist immer noch nicht am Start.

Die öffentliche Verwaltung ist langsam, das Problem der Playa komplex. Noch einmal: Was hat funktioniert, wo Sie ansetzen können?

Natürlich behalten wir bei, was funktioniert. In zentralen Bereichen wie Sauberkeit, Sicherheit, Wohnungspolitik oder Mobilität aber besteht dringender Handlungsbedarf. Palma war zum Regierungswechsel die schmutzigste Stadt in ganz Spanien, bei der Unsicherheit belegen wir den dritten Platz.

Gebäude in Son Busquets

Gebäude in Son Busquets / DM

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Thema Wohnungspolitik. Wo sollen die geplanten Sozialwohnungen entstehen?

Kurzfristig wollen wir die Umwandlung von Ladenlokalen in Wohnraum erleichtern, auch die Teilung bestehender Wohnungen in kleinere Einheiten für Kleinfamilien. Eigentümer unbewohnter Immobilien sollen mehr Rechtssicherheit für die Vermietung erhalten. Langfristig planen wir Projekte für sozialen Wohnungsbau. Auf öffentlichem Grund, den wir nicht für kommunale Infrastruktur brauchen, sollen im Rahmen von Konzessionen Mietwohnungen mit gedeckelten Preisen entstehen. Und dann wäre da das frühere Kasernengelände Son Busquets. Da wurde viel angekündigt, es gibt aber nichts Offizielles. Ich hoffe, dass wir bis September eine Einigung mit der Zentralregierung zur Abtretung erzielen.

Eine Enteignung des derzeit brachliegenden Geländes in Palmas Norden ist vom Tisch?

Wenn wir innerhalb von 100 Tagen keine Einigung erreichen, muss Son Busquets enteignet werden, im Interesse der Bürger von Palma. Das Thema zieht sich jetzt schon zehn Jahre hin.

Eine Straßenbahn wäre keine Lösung für Palma, im Gegenteil.

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Ist das Projekt vor allem deswegen ein Problem, weil in erster Linie Sozialwohnungen angekündigt sind – ein „Ghetto“, wie kritisiert wurde?

Es gibt sehr unterschiedliche Modelle staatlichen Wohnungsbaus, und wir wollen uns nicht auf ein einziges beschränken. Sozialen Wohnungsbau brauchen wir übrigens in allen Vierteln, sei es bei privaten Bauprojekten oder in öffentlichen wie Son Busquets.

Ob mit Tempo 80 oder 120: Die Ringautobahn von Palma sieht häufig so aus.   | FOTO: MANU MIELNIEZUK

Ob mit Tempo 80 oder 120: Die Ringautobahn von Palma sieht häufig so aus. | FOTO: MANU MIELNIEZUK / johannes krayer

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Thema Verkehrspolitik. Wie sieht Ihre Vision für Palma in, sagen wir, 15 bis 20 Jahren aus?

Ich denke, es gibt in Europa einen Konsens, dass die Flotte der Fahrzeuge immer nachhaltiger werden muss, dass wir Niedrigemissionszonen brauchen sowie einen grünen und effizienten öffentlichen Nahverkehr. Eine Straßenbahn wäre keine Lösung für Palma, im Gegenteil.

Warum?

Auf dem Innenstadtring würde sie mehr Probleme verursachen als lösen. Für die Strecke vom Zentrum zum Airport gibt es nicht genügend Nachfrage. Stadtbusse reichen aus.

Sind Sie schon einmal mit dem Bus zum Flughafen gefahren?

Ja. Er braucht 15 Minuten, bei der Straßenbahn, die 240 Millionen Euro kosten würde, wären es 30 Minuten. Wir haben auch abgesehen von 20 Millionen Euro keine schriftlichen Zusicherungen für eine staatliche Finanzierung von angeblich 185 Millionen Euro. Statt einer Straßenbahn brauchen wir Park-and-ride-Angebote sowie einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr. Mit dem Geld sollten wir lieber die gesamte Busflotte elektrifizieren, die Frequenzen erhöhen und falls nötig eine Busspur zum Flughafen ausweisen. Mit der Straßenbahn würden wir zwei Fahrspuren und viele Parkplätze verlieren.

