Mallorca Zeitung

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Interview Sebastià Alzamora Schriftsteller

Roman des Jahres: Wie ein Schriftsteller von Mallorca auf die Playa de Palma blickt

Der für viele Kritiker beste katalanischsprachige Roman des vergangenen Jahres handelt von der Playa de Palma. Ein Gespräch mit dem Autor Sebastià Alzamora über Fremde, Einheimische und den gesunden Menschenverstand

Menschen spazieren auf der Strandpromenade von Arenal auf Mallorca an Show-Bars vorbei. Clara Margais/dpa

Die ersten betrunkenen Deutschen torkeln schon auf Seite 13 durch die Schinkenstraße, und sie sind obendrein als SS-Leute verkleidet. Mit „Ràbia“ hat Sebastià Alzamora (Llucmajor, 1972) den für die Literaturkritiker der Zeitung „El País“ besten katalanischsprachigen Roman des Jahres geschrieben. Das auch für weitere Auszeichnungen nominierte Buch spielt nicht nur an der Playa de Palma – es handelt von ihr. Von ihrer Zersiedlung, ihrem Hinterland und von den Menschen, die dort leben und urlauben (siehe Kasten). Alzamora ist mit etlichen veröffentlichten Romanen, Gedicht-, Erzähl- und Essaybänden einer der bekanntesten mallorquinischen Schriftsteller – und als viel beschäftigter Kolumnist der katalanischsprachigen Zeitungen „Ara“ und „Ara Balears“ auch einer der einflussreichsten.

Warum endet Ihr Buch mit einem Hakenkreuz?

Weil das ein Thema ist, das über dem gesamten Roman schwebt: der europaweite Aufstieg der Rechtsextremen. Und dieses konkrete Hakenkreuz existiert tatsächlich, auf die Mauer gekritzelt in einem ehemaligen unterirdischen Munitionslager aus Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs. Die Leute feiern dort Partys.

Sebastià Alzamora MANU MIELNIEZUK

Und die als SS-Mitglieder verkleideten Deutschen? Haben Sie die wirklich gesehen?

Nun, das hat sich nicht an der Playa de Palma, sondern in der Innenstadt von Palma zugetragen, vor ein paar Jahren.

Die Playa de Palma ist das Sinnbild eines von einem räuberischen und ausbeuterischen Tourismus geschändeten Paradieses.

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Merkwürdig. Davon wüssten wir eigentlich. Sie haben das wirklich gesehen?

Ja, im Fernsehen. Und so ungewöhnlich ist das nicht. Als ich noch jünger war und an der Playa ausging, kam das mit den scherzhaften Anspielungen auf den Nationalsozialismus häufiger vor.

Die Playa de Palma ist eine deutsche Urlauberhochburg. Dennoch wirken die Deutschen in Ihrem Roman eher wie Komparsen. Warum?

Weil sie so von vielen Einheimischen wahrgenommen werden. Die Deutschen sind für die Mallorquiner so etwas wie der Inbegriff des Touristen. Wobei es sie auch noch in einer anderen Ausführung gibt, die des deutschen Residenten.

Ich nenne es die Peripherie Europas. Der Teil Europas, den die Europäer, zum Beispiel die Deutschen oder auch die Briten, aufsuchen, um sich zu amüsieren. Die, die Geld haben, kaufen sich große Villen, und die, die nicht, kommen an die Playa de Palma.

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Wissen die Mallorquiner, dass die Playa de Palma zu einem festen Bestandteil der deutschen Populärkultur geworden ist?

Nein, darüber sind wir uns hier kaum bewusst.

Ihr Buch ist noch nicht übersetzt. Wie würden Sie den deutschen Lesern erklären, was für ein Bild der Playa de Palma Sie darin vermitteln?

Es ist ein Ort, den Spekulations-Exzesse und Billigtourismus kaputt gemacht haben – mit allem, was damit einhergeht: Drogen, Prostitution, Glücksspiel … Zugleich ist es aber auch ein Ort, an dem Menschen leben, ganz normale Leute unterschiedlichster Herkunft. Da sind Mallorquiner dabei, aber auch Festlandspanier und Leute aus allen möglichen Ländern. Hier überschneiden sich Realitäten, das macht es auch literarisch so interessant. In wenigen Worten: Die Playa de Palma ist das Sinnbild eines von einem räuberischen und ausbeuterischen Tourismus geschändeten Paradieses. Orte wie diesen gibt es viele an der spanischen Küste und auch anderswo am Mittelmeer. Ich nenne es die Peripherie Europas. Der Teil Europas, den die Europäer, zum Beispiel die Deutschen oder auch die Briten, aufsuchen, um sich zu amüsieren. Grob gesprochen: Die, die Geld haben, kaufen sich große Villen, und die, die nicht, kommen an die Playa de Palma.

