Fangquoten, Kritik an Schleppnetzen: Wie eng wird es für Mallorcas Fischer?

Die EU senkt die Fangquoten erneut – lässt aber zugleich Schlupflöcher zu. Die Fischer fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt

Nur noch 30 Boote gibt es rund um die Balearen, die noch auf die Schleppnetzfischerei setzen. Trotzdem macht ihr Fang 70 Prozent der Gesamtmenge der Berufsfischer aus.

Nur noch 30 Boote gibt es rund um die Balearen, die noch auf die Schleppnetzfischerei setzen. Trotzdem macht ihr Fang 70 Prozent der Gesamtmenge der Berufsfischer aus. / BERNARDO ARZAYUS

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Wenn Domingo Bonnín auf die Schleppnetzfischerei angesprochen wird, geht der alte und neue Präsident der balearischen Berufsfischer automatisch zuerst in den Verteidigungs- und dann in den Angriffsmodus über. Zu oft musste sich der Ende November wiedergewählte Vorsitzende bereits für eine von Meeresschützern heftig kritisierte Fangmethode rechtfertigen. „Die Schleppnetzfischerei hat keinerlei negative Auswirkungen, wenn dort gefischt wird, wo es erlaubt ist“, sagt Bonnín. Und das sei selbstverständlich außerhalb von Meeresschutzgebieten. „Ist es etwa schlecht, wenn man die Erde mit einem Traktor umpflügt?“, fragt er bewusst provokativ.

Nichts anderes tue ja das Schleppnetz, das den Meeresboden umgrabe. Schädlich sei das nicht, weil die Fischer diese Methode nur auf sandigem und schlammigem Untergrund einsetzten. „Würden wir das an den Felsen machen, wären die teuren Netze schnell zerstört.“ Außerdem sei die Berufsfischerei – die einen Großteil ihrer Fänge auf den Balearen dem Schleppnetz verdankt – heute derart überwacht, dass sowieso niemand in Meeresschutzgebiete einfahren könne, ohne dass das sofort auf einer Kontroll-App nachvollziehbar sei. Die Strafen, die es dann hagele, könne sich kein Fischer leisten.

Und überhaupt seien die Berufsfischer im westlichen Mittelmeer ohnehin bald nicht mehr überlebensfähig. Schließlich streiche die EU Jahr für Jahr die Tage, an denen die Fischer hinausfahren dürfen, weiter zusammen. So zuletzt beim Treffen des Rates für Landwirtschaft und Fischerei am Montag (11.12.) und Dienstag in Brüssel: Die zuständigen Minister vereinbarten eine erneute Reduzierung um 9,5 Prozent für 2024.

„Nicht nachhaltig“

Das ist der richtige Weg, findet dagegen die Meeresbiologin Silvia García von der Meeresschutzorganisation Oceana im Gespräch mit der MZ: „Noch immer auf Schleppnetzfischerei zu setzen, ist weder nachhaltig noch vermittelbar.“ Dass die Fischer ihre Fangmethode verteidigen und behaupten, sie sei für den Meeresboden sogar positiv, hält García zwar für nachvollziehbar, aber falsch.

Laut einer aktuellen Studie von Oceana, die García mitverantwortet hat, gehört etwa der Kanal von Menorca zwischen Mallorca und der kleineren Nachbarinsel im Nordosten zu einem der Orte im Mittelmeer, in dem am meisten Bewegungen der Schleppnetzfischer gezählt wurden. Laut der Studie fischten im Jahr 2022 drei von vier Schleppnetzschiffen in geschützten Gebieten im Mittelmeer.

Mit dem Schleppnetz gefangen: Fische auf einem Boot vor Mallorca.

Mit dem Schleppnetz gefangen: Fische auf einem Boot vor Mallorca. / Bernardo Arzayus

Gravierende Folgen für die Meere

Das sei zwar per se nicht verboten, wenn es außerhalb von Meeresschutzgebieten, den reservas marinas, geschehe, allerdings seien die Folgen verheerend: Gefährdete Arten wie Schildkröten, Tiefseehaie, aber auch Schwämme oder Unterwasserpflanzen würden durch die Schleppnetzfischerei in Mitleidenschaft gezogen. Auch beschleunige die Schleppnetzfischerei den Klimawandel, weil durch das Aufwirbeln des Meeresbodens große Mengen von Kohle, die der Meeresgrund in gesundem Zustand speichert, freigesetzt werden.

Das Problem etwa im Kanal von Menorca sei, dass die Netze nicht nur über Sand und Schlamm gezogen würden, sondern auch über hochsensiblen Untergrund, auf dem zahlreiche Korallenarten beheimatet seien. „Das sind Lebensräume, die von weichen roten Algen geformt wurden, die Korallen ähnlich sehen. Diese Algen bilden kleine Riffe, auf die zahlreiche Tierarten als Unterschlupf oder auch als Jagdgründe angewiesen sind“, erklärt García.

Allein für 2022 schätzte Oceana für die Schleppnetzfischerei im Kanal von Menorca rund 4.811 Fischereistunden. 17 Boote seien in diesem Gebiet im Einsatz gewesen. Damit liegt der Kanal von Menorca spanienweit an dritter Stelle, was die gefischten Stunden mit Schleppnetz angeht. Besonders dramatisch ist die Situation aus Sicht von Oceana im Gebiet Seco de los Olivos nahe Almería in Andalusien. Dort wurden 31.129 Stunden und 57 Boote gezählt.