Sie wollen möglichst keine Pkw-Fahrspuren preisgeben. Verkehrsexperten sind sich einig, dass man – neben dem Ausbau des ÖPNV – das Angebot für Autofahrer unattraktiver machen muss. Der private Pkw ist für Sie unantastbar?

Wir müssen Politik für alle Bürger machen, egal in welchem Verkehrsmittel. Das gebietet das Allgemeininteresse.

Sie teilen also nicht die Expertenansicht?

Natürlich müssen wir einen effizienten öffentlichen Nahverkehr fördern. Das wird dazu führen, dass weniger Auto gefahren wird. Das Ziel ist dasselbe, ich bin aber gegen Verbote.

Stichwort Fahrradwege. Sie haben angekündigt, welche verschwinden sollen – auf der Plaça d’Espanya, im Carrer Blanquerna. Aber wo in Palma sollen neue entstehen?

Wir haben einen Mobilitätsplan von 2022, der aber nicht mit uns abgestimmt wurde. Für unseren Mobilitätsplan von 2014 gab es sehr wohl einen Konsens, da müssen wir wieder hin. Und dieser Plan muss selbstverständlich Wege für Fahrradfahrer und E-Roller beinhalten, und zwar räumlich getrennt von Gehwegen. Das Konzept ist nun Sache der Sachbearbeiter.

Wenn die Fahrräder nicht auf dem Gehweg fahren sollen, müssen Sie doch den Autofahrern eine Spur wegnehmen?

Oder Parkplätze. Aber um das umzusetzen, muss man vielleicht erst Tiefgaragen anlegen.

Wann wollen Sie das Konzept vorlegen?

Wir regieren erst seit sechs Wochen. Sicher können wir auf bisherigen Plänen aufbauen, wir müssen aber auf einen Konsens hinarbeiten.

Wird es also in dieser Legislaturperiode neue Fahrradwege geben?

Ich habe die beiden Mobilitätspläne nicht verglichen. Wenn wir aber neue Erschließungsprojekte wie Son Busquets angehen, wird es dort logischerweise neue Fahrradwege geben.

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Wie steht es um die Restaurierung des Baluard del Príncep an der historischen Stadtmauer?

Die Bauarbeiten sind ausgesetzt, ich glaube seit einem Jahr. Das Projekt liegt in der Verantwortung der Zentralregierung, es gibt Probleme wegen der Insolvenz der Baufirma und gestiegener Materialkosten. Wir machen Druck.

Was ist mit der Plaça Major?

Dieses Projekt muss schnell in Schwung kommen. Im September oder Oktober wollen wir es ausschreiben. Dabei geht es nicht nur um eine Lösung für die leer stehenden Ladenlokale unter dem Platz, sondern auch um die Straßenzüge, die hier münden. Wir brauchen eine homogene Lösung für diesen zentralen Ort. Geplant ist auch ein Besucherzentrum, das die Geschichte Palmas erklärt. Besucher und Einheimische können nach der Besichtigung dann von dort aus auf vorgeschlagenen Routen die Stadt erkunden.

Nach dem Vorbild des Castell Bellver?

Die Burg ist eine spektakuläre Sehenswürdigkeit, aber kein idealer Ausstellungsort. Das Projekt der Plaça Major sehen wir in Verbindung mit neuen Technologien und einer Öffnung des früheren Eisenbahntunnels und der dortigen Luftschutzbunker. Die Plaça Major soll ein großer Wurf werden und Palma aufwerten.

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Im Gesa-Gebäude planen Sie ein Museum?

Wir sind in Gesprächen mit Endesa, dem Eigentümer, um das Gebäude wieder für die Bürger zu öffnen, nachdem es 15 Jahre sich selbst überlassen wurde. Denkbar ist ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, unter der Regie einer bekannten Museumsmarke. Der erste Stock soll eine Stadtbücherei werden, auf weiteren Etagen sind Ausstellungen denkbar.

