Die Wärmebildkamera ist auf eine Stelle in rund 800 Metern Entfernung von der Küste von Ciutat Jardí gerichtet. Hier, vor dem vor allem bei Familien beliebten Stadtstrand von Palma, mündet einer der am Meeresboden verlaufenden Ableiter ins Meer. Er befördert aus der Kanalisation und der Kläranlage stammendes Wasser, das eigentlich gereinigt sein sollte. Dass das oft und gerade nachts nicht der Fall ist, zeigt die von der Kamera gemessene Infrarotstrahlung. „Wir sehen das dann als Grünton auf dem Bildschirm", sagt Joan Forteza, Vorsitzender der Anwohnervereinigung von Coll d'en Rabassa. Ein befreundeter Ingenieur habe die Kamera vor sechs Jahren eingerichtet.

Was der Verband bereits seit 2001 kritisiert, beschäftigt jetzt die Staatsanwaltschaft, nachdem ein Anwalt Klage eingereicht hatte. Es ist ein Umwelt-Skandal, der all die Jahre da war, aber erst jetzt Wellen schlägt - und darüber hinaus erstmals wirklich juristische Konsequenzen haben dürfte: Es wird gegen mehrere Verantwortliche ermittelt, ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft. Weil die Verwaltung nicht in die Modernisierung von Kanalisation und Kläranlagen investiert hat, fließt ein Teil des Abwassers von Palma immer wieder ungereingt ins Meer. In der öffentlichen Debatte angelangt ist das Thema, seit praktisch jeder Schauer zur Folge hat, dass vor allem an den Stränden Can Pere Antoni und Ciutat Jardí die Rote Flagge weht - Badeverbot.

Kommentar: Endlich wird im Abwasserskandal ermittelt

Die Dimension des Problems

Für die Ausmaße der Abwassereinleitungen gibt es offizielle Zahlen - wobei eine Sprecherin der Stadtwerke Emaya die jetzt von der Zeitung „El Mundo" veröffentlichten Daten gegenüber der MZ mit Verweis auf angebliche Interpretationsfehler nach unten korrigiert. Laut Emaya kam es allein zwischen 2011 und 2018 zu 615 Zwischenfällen. „El Mundo" zählt in dem Zeitraum dagegen 894. Bis 2018 flossen laut der Zeitung knapp 10 Millionen Kubikmeter - das sind 10 Milliarden Liter - Abwasser in die Bucht. Die Emaya-Sprecherin erklärt dagegen, dass man nur über Schätzungen verfüge, und diese lägen etwa bei der Hälfte.

Die Stadtwerke gehen seit dem Regierungswechsel 2015 offen mit dem Problem um und räumen ein, dass nach starken Regenfällen ein Gemisch aus dem Wasser vom Himmel und dem aus den Haushalten ins Meer fließt. Die Vorwürfe der Anwohner gehen aber viel weiter: Die Zwischenfälle beschränken sich demnach nicht auf Hochsaison und Regenwetter. „Es passiert sommers wie winters", sagt Forteza, gerade nachts habe man immer wieder Einleitungen festgestellt. Die ersten Videoaufnahmen davon, die ein beauftragter Taucher anfertigte, habe man bereits 2003 öffentlich gemacht. Biologen stellten damals fest, dass allein über den Sturzbach Gros, der bei Ciutat Jardí ins Meer mündet, täglich rund 70.000 Kubikmeter sogenannte Feststoffabfälle ins Meer gelangten. Auch die Mallorca Zeitung berichtete schon damals von der Überlastung der Kläranlagen besonders in der Bucht von Palma und drohenden EU-Strafen.