Wo bleibt der effektive Schutz?

Ein Teil des Kanals von Menorca sei sehr wohl für die Schleppnetzfischerei gesperrt, sagt García. Doch ein nicht unerheblicher Teil ist für die Fischer frei zugänglich. „Hier sehen wir tatsächlich nicht unbedingt die Fischer in der Pflicht, sondern vor allem die Politik“, appelliert García an die spanische Zentralregierung.

Von Madrid aus spüren die Meeresschützer häufig eine noch stärkere Blockadehaltung als von den Fischern selbst. „Die Berufsfischer sind ja die ersten, die darunter leiden, wenn Lebensraum zerstört oder einzelne Arten überfischt werden. Es ist die Politik, speziell in Spanien, die viel zu wenig tut“, sagt García. Der Kanal von Menorca sei ein gutes Beispiel. „Die Gebiete, die zum sogenannten Red Natura 2000 gehören, darunter der Kanal von Menorca, sollten eigentlich seit knapp 30 Jahren geschützt sein.“ Das spanische Umweltministerium stoße aber bei den Schutzversuchen immer wieder auf frontalen Widerstand anderer Ministerien, etwa des Landwirtschaftsministeriums.

Harte Verhandlungen

Dessen Vertreter Luis Planas zeigte sich auch bei den Verhandlungen über die Fangquoten dieser Tage in Brüssel unnachgiebig. Spanien wehrte sich dort gemeinsam mit Frankreich und Italien heftig gegen die Pläne der EU, die Fangquoten im westlichen Mittelmeer einmal mehr deutlich zu senken. Bereits 2019 hatte die EU beschlossen, bis 2024 die Anzahl der Tage, an denen gefischt werden darf, im westlichen Mittelmeer um 40 Prozent zu senken – so dramatisch war damals die Lage bei einigen der Fischbestände.

Landwirtschaftsminister Luis Planas.

Landwirtschaftsminister Luis Planas beim Rat in Brüssel. / Alberto Ortega/EP

Nun wurde in Brüssel zwar die zuvor abgesprochene Absenkung der Fangtage für 2024 um einmal mehr 9,5 Prozent beschlossen, allerdings setzten die drei Mittelmeer-Anrainer mehrere Ausnahmen durch. So können Fischer durch freiwillige Maßnahmen, wie eine sorgfältigere Auswahl bei den gefangenen Fischen – sprich keine Jungfische – bis zu sechs Prozent mehr Fangtage ansetzen. Landwirtschaftsminister Planas feierte die Einigung in Brüssel, die beispielsweise den Flotten im Atlantik eine deutliche Erhöhung der Fangquoten gestattet, gerade beim beliebten Seehecht (merluza).

„Nicht mehr rentabel“

Die Fischer auf den Inseln verweisen indes darauf, dass die Situation rund um die Balearen eine ganz andere sei als im Atlantik. Hier gebe es keine Notwendigkeit, die Fangtage so deutlich herunterzuschrauben. „Es gibt rund um die Balearen inzwischen nur noch 30 Schleppnetzboote, auf mehr als 1.400 Küstenkilometern. Vor dem spanischen Festland kommen auf diese Fläche 440 Boote“, rechnet Domingo Bonnín vor. „Das ist doch eine lächerliche Anzahl, über die wir hier auf den Inseln reden.“ Auch die Größe der Schiffe sei nicht vergleichbar. „Unsere größten sind 16 Meter lang, das ist kleiner als die kleinsten der Festland-Flotten.“

Unter diesen Umständen die Fangquoten weiter zu senken, sei existenzgefährdend, warnt der ehemalige Generalsekretär der Berufsfischer-Vereinigung, Antoni Garau. Die Schleppnetzfischer auf den Balearen dürften derzeit im Schnitt 3,3 Tage hinausfahren. Nach der erneuten Absenkung der Quoten seien es womöglich nur noch drei Tage. „Bei noch weniger Tagen ist die Fischerei nicht mehr rentabel“, sagte Garau gegenüber dem „Diario de Mallorca“.

Fangquoten zeigen Wirkung

Den Fischern kommt bei ihrer Argumentation eine Studie der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) gerade recht, laut der sich die Bestände im Mittelmeer im vergangenen Jahr stark erholt haben. Das lässt sogar die Experten bei Oceana stutzen. Den bei der NGO für das Thema Überfischung zuständigen Javier López erreicht die MZ in Brüssel, wo der Spanier bei den Gesprächen der EU dabei war. „Diese Zahlen waren wirklich sehr überraschend für uns“, gibt er zu.

Üblicherweise sei das Mittelmeer nach dem Pazifik das Meer mit den größten Problemen der Überfischung. „Hier waren in den vergangenen Jahren immer 70 bis 80 Prozent der Arten überfischt“, sagt López. In der jüngsten Studie kommt die FAO „nur noch“ auf 56 Prozent. Eine Erholung von rund 15 Prozentpunkten innerhalb eines Jahres hält López für sehr erstaunlich, aber möglich. Der Oceana-Experte schiebt den Erfolg auf das seit 2019 laufende Programm zur Reduzierung der Fangquoten. „Wir sehen hier wohl erste Auswirkungen, die stärker sind, als wir das zu hoffen gewagt hatten.“

Einen 30-minütigen Dokumentarfilm über die Arbeit der mallorquinischen Schleppnetzfischer finden Sie hier (auf Spanisch).

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