Meinung | Kommentar

Was den Reichtum einer zweiten Muttersprache ausmacht

Unsere Autorin ist in Deutschland aufgewachsen, ihre Mutter ist aber Spanierin. Und die hat ihr viel mehr vererbt als "nur" einen Pass

Dienstags hatte ich wenig Zeit zum Mittagessen. Ab der ersten Klasse musste ich jede Woche zum „muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in spanischer Sprache“. Oder wie ich es nannte: zu María Cecilia. Umgeben von anderen Kindern mit spanischsprachigen Eltern lernte ich hier von der rüstigen María Cecilia Rechtschreibung, nebenbei gab sie uns Grundkenntnisse über Spaniens Flüsse, Don Quijote und Velázquez. Einmal im Jahr lernten wir auch die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Bis heute weiß ich ohne zu zögern die Namen der Schiffe, mit denen er unterwegs war („La Pinta“, „La Niña“ und „Santa María“).

Auch wenn mich diese Schule nervte, zu der meine Freundinnen alle nicht mussten, bin ich heute dankbar, dass meine Mutter mich dort hinschickte. Denn anders als meine Freundinnen habe ich dank ihr eine zweite Muttersprache. Und nicht nur das.

Die Sprache gibt Zugang zur Familie

Der Reichtum einer Sprache liegt nicht darin, dass man als Übersetzerin arbeiten kann. Oder darin, dass bilinguale Menschen schneller weitere Sprachen lernen. Ohne Spanisch hätte ich nicht mit meiner Oma und meinem Onkel kommunizieren können, denn Englisch sprechen sie nicht. Und selbst wenn, hätten wir ein anderes Verhältnis, wenn ich nicht von klein auf mit ihnen in der gemeinsamen Muttersprache geredet, gesungen und gezankt hätte.

Die Sprache hat mir meine halbe Familie geschenkt. Und Spanien. Wer einen zweiten Pass hat, aber kein Buch in der Sprache lesen kann, hat einfach nur einen Pass. Ich habe von meiner Mutter neben dem Pass Don Quijote, Velázquez und Kolumbus’ Schiffe geerbt.