Unablässig verändern sich die Zahlen auf der Anzeigetafel an der Zapfsäule, steigen weiter und weiter. Erst als der Tank voll ist, kommen sie zum Stehen. Jetzt fehlt nur noch die Abrechnung. Rund 95 Euro muss man am Mittwoch (16.3.) im Schnitt auf Mallorca für eine 50-Liter-Benzin-Tankfüllung hinblättern – 10 Euro mehr als eine Woche zuvor. Auch im Supermarkt steigen die Preise, einige Lebensmittel sind mittlerweile doppelt so teuer wie noch im vergangenen Herbst. Ganz zu schweigen von den Stromkosten. Die Inflation in Spanien liegt bei 7,6 Prozent – dem höchsten Wert seit 1986. Und: „Eine Besserung ist nicht in Sicht“, meint der führende Wirtschaftsexperte der Balearen-Universität, Antoni Riera.

Problem ist nicht die Versorgung

Riera ist niemand, der unnötige Panik schürt, auch jetzt nicht, als die MZ mit ihm über die wirtschaftlichen Probleme spricht, denen sich ganz Europa und auch Mallorca ausgesetzt sieht. Über die Konsumenten, die bei hysterischen Hamsterkäufen Ende vergangener Woche vielerorts die Supermärkte vorübergehend leer kauften, kann er nur den Kopf schütteln. „So etwas ist unnötig und kontraproduktiv. Die Versorgung ist ja gar nicht gefährdet, solange alle ihr Kaufverhalten nicht drastisch ändern“, so der Experte. Die WhatsApp-Nachricht eines angeblichen Transporteurs, die auf der Insel viral ging und die Menschen dazu antrieb, sich die Einkaufswagen panisch vollzupacken, hatte das Gegenteil beschworen. „Wir werden Palma und alle Dörfer blockieren. Also sagt allen Bescheid, weil es im Mercadona kein Essen mehr geben wird, bis die Spritpreise nicht sinken“, hieß es in der Sprachnachricht, von der sich der balearische Transportfahrerverband FEBT sogleich distanzierte.

„Nein, es werden in keinem Moment flächendeckend Produkte des täglichen Bedarfs fehlen“, hält auch Bartolomé Servera, der Vorsitzende der Vereinigung von Lebensmittellieferanten auf den Balearen, entgegen. „Wir garantieren, dass sowohl Supermärkte als auch Restaurants, Bars und Hotels weiterhin ihre Bestellungen geliefert bekommen, und abgesehen von ausgewählten Produkten wird auch weiterhin nichts fehlen.“ Hamsterkäufe seien nicht angebracht, Sorge um Inflation aber schon. „Die Preise steigen immer weiter, und da werden bereits Schmerzgrenzen überschritten“, sagt Servera.

Zum Vergleich: Milch kostete noch im November durchschnittlich 82 Cent pro Liter. Am 8. März lag der Preis laut der spanischen Supermarktvereinigung ANGED bereits bei 1,22 Euro. Ein Kilo Schweinefleisch war im November für 3,90 Euro zu haben und kostet jetzt 6,95 Euro. Der Kilopreis für Reis stieg von 1,20 auf 2,20 Euro.

Auch Wirtschaftswissenschaftler Antoni Riera machen diese Entwicklungen Sorgen. „Wir befinden uns in einer Inflationsspirale und laufen ernsthafte Gefahr, in eine tiefgreifende Stagflation zu rutschen.“ Das wäre der Fall, wenn die Preise weiter steigen, das Wirtschaftswachstum aber nicht. Die Folgen seien dann sowohl für Unternehmer als auch für Privatleute schwerwiegend. „Eine Stagflation hat Konsequenzen für wohlhabende Sparer, aber auch für Menschen, die Kredite abbezahlen müssen“, so der Ökonom. Und für Geringverdiener sowieso. Denn einfach gesagt werde eben alles immer teurer und das Einkommen verliere an Wert. Wenn man – wie die balearische Verbraucherzentrale Consubal in einer Studie Anfang des Jahres – annehme, dass eine vierköpfige Familie auf den Balearen rund 1.560 Euro im Monat benötige, um alle Lebenshaltungskosten zu decken, so dürfte diese Ziffer bei gleichbleibendem Einkommen schon in Kürze ungleich höher ausfallen. „Wenn die Politik da nicht gegensteuert, wird es schwerwiegende soziale Auswirkungen haben“, so Riera.