Als alles noch gut lief

Dabei gab es eine Zeit, als die Abwasseraufbereitung in Palma fortschrittlich war, wie Juan Mateo Horrach erklärt. Der Ingenieur war während der ersten Antich-Regierung (1999-2003) Leiter des Wasserwirtschaftsamts Ibasan und ist heute als Berater und Kolumnist tätig. Die öffentlichen Körperschaften IBAEN und IBASAN - heute zusammengefasst in ABAQUA - wurden Anfang der 90er-Jahre geschaffen, sie sollten Trinkwasser und Abwasser verwalten. „Das Wassermanagement war damals eine Priorität in der Landespolitik, und die finanzielle Ausstattung durch Landes-, Staats- und EU-Geldern war gut", so Horrach. Zur 1971 erbauten Kläranlage EDAR I bei Sant Jordi, der damals spanienweiter Pioniercharakter zugeschrieben wurde, kam 1975 EDAR II hinzu. Diese - heute unzureichende - Anlage bei Coll d'en Rabassa wurde 1987 auf ihre derzeitige Größe erweitert. Es war auch die Zeit, als die Millionen aus Brüssel noch üppiger nach Spanien flossen, damals eines der ärmeren Länder im noch kleineren Kreis der EU-Mitglieder.

Zudem wurde ab 1991 mit einer zweckgebundenen Wassergebühr dafür gesorgt, dass - zumindest in der Theorie - genügend Geld für Investitionen und Wartung in der Abwasseraufbereitung da ist. Der canon de saneamiento wird von den kommunalen Anbietern gemäß des Wasserverbrauchs der Haushalte eingezogen und an das balearische Finanzministerium überwiesen, welches das Geld dann zuweist. „Wir waren zu Beginn des neuen Jahrtausends im spanien- und europaweiten Vergleich privilegiert", sagt Horrach.

Die Versäumnisse

Dass die Wasseraufbereitung bald immer stärker nach unten rutschte auf der Prioritätenliste, lässt sich an mehreren Punkten festmachen. So versuchte Emaya 2003 mit einer Verwaltungsklage, sich gegen schärfere Vorschriften bei der Wasserqualität in der Bucht von Palma zu wehren - das Dekret der Landesregierung vom März jenen Jahres war eine Umsetzung von EU-Vorgaben. Das Oberlandesgericht ließ die formalen und finanziellen Argumente der Stadtwerke in seinem Urteil von 2006 nicht gelten. Ein Offenbarungseid von Emaya, der folgenlos blieb, wie Forteza kritisiert.

Wo bei Emaya bislang Fachleute den Ton angegeben hatten, spielte immer stärker parteipolitisches Kalkül eine Rolle. Die Stadt­werke mit ihrem großen Budget waren ideal, um Pöstchen zu schaffen. Zwischen 2007 und 2011 verwaltete die zwischenzeitlich wegen Korruptionsskandalen aufgelöste Unió Mallorquina die Stadtwerke. Dass Emaya gleichzeitig für die Straßenreinigung verantwortlich ist und saubere Straßen ein wichtiges Wahlkampfargument sind, dürfte zur Vernachlässigung der Wasseraufbereitung beigetragen haben. Stets gab es scheinbar wichtigere Probleme, ganz zu schweigen vom Haushaltsloch während der Wirtschaftskrise.

Umgekehrt wurde aber auch Emaya von den anderen Institutionen finanziell kurzgehalten. Vom canon de saneamiento kam nur ein Bruchteil bei den Stadtwerken an - zumal 2010 im Zuge der Krise die Zweckgebundenheit der Abgabe aufgehoben wurde. Obwohl zwischen 2004 und 2014 durchschnittlich rund 80 Millionen Euro über die Gebühr eingenommen wurden, seien nur rund 40 Millionen Euro an Emaya zurückgeflossen, so Horrach. Aber auch die spanische Zentralregierung kam ihren Verpflichtungen nicht nach. Horrach schätzt das Finanzierungsdefizit durch alle beteiligten Institutionen seit dem Jahr 2000 gar auf rund eine Milliarde Euro.

Wer bezahlt die Kläranlage?

