Corona trifft alle - jeden auf seine Art. Als im Frühjahr auf Mallorca der Lockdown ausgerufen wurde, war mein Sohn Teo gerade sechs Monate alt. In seiner kleinen Welt ist es normal, dass Erwachsene sich hinter Masken verstecken, dass er an Spielplätzen höchstens mit dem Absperrband der Polizei spielen darf und dass es nur wenige Personen gibt, die ihm nah sein können. Die neue Normalität ist für Teos Generation die einzige, die existiert. Doch was macht das mit den Kleinsten? Und was mit uns Eltern?

„Ich glaube, dass die Kleinen nachhaltig davon beeinflusst werden", sagt Carmen ­Pastor. Ihre Tochter Gabriela ist zwei Monate jünger als mein Teo, die beiden lernten sich in einer Babygruppe in der Stadtbücherei von Cala Ratjada kennen. Einem Raum, in dem die Kleinsten mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen sollten, um erste soziale Kompetenzen aufzubauen. Vor Corona und Social Distancing, versteht sich! Ich erinnere mich, wie ­Carmen Anfang März in der Gruppe erzählte, wie schwer es ihr fiel, die Kleine mit gerade mal vier Monaten zur Eingewöhnungsphase in die Kita zu bringen, weil sie selbst zum Saisonstart in einem Hotel arbeiten musste. Das normale Schicksal einer spanischen Mutter - nach 16 Wochen Mutterschutz geht es wieder an die Arbeit, erst recht für Saisonkräfte.

Doch mit dem Lockdown fielen nicht nur die Babygruppe und die Kita flach, sondern auch Carmens Arbeit. „Das ist das einzige Gute an der Pandemie, dass ich letztlich doch den ganzen Sommer zu Hause bei Gabriela bleiben konnte. Und mit dem Kurzarbeitsgeld kommen wir ganz gut über die Runden", sagt ­Carmen heute. Ich kann sie verstehen. Mehr als das: Ich beneide sie. Ich selbst wollte nach Elternzeit und Freistellung im Sommer mit einer halben Stelle wieder anfangen zu arbeiten. Ich bin eben doch noch aus Deutschland geprägt, wo Mütter bis zu zwei Jahre zu Hause bleiben können. Doch in der Pandemie fand mein Freund keinen Job - jetzt jongliere ich zwischen Vollzeitstelle, Haushalt und Mama-Rolle und habe stets das Gefühl, nicht allem gerecht zu werden. Wenn Corona mir eines ­genommen hat, dann Zeit mit meinem Baby.

Unerwartete Chance

Es ist interessant, wie sehr die Pandemie gepaart mit den Mutterhormonen vieles im Inneren auf den Kopf stellt. Das hat auch Cintia Vázquez gemerkt. Ich kenne sie von „früher" - aus der Zeit, als Windeln und Virus mein Leben noch nicht bestimmten - aus einer Diskothek in Cala Ratjada. Eigentlich hatte Cintia vor, vier Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mia bereits wieder dort zu arbeiten. Doch die Disco blieb zu. „Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich Mia so früh zu Hause gelassen hätte. Für mich war es das beste Jahr, um ein Baby zu bekommen. Weder ich noch mein Mann hätten unter normalen Umständen so viel Zeit mit Mia verbringen können, wie es uns momentan möglich ist", berichtet sie.

Doch Zeit ist nicht alles. Shirley Salas, die ich über eine gemeinsame Baby-Bekannte kennengelernt habe, erzählt mir, dass ihre Tochter Noelia in den elf Monaten ihres bisherigen Lebens weder die abuelos aus Bolivien kennenlernen konnte, noch die Großeltern aus Deutschland. „Nur der eine Opa hat sie einmal gesehen. Alle anderen wollten Ende März oder im April kommen, was natürlich nicht geklappt hat." Auch ein verspäteter Kennenlernbesuch zu Weihnachten steht nun wegen der Reisebeschränkungen auf der Kippe. Es ist nicht nur schade, wenn enge Verwandte dieses erste, spannende Lebensjahr verpassen, in dem der Nachwuchs vom Neugeborenen zum Kleinkind heranwächst. In Noelias Fall haben die fehlenden Großeltern auch konkrete Auswirkungen auf das Verhalten der Kleinen. „Sie lässt sich von niemandem außer mir und meinem Mann länger halten, weil sie es einfach nicht kennt. Sie ist sehr auf uns fixiert. Ich wüsste gar nicht, was wir machen sollen, wenn wir mal einen Notfall haben und sie abgeben müssen", sagt Shirley. Sie hat die weitere Kinderplanung wegen Corona erst einmal auf Eis gelegt.

