Hochburg für Sandalen, Pumps und Stiefel: Als Llucmajor auf Mallorca noch "Schuhmajor" war

Nicht nur Inca, auch Llucmajor war ein Zentrum der Schuhindustrie auf Mallorca. Eine Schau erinnert an eine Zeit, auf die es nur noch wenige Hinweise gibt

Was mit 25 Schustern und kleinen Manufakturen begann, entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende zu einem Standort mit mehr als 200 Herstellern und ersten teilmechanisierten Fabriken.

Was mit 25 Schustern und kleinen Manufakturen begann, entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende zu einem Standort mit mehr als 200 Herstellern und ersten teilmechanisierten Fabriken. / Nele Bendgens

Sabine Belz

Im Zentrum des quadratischen Altstadtkerns des Städtchens Llucmajor auf Mallorca liegt die Plaça d’Espanya, eigenartigerweise weder rund noch quadratisch, sondern dreieckig und umgeben von einem Dutzend Bars und Restaurants. 300 Meter weiter südlich ergibt sich durch die Straßenführung ein weiterer kleinerer Platz, ebenfalls dreieckig; in dessen Mitte steht ein Denkmal aus Santanyí-Sandstein. Abgebildet ist eine sitzende Person, die einen Schuh auf dem linken Oberschenkel bearbeitet, auf dem Sockel sieht man Szenen mit Handwerkern an Werkbänken, die ebenfalls Schuhe bearbeiten: das Schusterdenkmal.

Es stammt von 1963 und erinnert an eine einstmals blühende Branche, die der Stadt Llucmajor über Jahrzehnte zu Wohlstand verhalf. Es ist der einzige Hinweis auf die rund 60 Schuhfabriken und Manufakturen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fast die Hälfte der Einwohner des Ortes beschäftigten, zur Gründung von Theatern und Kinos führte – insgesamt sechs an der Zahl – und prächtige Häuser im Jugendstil entstehen ließen. Das bekannteste Café, das Café Colon, zeigt die Jahreszahl 1925 über seinem Eingangsportal.

Das Geschäft mit den Schuhen blühte

Was mit zunächst 25 Schustern und kleinen Manufakturen begann, entwickelte sich bis zur Jahrhundertwende zu einem Standort mit mehr als 200 Herstellern und ersten teilmechanisierten Fabriken. Die Schuhe, zunächst Herrenstiefel, später auch Damen- und Kinderschuhe in vielfältigem Design, wurden bald auch aufs Festland, nach Barcelona, aber auch nach Kuba, Puerto Rico und auf die Philippinen exportiert. Den Transport tüftelten ein Reedereivertreter und ein Fleischexporteur gemeinsam aus, um es dem wachsenden Schuhexport von der Nachbarinsel Menorca nachzutun.

Ausgestellt sind in der Schau nicht nur gefertigte Schuhe...

Ausgestellt sind in der Schau nicht nur gefertigte Schuhe... / Nele Bendgens

Das Geschäft blühte, bis der Kuba-Krieg und die Unabhängigkeit von Puerto Rico und den Philippinen diese Phase beendete. Zwischen 1910 und 1925 eröffnete sich dann ein neuer Markt in Frankreich, denn auch das französische Militär bestellte in der Zeit des Ersten Weltkrieges Schuhe und Stiefel für seine Soldaten in der Gemeinde Llucmajor.

Konflikte und Streiks

Im Jahr 1916 erhielt Llucmajor das Stadtrecht, und im gleichen Jahr eröffnete der Bahnhof, was den Transport der stetig steigenden Schuhmengen beträchtlich erleichterte. Und natürlich benötigten die anreisenden Grossisten und Handelsvertreter ein Hotel zum Übernachten: das Hotel Espanya, 1914 eröffnet in schöner Jugendstilarchitektur, steht bis heute auf dem kleinen dreieckigen Platz dem Schusterdenkmal gegenüber.

...sondern auch das frühere Werkzeug und die Hilfsutensilien der Schuster.