Größter Posten ist der Neubau von EDAR II mit bis zu 120 Millionen Euro. Die Kläranlage, die zuletzt 2005 notdürftig modernisiert wurde, ist das große Sorgenkind, während EDAR I auch bei Umweltschützern als ausreichend modernisiert gilt. Inma Truyol, Emaya-Chefin bis Mai dieses Jahres, räumte im März 2018 gegenüber der MZ ein, dass die tertiäre, also biologische Reinigungsstufe von EDAR II, schon im Normalbetrieb nur rund die Hälfte der Abwässer ordnungsgemäß kläre.

Die Grundstücke für den nötigen Neubau wurden laut Emaya zwischen 2015 und 2019 erworben, derzeit wird das in Madrid erstellte Vorprojekt auf seine Umweltverträglichkeit geprüft. Die Finanzierung für den Bau jedoch hängt in der Luft, nach einem Nein des spanischen Wasserwirtschaftsamts im April. Palmas Bürgermeister José Hila spricht deswegen am 16. September in Madrid vor. „Seit dem Jahr 2009 ist uns die Zentralregierung dieses Geld schuldig", kritisiert der balearische Umweltminister Miquel Mir gegenüber der MZ. Das Geld selbst aufzubringen, sei keine Option, „Madrid muss das in jedem Fall zahlen."

Es ist ein Schwarze-Peter-Spiel, das die Anwohner müde sind. Experte Horrach verweist etwa auf eine mögliche Konzession für den Bau der Kläranlage - eine Option, die „politische Intelligenz" erfordert hätte. Forteza spricht von einer geteilten Schuld: Emaya beispielsweise hätte die anderen Institutionen zur Not verklagen und einen Kredit aufnehmen müssen, um die Probleme zu lösen. Egal welche politische Couleur - seit 18 Jahren habe man sich mit allen Emaya-Chefs getroffen, ihnen die Probleme geschildert, aber nur schöne Worte gehört, so der Anwohner-Sprecher.

Der letzten Geschäftsführerin Inma Mayol hält Forteza zugute, dass sie als Erste offen mit dem Problem umgegangen sei und konsequent Badeverbote aussprechen ließ, wenn die Kanalisation wieder mal überlief. Ob auch die Linksregierung in Palma ab 2015 Schuld trifft, müssen die jetzigen Ermittlungen zeigen. Die konservative Zeitung „El Mundo" jedenfalls wirft Truyol vor, wichtige Investitionen zugunsten neuer Mitarbeiter und der Anschaffung neuer Müllcontainer verschoben sowie kritische Mitarbeiter im eigenen Haus entmachtet zu haben.

Bauarbeiten ab Herbst

Zu den Vorwürfen hat Emaya inzwischen Stellung genommen, verwiesen wird vor allem auf zwei Projekte, die bis zum Bau der neuen Kläranlage die Badeverbote um 90 Prozent reduzieren sollen. So wird jetzt ein Rückhaltebecken für EDAR II gebaut: Mit einer Kapazität von 25.000 Kubikmetern kann es das anfallende Wasser bei starken Regenfällen aufnehmen. Nach Vorarbeiten im Frühjahr soll es im September mit dem eigentlichen Bau losgehen, um die Arbeiten dann bis Sommer 2021 zu beenden. Ähnliches gilt für eine 3,2 Kilometer lange Rohrleitung, die Abwasser und Regenwasser des östlichen Teils von Palma vom Innenstadtring bis zu dem neuen Becken transportieren soll. Die nötigen Mittel in Höhe von 22,6 Millionen Euro werden dank eines Abkommens mit der Landesregierung mit dem canon de saneamiento finanziert.

Bis dahin dürfte also noch viel Toilettenwasser direkt ins Meer fließen. Wobei die Wärmebildkamera der Anwohnervereinigung seit knapp zwei Monaten bis zum Einsetzen der Regenfälle keine Einleitungen feststellte. „Ich frage mich, wo die Scheiße jetzt landet", meint Forteza. Dabei ist der Anwohner-Sprecher eigentlich ein vornehmer älterer Herr, der keine Fäkalwörter benutzt.