Abhängig von Außen

Eigentlich, so der Ökonom, war man angesichts der steigenden Rohstoffpreise durch Lieferengpässe im globalen Handel im vergangenen Herbst noch davon ausgegangen, dass spätestens ab Anfang April Schluss sein werde mit den Preissteigerungen. Doch damals herrschte noch kein Krieg. „Die Invasion in der Ukraine verändert alles, und solange der Krieg nicht beendet ist, ist auch nicht abzusehen, wann sich die wirtschaftliche Lage bessert.“

Consubal-Vorsitzender Alfonso Rodríguez schätzt die Lage ähnlich ein. „Das Problem ist, dass es kurzfristig keine Lösung gibt“, so der Verbraucherschützer. Selbst wenn sich Putin doch noch zurückziehen würde – die Auswirkungen der Krise würden dennoch über Monate weiter zu spüren sein. „Hier auf den Balearen hängen wir aufgrund der Insellage extrem von außen ab. Wird der Transport teurer, so wirkt sich das in zweierlei Hinsicht auf die Endverbraucherpreise vieler Produkte hier aus.“

Aufschrei der Branchen

Dass nicht nur die privaten Endverbraucher unter den Preissteigerungen leiden, liegt auf der Hand. Das Problem beeinträchtigt sämtliche Wirtschaftsbranchen. Allen voran diejenigen, die auf die teuren Kraftstoffe angewiesen sind. „Wir zahlen etwa doppelt so viel für Treibstoff wie Anfang des Jahres und fast drei Mal so viel wie Ende 2021. Bei den Preisen lohnt es sich für uns praktisch gar nicht mehr auszulaufen“, klagt Toni Garau, Generalsekretär der balearischen Fischerzunft. Gemeinsam forderten die Mitglieder der großen spanischen Fischereiverbände die Politik vergangene Woche auf, „umgehend Lösungen zu suchen“, um die Fischer zu unterstützen. Auf den Balearen, so Garau, leide man doppelt unter den hohen Kraftstoffpreisen, da die Transportwege für den verkauften Fang zum Festland hinzukämen.

Ganz ähnlich auch die Situation der Taxifahrer auf Mallorca. Bei den aktuellen Spritpreisen bleibe ihnen keine andere Möglichkeit, als die Fahrpreise anzuheben. „Entweder die Politik stemmt die Mehrkosten, oder wir müssen sie auf die Kunden abwälzen“, so Biel Moragues, Vorsitzender der Vereinigung selbstständiger Taxifahrer auf Mallorca. Das Problem: Viele Gäste seien einfach nicht bereit, so viel Geld für die Taxifahrt auszugeben. Schon jetzt sei mit Taxis kaum noch Geld zu verdienen, Moragues pocht daher auf Steuersenkungen.

Direkthilfen für Unternehmen

Ähnliche Forderungen an die Politik hat auch der Zusammenschluss balearischer Transporteure (FEBT). Zwar sprach sich der Branchenverband zunächst klar gegen einen landesweiten Streik und Straßenblockaden aus, dem einige Lastwagenfahrer am Montag (14.3.) mit einer Art Bummelstreik in und um Palma dann doch zumindest teilweise folgten. „Unmittelbare“ und „umfassende“ Hilfen für den Transportsektor aber seien in Form einer Senkung der Kraftstoffsteuern unabdingbar, heißt es in einer Pressemitteilung. Genau das also, was die FDP in Deutschland unter dem Schlagwort „Spritpreisbremse“ erreichen möchte.

