Antoni Oliver, Chefbiologe des Landeskrankenhauses Son Espases, wo die Virenproben auf den Balearen analysiert werden, muss ein wenig lachen, als er von der MZ hört, dass ein überaus renommierter deutscher Gesundheitspolitiker Mallorca der "Tricksereien" bei der Bekanntgabe der auf der Insel zirkulierenden Corona-Mutationen beschuldigt.

"Fakten sind Fakten, das ist schon empörend, wenn sie anders dargestellt werden", sagt er danach, schon ernster, in Bezug auf die Anschuldigungen von Karl Lauterbach (SPD), auf der Insel zirkuliere sehr wohl die gefährliche brasilianische Mutante P.1. Auch der renommierte Gesundheitsexperte Joan Carles March widerspricht Lauterbach, der gleich noch die Inzidenz-Zahlen auf Mallorca angezweifelt hatte: "Wir sind hier schließlich nicht in einer Bananenrepublik, sondern in einem ernsthaft und professionell geführten Land."

In dem Labor von Antoni Oliver werden rund 10 Prozent aller positiven Corona-Proben genetisch untersucht. Genau zwei Mal sei dabei die erstmals im Amazonas aufgetretene Variante 1.1.28 festgestellt worden. Wie auch schon zuvor sowohl von ihm als auch vom balearischen Gesundheitsministerium klargestellt, habe es sich dabei aber nicht um jene Mutation 1.1.28.1 (auch P.1 genannt) gehandelt, die womöglich impfresistent ist. Vielmehr habe es sich um den Vorläufer gehandelt, der nicht die Mutation E484K aufweise, die mit einer schlechteren Impfstoffwirkung in Zusammenhang gebracht wird.

In einem der beiden Fälle sei das Virus bei jemanden festgestellt worden, der zehn Tage zuvor in Brasilien war. In dem anderen Fall konnte dieser Zusammenhang ebenso wenig festgestellt werden wie eine Beziehung zu der Person, die aus Brasilien eingereist war. Die von der Gesundheitsbehörde angeordnete Nachverfolgung habe in den darauf folgenden Wochen keine weiteren Fälle ergeben. Auch in seinem Labor seien keine weiteren 1.1.28 Mutationen mehr festgestellt worden. "Es könnte sein, dass sich diese Variante auf der Insel wieder verloren hat", sagt Oliver zur MZ.

Eindeutig dominant sei auf Mallorca ohnehin derzeit die ebenfalls als gefährlicher geltende britische Virusvariante 1.1.7. Sie mache inzwischen bereits 85 Prozent aller Proben aus, so Oliver.

Auch Joan Carles March, Arzt und Professor für öffentliche Gesundheit, hält die brasilianische Variante des Virus für einen Nebenschauplatz. So seien in Spanien, ebenso wie in Deutschland, bisher nur sehr wenige Fälle entdeckt worden. "Es kann sein, dass es mehr gibt, ich denke aber nicht, dass es sehr viel mehr sein werden", so der Arzt und Professor für öffentliche Gesundheit. Er habe vollstes Vertrauen in die Mikrobiologen von Son Espases. "Sie machen eine exzellente Arbeit."

Was die ebenfalls infrage gestellte Inzidenze betrifft, sagt March: "Wir sollten auf die Daten vertrauen, die die balearische Landesregierung und die spanische Zentralregierung zusammentragen, alles andere kann in Polemik ausarten, die nicht gut ist."

Auch die Politik der balearischen Landesregierung nimmt der Gesundheitsexperte in Schutz. "Die Balearen gehören spanienweit zu den Regionen, bei denen die Nachverfolgung der Infektionsketten und die Analyse der Daten am besten funktioniert." Gleichzeitig sei die Corona-Politik angemessen. "Die Restriktionen beispielsweise für die Gastronomie sind sehr streng, obwohl die Inzidenz gerade relativ gering ist. Das zeigt, mit welcher Ernsthaftigkeit die Landesregierung das Thema behandelt, und das ist fundamental."

Er selbst plädiere zwar für strengere Reiseregelungen. Es sei gerade nicht an der Zeit zu reisen. "Aber ich denke, wenn die Auflagen auf den Inseln streng bleiben und die Kontrollen konsequent durchgeführt werden, ist es momentan vertretbar, Urlauber einzulassen." Er könne nachvollziehen, dass bei dem Thema in Deutschland gerade die Nerven blank lägen, nicht zuletzt wegen der hohen Werte in der Bundesrepublik. "Trotzdem sollte man versuchen, diese Themen rational zu betrachten."