Das ist auch die titelgebende Pointe meines Buches: Es sind nicht mehr die Hunde, die die Tollwut haben, sondern einige Menschen.

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In Ihrem Buch zeichnen Sie auch das wenig schmeichelhafte Bild einer konsumgeblendeten einheimischen Bevölkerung.

Ja, verallgemeinernd gesprochen, haben die Mallorquiner sehr leicht vor dem schnellen Geld kapituliert. Das Aufkommen des Massentourismus hat dazu geführt, dass sie die kleine Industrie vernachlässigten, in meinem Heimatort Llucmajor etwa die Schuhindustrie. Mit der Zeit hat die soziale Ungleichheit extrem zugenommen. Es entstand eine sehr große Bevölkerungsgruppe, in der viele junge Leute vorzeitig die Schule abbrechen, um etwa als Kellner zu arbeiten. Sie haben sehr, sehr niedrige Erwartungen an das Leben und sind oft in prekären Verhältnissen beschäftigt – auch das ein Pulverfass. Die Hauptfigur und zugleich der Erzähler meines Romans führt seinen Hund aus und erzählt ihm dabei, was er beobachtet. Eines Tages vergiftet jemand den Hund. Es ist ein weiteres Symptom dieser allgemeinen Gereiztheit: Da kann plötzlich jemand kommen und ohne irgendeinen Grund einen Hund vergiften. Das ist auch die titelgebende Pointe meines Buches: Es sind nicht mehr die Hunde, die die Tollwut haben, sondern einige Menschen.

Die, die immer trinken: Partyurlauber in der sogenannten Schinkenstraße an der Playa de Palma im Juli 2022. Clara Margais/dpa

Das ist eine explosive Mischung, daher also das Hakenkreuz?

Ja, aber dabei dachte ich gar nicht so sehr an die mögliche Präsenz deutscher Neonazis auf Mallorca, sondern an den Teil der westlichen Gesellschaft, der sich hier versammelt. Ich versuche, nicht schwarzzumalen, aber ich glaube, um mit Antonio Gramsci zu sprechen, dass wir uns in einer Zeit befinden, die Monster hervorbringen kann, weil das Alte im Sterben liegt und das Neue noch nicht geboren ist. Wir müssen unseren Lebensstil ändern, aber wir wissen nicht wie.

Von der Wut an der Playa de Palma

„Ràbia“ (Edicions Proa, 200 Seiten, 18,50 Euro, bislang nur auf Katalanisch) handelt von einem desillusionierten Schriftsteller, der sich in einem bescheidenen Reihenhaus eingerichtet hat, täglich seinen Hund ausführt und dabei andere Charaktere trifft: rabiate Nachbarn, einen altgedienten Reporter, einen Kleinkriminellen, die Betreiber eines Tattoo-Studios, einen Tierarzt … Der Handlungsort heißt Bellavista, ist aber in vielen Details als Playa de Palma zu erkennen: Von den Nachtclub-Mogulen und ihren Megaparks über das FAN-Einkaufszentrum bis hin zur Porciúncula-Kirche benennt und beschreibt Alzamora alles sehr genau. Eines Tages wird der Hund von einem Unbekannten vergiftet, und wenig später stürmt auch noch ein betrunkener Pole mit einem Messer aus dem Bierkönig. Die Welt des Schriftstellers gerät aus den Fugen.


Was haben Sie denn für ein Bild von den Deutschen auf Mallorca?

Ich mag das nicht verallgemeinern. Ich habe deutsche Freunde sowie Freunde, die deutsche Partner haben. Ich bin auch schon diesen typischen lauten und rücksichtslosen Touristen begegnet, wobei das nicht damit zusammenhängt, dass sie Deutsche, sondern dass sie ordinär sind. Und es gibt auch den Deutschen, mit dem man sich in der Dorfbar unterhält, nicht weil man befreundet ist, sondern weil auch er dort einkehrt. Und schließlich denjenigen, der sich in einer Finca in der Umgebung eingerichtet hat, aber keine Beziehungen zu den Einheimischen knüpft, sondern wenn möglich nur mit Landsleuten zu tun hat.

