Mallorca Zeitung

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Die anderen Mallorca-Auswanderer: So bereichern Lateinamerikaner die Insel

Sie arbeiten hart, bringen Ihr Wissen und Können ein, engagieren sich und erweitern obendrein die Insel-Gastronomie - vier Geschichten von Latinos auf Mallorca

Lateinamerikaner auf Mallorca: Reina Lladó, Andrés Valencia, Daniel Oliveira Privat

Es gibt Forscher, die überzeugt davon sind, dass Christoph Kolumbus Mallorquiner war. Damit würde sich der Kreis schließen. Am Donnerstag (12.10.) feierten die Spanier den „Día de la Hispanidad“, die „Entdeckung“ Amerikas am 12. Oktober 1492. Heute sind es eher die Süd- und Mittelamerikaner, die Mallorca als neue Heimat für sich entdecken. Vier weitere Begegnungen mit Menschen, die die Insel mit ihrer Arbeit, ihren Erfahrungen und ihrer Kultur bereichern.

Reina Lladó, Ärztin

Sie kam als „rückkehrende Auswanderin“ nach Mallorca – die in Venezuela geborene Kinderärztin Reina Lladó besaß dank ihres menorquinischen Vaters, der sich in den 50er-Jahren ein neues Leben in Venezuela aufgebaut hatte, einen spanischen Pass. Trotz ihrer ersten Festanstellung als Ärztin beschloss sie 2004 wegen der Unsicherheit und der beginnenden Inflation in ihrem Geburtsland ihren Schwestern nach Mallorca zu folgen. Auf der Insel fand sie schnell eine Anstellung, war zunächst im privaten Gesundheitswesen beschäftigt und arbeitet heute im öffentlichen Gesundheitssystem IB-Salut. Rund 27.000 Mal hat sie seit ihrer Ankunft Kinder verarztet und als Spezialistin für Kinderernährung viele kleine Inselbürger mit Gewichtsproblemen behandelt.

Doch der Einsatz für ihre Patienten reicht der lebhaften 52-jährigen nicht aus: Schon während des Studiums hatte sie sich in Venezuela für die medizinische Versorgung von Menschen in Not eingesetzt, von Mallorca aus leitet sie nun Hilfseinsätze in Afrika. „Hier wird so viel Medizin weggeschmissen, die andernorts Leben retten kann – da musste ich etwas tun“, sagt sie. Und so bringt sie mit Unterstützung vieler Einheimischer von privaten und öffentlichen Kliniken der Insel regelmäßig Medikamente und Material in den Tschad, aber auch in Länder Lateinamerikas.

Auf Mallorca fühlt sie sich nach 20 Jahren zu Hause – zwar habe sie die Mallorquiner anfangs als ein wenig verschlossen erlebt, doch bis auf wenige ältere Menschen habe sie kaum jemand als forastera, also als Fremde behandelt. Zwei ihrer drei Kinder sind auf Mallorca geboren, und um die Integration perfekt zu machen, lernt sie nun Mallorquinisch. Und merkt auch da, wie sehr sie angekommen ist: „Gestern habe ich mich für einen Katalanisch-Kurs angemeldet. Die Frau am Telefon fragte meine Daten ab und rief plötzlich „Ach, Sie sind das! Sie waren die Kinderärztin meiner Töchter!“

Andrés Valencia, Hilfsarbeiter

So schlecht klingen die Arbeitsbedingungen von Andrés Valencia eigentlich nicht: Der 34-jährige Kolumbianer reinigt die Flure in einem mehrstöckigen Wohnhaus in Cala Millor, im Gegenzug darf er dort kostenlos leben. „Das sind etwa sechs Stunden Arbeit in der Woche. Die restlichen Tage suche ich mir Gelegenheitsjobs, um mir mein Essen zu verdienen“, sagt er. Der Haken: Seine Arbeitgeber weigern sich, ihm einen Vertrag zu geben. Ohne das Schriftstück hält sich Andrés Valencia illegal auf der Insel auf. „Ich habe kein Anrecht auf Arbeitslosengeld oder eine Krankenversicherung. Spanien darf ich nicht verlassen, weil ich sonst nicht mehr einreisen dürfte“, sagt der im Rathaus gemeldete Kolumbianer.

In Kolumbien arbeitete er als Möbelverkäufer. „Doch ich suchte nach Möglichkeiten, um ein besseres Leben zu führen.“ 2019 zog es ihn aus seiner Heimat ins Baskenland. Die Nähe zur Schweiz, wo seine zwei Söhne mit der Mutter leben, spielte eine Rolle. Zwei Monate später ging es auf die Insel. „Ich kam als Tourist und wurde am Flughafen nach Drogen geröntgt“, sagt er.

Über einen Freund kam er an die Kundenkarte eines Getränkegroßmarkts. „Ich bekam die Dose Bier für 57 Cent und verkaufte sie für 2 Euro am Strand an der Playa de Palma weiter.“ Die Einnahmen reichten, um über die Runden zu kommen. Im Winter stieß er auf den Job in Cala Millor. „Zuerst wurde ich als Maler angestellt.“ Da der Bau wegen fehlender Lizenzen stockte, behielt der kolumbianische Bauherr seinen Landsmann, damit er die Immobilie vor Hausbesetzern beschützt. „Eine Kochplatte, die mit einem Generator betrieben wurde, eine Matratze auf dem Boden und 700 Euro im Monat“, beschreibt Valencia den Job.

