Separatisten stimmen gegen Amnestie-Gesetz: Wie viel Zukunft hat die spanische Regierung?

Die katalanische Separatistenpartei Junts stimmt gegen das von ihr geforderte Gesetz – das bringt die Minderheitsregierung in die Bredouille

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (Sozialisten) muss weiter um seine Regierungsmehrheit bangen.  | FOTO: EFE/ DANIEL GONZÁLEZ

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (Sozialisten) muss weiter um seine Regierungsmehrheit bangen. | FOTO: EFE/ DANIEL GONZÁLEZ / Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Die Zukunft der spanischen Minderheitsregierung hängt in der Luft, nachdem das umstrittene Amnestiegesetz für die katalanischen Separatisten im ersten Anlauf gescheitert ist. Bei der Abstimmung im Unterhaus am Dienstag (30.1.) votierte Junts, eine der beiden katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit von Spanien eintreten, gegen das Gesetz. Die Linksregierung von Premier Pedro Sánchez hatte nicht auf weitere Änderungswünsche eingehen wollen.

Der Sozialist war im November dank der Stimmen von Junts und der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) zum Regierungschef wiedergewählt worden. Dabei versprachen die Sozialisten eine Amnestie für die Beteiligten am illegalen Referendum und die Unabhängigkeitserklärung von 2017. Es war ein Zugeständnis, das die PSOE von Sánchez noch bei den Parlamentswahlen im Juli strikt abgelehnt hatte. In den vergangenen Wochen hatten sich die Verhandlungen über die Amnestie zu einer Art Katz-und-Maus-Spiel mit der Justiz entwickelt. Der Untersuchungsrichter des Nationalen Gerichtshofes (Audiencia Nacional) Manuel García-Castellón hatte seine Ermittlungen zu den Protesten und Straßenblockaden 2017 ausgeweitet und prüft, ob man den damaligen katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont wegen Terrorismus anklagen kann.

Im Visier der Richter

Anlass ist für den umstrittenen Richter der tödliche Herzinfarkt eines französischen Touristen am Flughafen Barcelona, als El Prat von Tausenden Demonstranten belagert wurde. Juristen halten den Terrorvorwurf gegen Puigdemont und andere Separatistenführer für weit hergeholt und haltlos. Doch Junts und ERC wollen sichergehen, dass ihre Politiker in jedem Fall von der Amnestie geschützt sind.

Puigdemont floh vor der spanischen Justiz nach Belgien, von wo aus er heute die Stricke bei Junts zieht. Die Sozialisten und ihr Koalitionspartner Sumar akzeptierten, dass gewisse Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, die von einem Gericht als Terrorismus eingestuft werden könnten, unter das Amnestiegesetz fallen. Das gilt etwa für Gruppen, die Autobahnen blockierten. Doch zog die PSOE eine rote Linie und schloss Terrorismusdelikte, die „mit direkter Absicht“ das Ziel verfolgten, „schwere Menschenrechtsverletzungen zu verursachen“ von der Amnestie aus. Als Maßstab gelten die Artikel 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Junts stimmt mit PP und Vox gegen Gesetz

Eigentlich schien man sich schon einig, doch im letzten Moment traute Junts dem Braten nicht und stimmte mit der konservativen PP und der rechtsradikalen Vox gegen das Gesetz. Die Bedenken der Separatisten vermehrte noch ein weiterer Untersuchungsrichter: Joaquín Aguirre beschloss vor einigen Tagen, seine Ermittlungen zu den Beziehungen zwischen den Separatisten und der russischen Regierung auszuweiten. In der Tat gab es Kontakte von Leuten aus dem engeren Umfeld Puigdemonts mit russischen Agenten.

Der Verdacht ist, dass das Regime von Wladimir Putin die Abspaltung Kataloniens fördern wollte, um Spanien und damit Europa zu schwächen. Doch konnte Aguirre diese These bis heute nicht erhärten. Der Richter gab den ARD-Tagesthemen vom Dienstag (30.1.) ein Interview über das Thema. Diese ungewöhnliche Geste erhärtete bei vielen den Verdacht, dass Aguirre aus politischen Gründen handeln könnte.

Das Nein von Junts ist nicht unbedingt das letzte Wort. Das Gesetz wird nun im Justizausschuss beraten und könnte dann erneut und in veränderter Form zur Abstimmung vorgelegt werden. Es ist jedoch fraglich, ob Sánchez zu weiteren Zugeständnissen an die Separatisten bereit ist. Denn seit zwei Monaten gibt es massive Proteste gegen den Straferlass. Erst am Sonntag (28.1.) versammelte die PP in Madrid Zehntausende Demonstranten. Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo argumentiert, dass Sánchez und damit ganz Spanien von den Separatisten „gedemütigt“ werde.

Haushalt in Gefahr

Nun erhöhen die Regierung und die anderen Parteien wie ERC, die für das Gesetz stimmte, den Druck auf Junts. Ohne eine Amnestie ist eine straffreie Rückkehr Puigdemonts nach Spanien nicht möglich. Doch betrifft die Maßnahme auch Hunderte Menschen, die wegen ihrer Beteiligung am Referendum und den Protesten mit Strafen rechnen müsse, etwa Schuldirektoren, die ihre Gebäude für die Abstimmung zu Verfügung stellten. Bei ERC wird angedeutet, dass es Puigdemont mehr um sein eigenes Schicksal als das der Menschen gehe.

Die Regierung bemüht sich um Gelassenheit. „Uns bleiben dreieinhalb Jahre“, so Justizminister Félix Bolaños. Doch ohne die sieben Abgeordneten von Junts hat die linke Minderheitsregierung keine Mehrheit im Parlament. Sollte Junts nicht einlenken, wäre etwa der Haushalt gefährdet, der noch vor dem Sommer nachträglich für 2024 verabschiedet werden soll. In jedem Fall ist die hitzige Debatte über die Amnestie, welche die Gesellschaft spaltet, noch lange nicht vorbei.

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