Allein krabbeln

Auch Teo fing nach der Ausgangssperre im Frühjahr regelmäßig an zu schreien, wenn jemand ihn auf den Arm nahm, der nicht zum Haushalt gehört. Kein Wunder nach Monaten ohne andere Gesellschaft. Dank der Schwiegerfamilie vor Ort hat sich das aber schnell wieder gelegt. Dafür ist Teos Sozialverhalten mit anderen Kindern mangelhaft, wie sich bei sporadischen Treffen mit Gleichaltrigen zeigt. Er hat noch nicht gelernt, dass Hauen und Beißen kein guter Weg sind, um mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen - woher auch? Seit Corona gibt es ja weder Raum noch Gelegenheit für ausgiebige Kontaktaufnahme.

Die drei Mütter, mit denen ich spreche, ­verurteilen die Spielplatzschließungen, die nach mehreren Monaten seit Samstag (28.11.) nun endlich aufgehoben worden sind. Die Bars seien ja auch noch geöffnet, sagen sie. Und für Kleinkinder gebe es keine Alternative. Einerseits stimme ich ihnen zu. Andererseits kann ich mich nur allzu gut daran erinnern, dass in den wenigen Wochen der „neuen Normalität", als die Spielplätze im Sommer für ein paar Wochen geöffnet waren, die Masken- und Abstandsregeln von zahlreichen Eltern komplett ignoriert wurden, solange kein Ortspolizist Präsenz zeigte. Ich flüchte mit Teo regelmäßig in den Wald. Auslauf und Klettermöglichkeiten hat er hier genug. Nur eben keine anderen Kinder, die ihm die Welt auf ihre ganz eigene Weise zeigen.

Ich bin froh, dass ich zumindest die ersten Monate als frischgebackene Mutter unter normalen Verhältnissen erlebt habe. Das kann ­Cintia Vázquez nicht behaupten. Ihre Mia ­erblickte am späten Abend des 13. März das Licht der Welt - knapp eine Stunde später, um Mitternacht, wurde in den Krankenhäusern corona­bedingt ein Besuchsverbot verhängt. Als ­Mutter und Tochter am 16. März entlassen wurden, ging es für sie direkt in die Ausgangssperre. Das Wochenbett im Ausnahmezustand - kein schönes Erlebnis, berichtet sie. Kennenlernbesuche, erste Spaziergänge, Hilfe von Verwandten - alles war tabu. „Es war schlimm, ich habe sehr viel geweint", erinnert sich Cintia.

Heute sind es auch die Hygieneregeln, die Eltern eines krabbelwilligen Wurms mit der Realität in Konflikt bringen. „Es ist unmöglich, die Kleinen daran zu hindern, etwas anzufassen. Anfangs habe ich es versucht und mich ­gestresst. Aber es ist nicht gut, wenn Noelia ­immer nur hört, dass sie nichts erkunden darf. Mittlerweile lasse ich sie machen", sagt Shirley Salas. Ich handhabe es genauso.

Ein wunder Punkt für viele Eltern ist ­in Corona-Zeiten der erste Geburtstag des Nachwuchses. „Für meinen älteren Sohn, Manuel, habe ich damals eine Riesenfete gemacht, mit Verwandten und Freunden", erinnert sich ­Carmen Pastor. Die kleine Gabriela dagegen habe zu ihrem Geburtstag nur eine gebastelte Krone und ein Ständchen bekommen. Zugegeben: In dem Fall sind es nicht die Kleinen, deren Wünsche unerfüllt bleiben. Welcher Einjährige begreift schon, was Geburtstag ist?

„Ich denke, dass es für ältere Kinder viel schwieriger ist, mit all den Verboten und Einschränkungen umzugehen als für Babys", sagt Cintia Vázquez. Das glaubt auch Carmen ­Pastor, deren fünfjähriger Sohn in zahlreichen Situationen im Alltag ganz bewusst mitbekommt, dass vieles nicht mehr so ist wie früher. Vermutlich haben die beiden recht. Doch ich bin mir sicher, dass auch die Kleinsten spüren, dass wir in unsicheren Zeiten leben, in denen kein Elternteil sich gänzlich von Sorgen los­sagen kann. Letztlich sind wir für die Jüngsten das Fenster zur Welt, erst recht in Corona-Zeiten. Masken und langes Händewaschen dürfen von mir aus zur Normalität der neuen Kindergeneration dazu gehören. Sorgen aber nicht.