Mehr, als dass Deutsche viel aufkaufen, sehe ich, dass die Mallorquiner ihr Erbe sehr wenig wertschätzen.

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In jüngster Zeit ist wieder viel davon die Rede, dass die Deutschen die Insel aufkaufen. Was sagen Sie dazu?

Das höre ich schon seit meiner Kindheit. Jetzt bin ich 50, und ich sehe nicht, dass die Deutschen die Insel aufgekauft hätten. Mehr, als dass Deutsche viel aufkaufen, sehe ich, dass die Mallorquiner ihr Erbe sehr wenig wertschätzen. Nicht weil sie ein, zwei oder auch zehn Häuser verkaufen, sondern weil sich diese Idee des schnellen Euros hält: Wie komme ich zu Reichtum? Indem ich meinen Besitz verkaufe. Es mag schon sein, dass manche deutschen Immobilienunternehmen den Markt aggressiv angehen, aber sie nehmen sich da wenig mit den einheimischen Maklern. Was ich sehe, ist Immobilienspekulation – und daran sind alle möglichen Nationalitäten beteiligt. Auf einem anderen Blatt steht, worüber jetzt diskutiert wird: ob man das regulieren kann.

Was ist Ihre Meinung dazu?

Dass darüber zumindest besonnen debattiert werden sollte. Es ist doch offensichtlich, dass eine Insel ein sehr begrenztes Territorium mit sehr begrenzten Ressourcen ist. Sollen sich das am Ende nur die sehr reichen Menschen leisten können? Überlassen wir alles dem Markt, oder regulieren wir ihn? Ich bin dafür, ihn mit ein wenig Sachverstand und gesundem Menschenverstand zu regulieren – dafür braucht es keine sozusagen sowjetische Intervention.

WOHNGEBÄUDE IN ARENAL DM

Auch an der Playa ist viel von Aufwertung die Rede. Droht die Gentrifizierung?

Das kann schon sein, ja. Besonders Arenal hat gewissermaßen Eigenschaften einer „gentrifizierbaren“ Gegend. Dort leben noch ganz normale Leute, arbeitende Bevölkerung. Aber ich hoffe, dass es nicht so weit kommt, dass die Vernunft obsiegt.

Die deutschen Investitionen in die Insel sind jedenfalls gewaltig. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Mallorquiner über das Ausmaß bewusst sind und was damit einhergehen kann. Was meinen Sie?

Ich glaube nicht, dass sie sich darüber bewusst sind. Ich erinnere mich noch daran, wie deutsche Millionäre 2020 forderten, dass sie auf die Insel zu ihrem Zweitwohnsitz reisen konnten, obwohl das zu diesem Zeitpunkt noch niemand konnte, noch nicht einmal wir Mallorquiner. Und sie baten nicht darum, sondern sie forderten es.

Ich bin doch selbst ein Tourist. Wir sind es alle

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Auch unter vielen Deutschen auf der Insel sorgte das für Empörung.

Ja, ich weiß. Wenn ich von gesundem Menschenverstand spreche, meine ich auch das: dass sich so eine Haltung nicht durchsetzt.

Sie lasen kürzlich bei einer Menschenkette gegen die Auswirkungen des Tourismus ein kämpferisches Manifest vor. Wie kam es dazu?

Man hatte mich darum gebeten, und da ich mit den Forderungen ziemlich einverstanden bin, sagte ich zu. Ein Manifest ist ein Manifest, aber abgesehen von jeglicher Agitation ist doch offensichtlich, dass die Balearen-Wirtschaft nicht vom Tourismus abgekoppelt werden kann, aber auch nicht von ihm abhängig sein darf. So einfach ist das. Das hat nichts mit Tourismusphobie zu tun. Ich bin doch selbst ein Tourist, wir sind es alle. Dass die Umweltschützer in diesem Fall so wachsam sind, halte ich für gerechtfertigt. Darüber hinaus bin ich aber in keiner dieser Gruppen Mitglied.

Auf Katalanisch zu schreiben, heißt nicht, dass man ein zorniger Separatist ist, genauso wenig, wie das Schreiben auf Spanisch bedeutet, dass man ein Faschist ist

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Dafür treten Sie in Ihren Kolumnen militant für die katalanische Sprache ein, oder?