Eine Frage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist: Braucht Palma mehr Kreuzfahrtschiffe?

Palma braucht eine Küstenpromenade, mit der sich die Ankunft der Kreuzfahrtgäste leichter steuern lässt. Das derzeitige Projekt zur Verschönerung des Paseo Marítimo, das die Hafenbehörde vorantreibt, greift zu kurz. Derzeit betreten alle Passagiere die Stadt im Bereich der Kathedrale. Das ist ein Fehler. Auf dem vier Kilometer langen Paseo Marítimo ließen sich attraktive Zugänge zur Stadt mit sportlichen oder kulturellen Angeboten anlegen. Die Kreuzfahrtschiffe haben gute und schlechte Aspekte. Es geht weniger um die Zahl der Passagiere als um die Verbesserung der Situation.

Auf der Basis der jetzigen Zahl der Schiffe oder einer möglichen künftigen Steigerung?

Es geht nicht nur um die Zahl. Manche Kreuzfahrtschiffe verschmutzen die Umwelt mehr als andere. Welchen Effekt haben sie auf die lokale Wirtschaft? Wie lassen sich die negativen Aspekte kompensieren?

Gilt das auch für die Overtourism-Debatte – alles letztendlich eine Frage der Koordination?

In der Hochsaison verdoppelt sich die Zahl der Menschen auf der Insel. Das hat natürlich Konsequenzen, etwa wenn die Leute an regnerischen Tagen in die Stadt strömen. Wenn wir aber die Infrastruktur verbessern, können wir dem Gefühl der Überfüllung entgegenwirken.

Mehr Infrastruktur, um noch mehr Urlauber empfangen zu können?

Ich spreche eher von konsolidieren. Die Frage ist, ob wir das wollen oder ob es weniger Urlauber sein sollen. Was ich kritisiere, ist die Doppelmoral der vergangenen Jahre. Die Zahl der Gästebetten, vor allem in der Ferienvermietung, ist in acht Jahren stärker gestiegen als zuvor in 30 Jahren. Gleichzeitig wurde der Tourismus verteufelt. Wir sollten weniger über Quantität und mehr über Qualität sprechen. Ich denke da in erster Linie an die Einwohner. Eine lebenswerte Stadt ist eine besuchenswerte Stadt. Und die nötigen Limits gibt es bereits. Wir haben 5.000 illegale Ferienwohnungen, dagegen werden wir mit Inspektionen vorgehen.

Hitze auf Mallorca: Wenn die Sonne auf die Playa de Palma knallt

Hitze auf Mallorca: Wenn die Sonne auf die Playa de Palma knallt / Clara Margais/dpa

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Thema Playa de Palma. Warum geht es dort, anders als in Magaluf, nicht voran?

Beides sind reife Urlaubsgegenden, in denen die Privatwirtschaft bedeutende Investitionen getätigt hat. Das ist eine erste Stufe. Was fehlt an der Playa de Palma? In den vergangenen Jahren wurde nichts in die öffentliche Infrastruktur, in die Sauberkeit, in die Sicherheit investiert. Die öffentliche Verwaltung muss ihren Aufgaben nachkommen.

Was planen Sie für Investitionen?

Wir müssen vieles in Angriff nehmen, Bereiche der Promenade, die Parallelstraße dahinter. Wir haben aber noch kein konkretes Projekt auf dem Tisch und müssen auch noch die Regierungsbildung in Spanien abwarten. Mit einem Ministerpräsidenten Feijóo käme ein Programm zur Modernisierung aller reifen Tourismuszonen in Gang, die Playa de Palma wäre ein Pilotprojekt.

Die Zukunft der Playa de Palma hängt also von der Regierungsbildung in Madrid ab?

Nein, aber es gibt eine Zusage für ein Pilotprojekt mit immenser Investitionssumme. Wenn Sánchez regiert, müssen wir das anders stemmen. Wir wollen auch kulturelle und sportliche Events an der Playa de Palma, damit diese nicht nur wie eine Urlauberhochburg, sondern wie ein Stadtviertel wahrgenommen wird.

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