Kuss-Eklat bei der Fußball-WM: Warum die Kritiker von Luis Rubiales sich so spät aus der Deckung gewagt haben

Nach dem Kuss-Eklat bei der Frauen-WM droht Fußballboss Luis Rubiales nun die Amtsenthebung. Auf den Fußball wirft der Fall kein gutes Licht

Rubiales sollte seinen Posten nach dem Kuss-Skandal so schnell wie möglich räumen – das fordern inzwischen auch viele seiner bisher Verbündeten.    | ILLUSTRATION: ELISA MARTÍNEZ

Rubiales sollte seinen Posten nach dem Kuss-Skandal so schnell wie möglich räumen – das fordern inzwischen auch viele seiner bisher Verbündeten. | ILLUSTRATION: ELISA MARTÍNEZ / Patrick Schirmer Sastre

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Luis Rubiales scheint die weltweite Empörung über sein Verhalten beim Endspiel der Fußballweltmeisterschaft der Frauen im australischen Sydney nach wie vor nicht zu verstehen. Der von der Fifa suspendierte Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF schickte ein Video an den Weltverband, um seine vermeintliche Unschuld zu beweisen. Die Szenen im Mannschaftsbus des spanischen Teams nach dem gewonnenen Endspiel zeigen die Verwunderung der Spielerinnen über den Kuss von Rubiales auf den Mund von Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung, den die Sportlerin selbst nicht gewollt hatte.

In Spanien droht dem Fußballboss die endgültige Amtsenthebung durch das Sportgericht TAD. Dessen Entscheidung könnte sich verzögern, da die Spielergewerkschaft AFE Protest gegen eines der sieben Mitglieder des Tribunals eingelegt hat, und zwar wegen dessen Nähe zu Rubiales. Denn abgesehen von der Debatte über Macho-Gehabe und Übergriffe auf Frauen hat der Fall auch die verfilzten Machtstrukturen im spanischen Fußball ins Rampenlicht gebracht, auf das sich der Verbandsboss bisher stützen konnte, trotz zahlreicher Verfehlungen.

Die spanische Fußballnational-Auswahl der Frauen feiert ihren WM-Sieg.

Die spanische Fußballnational-Auswahl der Frauen feiert ihren WM-Sieg. / Europa Press

Kehrtwende nach vier Tagen

So applaudierten die Delegierten auf der Versammlung der RFEF am Freitag vergangener Woche (25.8.) ihrem Chef zu, als dieser gleich fünfmal erklärte, er werde nicht zurücktreten, und gegen Feministinnen wetterte. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt, fünf Tage nach dem Endspiel in Sydney, das internationale Ausmaß des Vorfalls und der Imageverlust für Spanien bereits allzu deutlich waren. Vier Tage danach vollzogen die Verbandsspitzen eine Kehrtwende und forderten in einem Brief den Rücktritt ihres Präsidenten, freilich ohne dabei mit einem möglichen Verfahren zur Amtsenthebung zu drohen.

Ähnlich wie bei der Fifa und ihrem umstrittenen Präsidenten Gianni Infantino beruhte auch die Macht von Rubiales auf der Unterstützung durch die einzelnen Mitgliedsverbände, in diesem Fall der spanischen Regionen. Diese profitierten wiederum von den wirtschaftlichen Errungenschaften von Rubiales. So etwa von der sehr umstrittenen Verlegung des spanischen Superpokals nach Saudi-Arabien, wo das Turnier seit inzwischen drei Jahren stattfindet. Tonaufnahmen, die dem Portal elconfidencial.com zugespielt worden sind, dokumentieren die fragwürdigen Verhandlungen zwischen Rubiales und dem damaligen Star des FC Barcelona Gerard Piqué, die zu dem Millionen-Deal führten. Weder der Verband noch die spanische Regierung über das Sportgericht TAD sahen Anlass zur Überprüfung.

Luis Rubiales wurde suspendiert.

Luis Rubiales wurde suspendiert. / Oscar J. Barroso / Afp7 / Europa

Dabei hatte Rubiales zuvor die Pläne der unabhängig agierenden spanischen Fußball-Liga LFP durchkreuzt, die ein Spiel der Primera División in Miami austragen wollte. „Das schadet den Werten des Sports“, erklärte Rubiales 2018. Der Verbandschef und der Präsident der LFP, Javier Tebas, sind Erzfeinde, wenn es darum geht, den Ballsport zu Geld zu machen. Die beiden Bosse ließen sich jahrelang gegenseitig bespitzeln.

Skandale und Fehlverhalten schon lange bekannt

All diese großen und kleinen Skandale und das Fehlverhalten in der Ära Rubiales waren bekannt. Doch wagen sich im Verband erst jetzt Kritiker aus der Deckung. „Die Führung von Rubiales in diesen Jahren hat nicht vielen gefallen“, erklärte der Vorsitzende des Fußballverbands von Kastilien-León, Marcelino Maté, gegenüber der Agentur EFE. Sein Amtskollege aus Valencia, Salvador Gomar, forderte „einen notwendigen Schritt zu einer Veränderung in der RFEF“, vor allem mehr Beteiligung von Frauen. Gomar war nach der Weigerung von Rubiales selbst vom Amt des stellvertretenden RFEF-Präsidenten zurückgetreten.

Spanische Medien kritisierten, dass die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez bei den vielen Fehltritten von Rubiales weggeschaut habe. „Ihm half dabei auch die Angst der Politik, die Nase in das komplexe Netz von Allianzen und Feindschaften des spanischen Fußballs zu stecken“, heißt es auf dem Portal elconfidencial.com. Im Grunde ist der Fußball eine privatwirtschaftliche Veranstaltung, jedoch mit einer außerordentlichen gesellschaftlichen Bedeutung. Die RFEF hat seit 2019 vom Staat 47 Millionen Euro an Zuwendungen erhalten, trotz der eigenen Millionen- Deals. Ein Teil davon galt der Werbung für die Fußballweltmeisterschaft der Herren 2030, für die sich Spanien gemeinsam mit Portugal und Marokko bewirbt. Sportminister Miquel Iceta räumte selbst ein, dass der Auftritt von Rubiales in Sydney und seine sture Weigerung, das Fehlverhalten einzugestehen, dem internationalen Ansehen des Landes schade. Die WM-Bewerbung sieht er allerdings bislang nicht gefährdet. „Wenn wir jetzt schnell reagieren, können wir aus dem Vorfall sogar gestärkt herauskommen“, versicherte der spanische Sportminister.

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