...sondern auch das frühere Werkzeug und die Hilfsutensilien der Schuster. / Nele Bendgens

Gleichzeitig mit der Blüte der Schuhindustrie in Llucmajor entstand eine zunehmend selbstbewusste Gewerkschaftsbewegung, die 1929 den ersten Streik ausrief mit der Forderung eines Acht-Stunden-Arbeitstages, statt der bisher vereinbarten 8,5 Stunden. Man setzte sich durch, aber das friedliche Miteinander war gestört. Als die großen Fabriken den Arbeitern verboten, die Arbeit zu unterbrechen, um etwa eine Zigarette zu rauchen, folgte der nächste Konflikt – und der nächste Streik: der Raucherstreik. Daraufhin entlassene Arbeiter taten sich zur ersten Genossenschaft zusammen, genannt „La Hormiga“ (Die Ameise), und gründeten ihre eigene Schuhfabrik.

Gewaltsamer Eingriff des Franco-Regimes

Dies war leider nicht von langer Dauer, denn inzwischen hatte sich das Regime von Franco installiert und griff gewaltsam ein: Die Schergen des Regimes erschossen den Präsidenten der Gewerkschaft, seinen engsten Mitarbeiter und sechs weitere Arbeiter der Genossenschaftsfabrik, beschlagnahmten ihre Waren und Maschinen und verteilten sie an die anderen Fabriken. Das Militär übernahm die Kontrolle der Produktion, hergestellt wurden zunehmend Soldatenstiefel. Die verordneten Quoten aber begünstigten den Schmuggel, sodass das Regime 1952 auf die Steuerung der Produktion verzichtete.

Trotz aller Umbrüche hatte sich die Schuhindustrie in Llucmajor zunehmend spezialisiert bis hin zu hochwertigen Damenschuhen (Pumps und Sandalen), aber auch zu teuren Herrenschuhen in anspruchsvoller Gestaltung. Eine Menge Zulieferbetriebe waren entstanden; inzwischen war die Hälfte der Einwohner in irgendeiner Form im Schuhsektor beschäftigt. Einen Arbeitskräftemangel gab es nicht, denn der schlechte Boden mit mageren Erträgen zwang die Bauernfamilien, zusätzliche Einkommensmöglichkeiten zu finden. Die Frauen waren häufig im Versand beschäftigt, was sie teilweise von zu Hause erledigen konnten in praktischer Vereinbarkeit mit Hausarbeit und Kindererziehung.

Die Schuhindustrie in Llucmajor hatte sich zunehmend auf hochwertige Damenschuhe spezialisiert...

Die Schuhindustrie in Llucmajor hatte sich zunehmend auf hochwertige Damenschuhe spezialisiert... / Nele Bendgens

Mit dem Tourismus kam das Ende

Niemand hatte damit gerechnet, dass der beginnende Tourismus mit seinen neuen Verdienstmöglichkeiten das rasche Ende des boomenden Schuhsektors bedeuten könnte, doch so war es. Dort wurde besser bezahlt, die Arbeit war angenehmer. Außerdem konnten sich viele kleinere Firmen nicht mehr erneuern und waren international nicht mehr konkurrenzfähig. Die letzte große Schuhfabrik in Llucmajor schloss 2006 endgültig ihre Tore, und nur einige immer noch als Ruinen leer stehende Fabrikgebäude sowie das Schusterdenkmal zeugen von dieser Blütephase.

...sowie auf teure Herrenschuhe.

...sowie auf teure Herrenschuhe. / Nele Bendgens

Jetzt zeigt zum ersten Mal eine Ausstellung im Kloster San Buenaventura umfangreiches dokumentarisches Archivmaterial mit Fotos, alten Bestelllisten, Dankesbriefen, Entwürfen, Maschinen, Werkzeug und einer kleinen Auswahl von Schuhmodellen aus Familienbesitz: feine Damenstöckel, elegante Herrenschuhe und niedliche Kinderschühchen. Ein Video lässt Zeitzeugen zu Wort kommen.

Auf einem Stadtplan sind alle 1954 registrierten Fabriken eingezeichnet, ergänzt durch Fotos noch existierender Gebäude, heute mit anderer Nutzung. Es verwundert, dass von der blühenden Industrie nicht eine einzige Schusterwerkstatt überlebt hat, in der man heute feinste handgefertigte Schuhe individuell bestellen könnte: Schuhe aus Llucmajor.

Information: Die Ausstellung „Llucmajor era sabater“ ist bis April 2023 im Claustro San Buenaventura zu sehen. Carrer Fra Juan Garau 2, Llucmajor, Mo.-Fr. von 9-20.30 Uhr, Sa. 10-13 und 16-20 Uhr, Tel: 971-66 97 58.