Als der Bau fertig war, durfte er als Putzkraft bleiben. „Die Schwarzarbeit hat viel mit Vertrauen zu tun. An wen soll ich mich wenden, wenn ich nicht bezahlt werde? Oft werden die Arbeiter abgezockt.“ 60 Euro betrage der übliche Tagessatz. „Vielleicht 70 Euro, wenn es ein fleißiger Typ ist.“ Solange er keine Probleme mit der Polizei bekommt, darf er bleiben. „Nach der dritten Straftat bekommt man aber den Ausreisebescheid in die Hand gedrückt.“ In der Beziehung habe er zwar keinen Stress, aber die Situation ohne Papiere belaste ihn stark. „Selbst über eine Scheinehe habe ich schon nachgedacht“, sagt er.

Lateinamerikaner auf Mallorca: Von li. o. im Uhrzeigersinn: Reina Lladó, Andrés Valencia, Daniel Oliveira, Mauricio Mergold Privat

Mauricio Mergold, Wirt

Als es Mauricio Mergold hinter den Herd seiner Taqueria Apapacho verschlug, hatte er bereits eine erfolgreiche Karriere als Fotograf hinter sich. So erfolgreich, dass der Mexikaner nach seiner Auswanderung ins südspanische Córdoba von den Behörden per Brief eingeladen wurde, die spanische Staatsangehörigkeit anzunehmen. „Das kommt nicht so oft vor, aber vermutlich hat meine Arbeit für ‚National Geographic‘ eine Rolle gespielt“, sagt der 62-Jährige und lacht. Nach acht Jahren bekam seine belgische Frau eine leitende Position in einem Hotel auf der Insel angeboten, Mergold folgte, weil er als Fotograf ohnehin viel auf Reisen war. Dann kam seine Tochter zur Welt – und er gab seinen Beruf auf, um sich um sein Kind zu kümmern. Er hat zwar keine Ausbildung als Koch, doch zum einen hatte seine Familie in Mexiko ein Restaurant, und zum anderen können seiner Ansicht nach viele Fotografen der alten Garde sehr gut kochen: „Sie kennen sich mit Zutaten, Mischungen und Chemie gut aus.“ Als seine Tochter aus dem Gröbsten raus war, eröffnete Mergold sein Tacos-Lokal: zunächst in Pere Garau, mittlerweile „in der Peripherie des In-Viertels“ Santa Catalina. Seine Kundschaft ist ihm treu geblieben. Für Mergold steht fest, dass die vielen lateinamerikanischen Restaurants die Inselküche bereichert haben: „Sie haben neue Zutaten und Zubereitungen eingeführt, die nun vielfach übernommen werden.“

Daniel Oliveira, Politiker

Die Karriere von Daniel Oliveira lässt sich als „vom Beruf zur Berufung“ zusammenfassen. Den aus Brasilien stammenden Agrartechniker verschlug es – nach einer mehrjährigen Zwischenstation in Madrid, wo er sich auch als Schauspieler versuchte – 1998 nach Mallorca. Schon in der Hauptstadt hatte er Kontakte zu Spaniens sozialistischer Partei PSOE geknüpft: „Ich hatte nach meinem Studium Lust, die Welt zu erkunden. Damals, Anfang der 80er-Jahre, waren meine beiden Bezugspunkten in Sachen Spanien Julio Iglesias und der damalige Ministerpräsident Félipe González“, erinnert sich der heute 54-Jährige.

Als er 1998 auf die Insel kam und zunächst als Landvermesser arbeitete, fand er auch hier wieder den Weg zu den Parteifreunden. Er sei schon immer ein engagierter Mensch gewesen, der sich einbringen wolle, sagt Oliveira, der seit 2015 im Stadtrat von Palma sitzt. Er arbeite für alle Bürger der Stadt, betont er, doch nicht zuletzt wegen seiner eigenen Geschichte liege ihm das Thema Integration besonders am Herzen. Aktuell setzt er sich dafür ein, dass Palma dem Netzwerk interkultureller Städte (RECI) beitritt, dessen Mitglieder sich über Integrationsmaßnahmen austauschen und dafür einsetzen, Diversität als Chance zu begreifen.

Die Einwanderung sei wichtig für Spanien, erklärt Oliveira, und eine gelungene Eingliederung ein Muss. „Als Politiker können wir nicht darauf warten, dass die Einwanderer sich schon selbst integrieren. Es braucht entsprechende politische Maßnahmen, die von Sprachförderung bis zur Chancengleichheit reichen.“ Nur so sei eine bessere Zukunft für alle möglich. Er selbst habe in all den Jahren, seit dem er sein Geburtsland verlassen habe, kaum einmal negative Erfahrungen gemacht. „Egal, wo ich auch hingehe, ich treffe immer auf freundliche Menschen“, sagt er. „Das liegt aber vielleicht auch daran, wie ich die anderen behandle.“

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