Doch genau wie die SPD in Deutschland sind auch die regierenden Sozialisten in Spanien der Meinung, dass Steuersenkungen weder wirtschaftlich noch umwelttechnisch vertretbare Lösungen seien. „Ich bin stattdessen für Direkthilfen an die Unternehmen, sei es für Warentransporte oder für den Vertrieb von Gütern zwischen den Inseln“, sagte die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol am Sonntag (13.3.) auf einem Sondertreffen der spanischen Ministerpräsidenten. Damit stärkt sie ihrem Parteikollegen Pedro Sánchez den Rücken. „Das Transportwesen auf den Balearen liegt uns sehr am Herzen, deshalb wird es angesichts der hohen Spritkosten einen Maßnahmenkatalog geben“, versprach Armengol – ohne weiter ins Detail zu gehen.

Strom teurer denn je

Und dann sind da noch die Strompreise, die schon seit Monaten steigen und durch den Ukraine-Krieg in noch größere Höhen getrieben werden. Die spanischen Ministerpräsidenten sprachen sich bei ihrem Treffen mehrheitlich dafür aus, die Gaspreise von den Energiepreisen zu entkoppeln, damit sie nicht weiter die Stromrechnung bestimmen. Zahlreiche Experten teilen diese Ansicht, auch in der Bevölkerung dürfte eine entsprechende Umstellung des spanischen Strompreissystems auf Unterstützung stoßen. Ganz anders als der Twitter-Aufruf des spanischen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell an alle Mitgliedsstaaten und deren Bürger, die „Nabelschnur“ zu Russland zu kappen und weniger Strom zu verbrauchen. „Wir sollen die Heizung ausstellen und frieren, nur weil die Politik es seit Jahren nicht schafft, sich energetisch von Russland unabhängig zu machen?“, fragen empörte Mallorquiner bei einer Straßenumfrage der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“.

Immerhin kommt die Balearen-Universität der Aufforderung aus Brüssel nach – wenn auch aus rein finanziellen Gründen. Ab sofort ist pünktlich zum Frühlingsbeginn die Klimatisierung auf dem Campus untersagt. Weil es sich die Hochschule schlicht nicht mehr leisten kann, die Stromrechnung zu bezahlen. Statt wie noch im Jahr 2020 rund eine Million Euro könnten die Kosten 2022 mit etwa sechs Millionen Euro zu Buche schlagen – fast fünf Prozent des Gesamtbudgets der Hochschule, so der Rektor Jaume Carot.

Wirtschaftswissenschaftler Antoni Riera, der fortan selbst in seinem Büro an der Uni frieren muss, pocht darauf, eine Umstellung des Stromtarifsystems in Spanien möglichst schnell voranzutreiben. Dass Spanien durch den Ukraine-Krieg nun wie viele andere Lände auch die Energiewende noch schneller vollziehen will, um bei der Strombeschaffung unabhängig von Ländern wie Russland zu werden, begrüßt er. Und auch in puncto Steuersenkungen liegt Riera mit den sozialistischen Regierungen in Palma und Madrid auf einer Wellenlänge. Universelle Steuersenkungen der einzelnen EU-Staaten seien mittelfristig keine konstruktiven Lösungen – weder beim Strom noch beim Benzin oder den Lebensmitteln.

Auch Tourismus betroffen

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„Vielmehr müssen wir nun darauf vertrauen, dass die EU sich der ernsten Gefahr einer Stagflation bewusst ist“, so der Ökonom. „Wir werden noch einige Wochen warten müssen, bis wir eine Reaktion auf die Entwicklung sehen, aber ich bin mir sicher, dass etwa die Europäische Zentralbank die ihr zur Verfügung stehenden geldpolitischen Instrumente einsetzen wird. So könnte sie beispielsweise Zinssätze anpassen, um die missliche Lage zu entzerren, sollte der Krieg in der Ukraine noch weiter andauern.“

Auch der Tourismus dürfte vom internationalen Beben nicht unbeeinflusst bleiben, vermutet Antoni Riera. „In der Regel kamen dem balearischen Tourismus solche Konflikte aus geopolitischen Gründen immer zugute, da die Menschen lieber nach Mallorca fliegen, als in die Nähe von Kriegsgebieten“, so Riera. Das sei zwar auch jetzt der Fall. „Aber selbstverständlich wird sich die Inflation hier und in den Quellmärkten auf die Kaufkraft der Urlauber auswirken.“