Nun, ich würde das nicht als militant bezeichnen. Ich schreibe auf Katalanisch, weil es meine Sprache ist. Eine Sprache, die von zehn Millionen Menschen gesprochen wird, eine von vielen europäischen Sprachen. Als ich in meinen 20ern zu veröffentlichen begann, sah ich das nicht als eine politische oder ideologische Positionierung. Mit der Zeit aber ist es hier, wie auch in anderen Bereichen, zu einer immer stärkeren Polarisierung gekommen, sodass schon das Schreiben und Veröffentlichen auf Katalanisch aus der Sicht vieler Menschen ein bestimmtes Gedankengut mit sich bringt. Dabei gibt es da keinen Automatismus. Auf Katalanisch zu schreiben, heißt nicht, dass man ein zorniger Separatist ist, genauso wenig, wie das Schreiben auf Spanisch bedeutet, dass man ein Faschist ist. Das unterstreichen zu müssen, ist ja schon fast peinlich, aber so weit ist es schon gekommen. Ja, und ich kann mich sehr ärgern, wenn ich Leute höre, die keinen Unterricht auf Katalanisch wollen oder ihn für eine Zeit- und Geldverschwendung halten – das sind für mich inakzeptable Diskurse. Ich würde mich auch für jede andere Sprache einsetzen, der es so gehen würde, aber es ist nun einmal meine Sprache. Im 21. Jahrhundert noch die Vielfalt der Sprachen verteidigen zu müssen – das ist doch verrückt! Auch hier ist wieder gesunder Menschenverstand gefragt. Bei der Sprache geht es um Verständigung, aber das kann nicht dazu führen, dass einer sagt: Weil meine Sprache von mehr Menschen gesprochen wird, radieren wir deine aus.

"Bei Lesungen in den Schulen treffe ich auf sehr viele Kinder von Einwanderern. Sie sind alle schon Mallorquiner, 'tan mallorquins com nosaltres'"

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Hilft die Sprache den Mallorquinern nicht auch, sich abzuschotten gegen die, die von außen kommen?

Für einige mag das so sein, aber ehrlich gesagt habe ich nur sehr wenige kennengelernt, die sich so verschließen. Allgemein, so glaube ich, gibt es eher den Willen zum Zusammenleben. Und vielleicht, bei vielen Mallorquinern, ein gewisses Gefühl der Minderwertigkeit: Ich werde diese Leute, die von außen kommen, aus so entwickelten Ländern, doch nicht mit meiner Sprache und meinem Kram belästigen. Oder aber ich will ihnen etwas verkaufen, und da passe ich mich besser an (grinst). Ich erzähle Ihnen mal die Geschichte von meinem Großvater. Er kam in den 20er-Jahren als Carabinero, einem Vorläufer des Guardia Civil, aus Andalusien auf die Insel. Er wusste gar nicht, dass hier eine andere Sprache gesprochen wird, und er hat sie auch nie gelernt – er sagte, es fiele ihm schwer. Zu Hause aber sprachen alle Mallorquinisch, ebenso wie Spanisch. Und er hat sich deswegen nie ausgeschlossen gefühlt. Er, der gerade mal zur Grundschule gegangen war, verstand, was viele Professoren nicht verstehen: das Prinzip des Zusammenlebens, des guten Willens, des Respekts. Das sollte eigentlich auch in der Politik funktionieren.

Entgegen dem, was ich in dem Roman beschreibe, denke ich, dass die meisten Menschen einfach in Ruhe leben wollen, mit einem gewissen Lebensstandard, und gut mit denen auskommen möchten, die sie umgeben.

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Sehen Sie, dass auf Mallorca auch Personen mit Migrationshintergrund politische Verantwortung übernehmen können? Bisher ist das kaum der Fall.

Ich hoffe es. Ich jedenfalls würde mich sehr darüber freuen.

Sie sehen keinen Widerstand in der mallorquinischen Gesellschaft dagegen?

Es mag ihn in einigen Bereichen geben, natürlich. Wie in allen anderen Gesellschaften auch. Aber ich glaube nicht, dass die mallorquinische Gesellschaft besonders rassistisch ist. Bei Lesungen in den Schulen treffe ich auf sehr viele Kinder von Einwanderern. Sie sind alle schon Mallorquiner, tan mallorquins com nosaltres (Alzamora wechselt ab hier ins Katalanische, Anm. d. Red.). Entgegen dem, was ich in dem Roman beschreibe, denke ich, dass die meisten Menschen einfach in Ruhe leben wollen, mit einem gewissen Lebensstandard, und gut mit denen auskommen möchten, die sie umgeben. Ich vertraue darauf und möchte hoffen, dass das noch möglich ist.

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