„Wo sollen wir denn sonst hin?“, fragt Ela. Die 16-Jährige aus Arenal trifft sich regelmäßig nachts mit ihren Freunden zum Feiern. Mal gehen sie an den Strand, mal zum nahe gelegenen Wasserpark, mal in ein Gewerbegebiet in Palma. Ihre Mutter Maria Antònia zuckt mit den Schultern: „Recht ist es mir nicht, aber ich fahre sie trotzdem hin und hole sie wieder ab. So weiß ich wenigstens, dass sie sicher wieder nach Hause kommt.“ Beide wollen ihre Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen.

Der Teenager ist einer von mehreren Tausend, die sich Wochenende für Wochenende zusammenfinden, um sich unter freiem Himmel zu betrinken. Das Phänomen ist nicht neu. Im Spanischen gibt es sogar einen Begriff dafür: botellón. Neu sind auch die Probleme nicht, die damit einhergehen: Unmengen an Abfall, Ruhestörungen, wildes Urinieren oder Sachbeschädigungen. In diesem Sommer sind die botellones jedoch zusätzlich in Verruf geraten. Denn die Massenzusammenkünfte gelten als Covid-Infektionsherde – Sicherheitsabstände werden nicht eingehalten, Schutzmasken fallen, und gerade viele junge Leute sind noch nicht geimpft. Viele Teilnehmer steckten sich denn auch in den vergangenen Wochen mit dem Virus an.

Botellón bedeutet übersetzt große Flasche. Denn viele der Teilnehmer bringen ihre alkoholhaltigen Mixgetränke in den großen Zwei-Liter-Plastikflaschen mit. In ganz Spanien läuten Jugendliche und junge Erwachsene seit Jahrzehnten so einen Partyabend ein – besonders in der warmen Jahreszeit. „Wenn man in den Bars vortrinkt, wird man doch arm“, erklärt Ela: Es ist günstiger, sich mit selbst gemixten Getränken Promille anzueignen. In Deutschland ist das sogenannte Vorglühen durchaus auch üblich, meist betrinken sich die jungen Leute allerdings in den heimischen vier Wänden wie beispielsweise Studenten-WGs, bevor es dann weiter zur eigentlichen Party oder in die Discos geht. Da junge Erwachsene in Spanien im Durchschnitt länger als in Deutschland bei ihren Eltern wohnen, fällt die Alternative, sich einfach bei einem Kumpel zu treffen, oftmals weg. Also geht es raus auf die Straße.

Fehlende Alternativen

Verboten sind solche Ansammlungen auf Mallorca bereits seit 2011, bis zu 3.000 Euro Bußgeld drohen bei Verstößen. Aus der Mode kam der botellón dennoch nie, auch weil die Polizeikontrollen oft zu lasch sind. In diesem Jahr drängt das Problem, da Partyalternativen fehlen. Das Nachtleben in den Clubs und Discos liegt aufgrund der Pandemie weitestgehend auf Eis. Auch wird es die traditionellen Sommerfeste in den Dörfern, die verbenas, nicht geben, dort pilgert das Jungvolk normalerweise in Scharen hin.

Die jungen Mallorquiner treffen sich häufig in den Gewerbegebieten von Palma wie Son Castelló, Can Valero und Son Morro. Es gibt breite Straßen und reichlich Platz, viele Bars und Clubs sind dort ansässig, kein Mensch stört sich am Lärm. Wenn die Arbeiter und Angestellten nach Hause fahren, geht die Party los. Dann dröhnt die Musik lautstark aus Autos mit offenem Kofferraum, die Straßen werden zugemüllt, und auch illegale Autorennen finden statt.

Alejandro Sáenz de San Pedro bereitet das Treiben zunehmend Kopfschmerzen. Er ist Geschäftsführer von Asima, der Industriellenvereinigung für die Gewerbegebiete Son Castelló und Can Valero. „Den botellón gibt es schon lange, aber allmählich wird die Entwicklung besorgniserregend.“ Sáenz de San Pedro berichtet unter anderem von Graffiti an den Fassaden der Gewerbehallen, dass einige Unternehmen private Sicherheitsdienste in Anspruch nehmen, um sich vor Vandalen zu schützen und dass Arbeiter in der Frühschicht Probleme mit Betrunkenen hatten, die Zufahrten und Eingänge blockierten.

Der Mittelpunkt des Geschehens ist seiner Aussage nach der Carrer Setze de Juliol in Höhe Toyota-Autohaus und Saiton Armarios. „Warum gerade dort, das ist ein Mysterium“, sagt er. Vielleicht liege es an der Nähe der Zufahrt zur Autobahn. Auch ist der Konzertsaal Es Gremi nicht weit. „Die Jugend soll sich ja amüsieren, aber ohne diese hässlichen Nebeneffekte. Soll sie doch ihren Müll einfach wieder mitnehmen“, so Sáenz de San Pedro. Asima forderte eine verstärkte Präsenz der Polizei sowie der Straßenkehrfahrzeuge der Stadtwerke Emaya – und bekam beides. „Wir sind uns natürlich der Arbeit der Polizei bewusst, doch fragen wir uns auch, wie lange es solche Großeinsätze noch geben wird“, betont der Geschäftsführer von Asima.

Abgesperrte Straßenzüge

„Die Ortspolizei Palma und die Nationalpolizei haben sich zu einer großen Spezialeinheit zusammengeschlossen“, erklärt Héctor Rubio, Sprecher für Bürgersicherheit im Rathaus der Balearen-Hauptstadt. Am Wochenende kontrollieren nun Beamte verstärkt in den Gewerbegebieten. Ganze Straßenzüge werden abgesperrt. Wer morgens durch die polígonos fährt, sieht noch die zahlreichen blauen Absperrgitter am Straßenrand stehen.

Wie viele Polizisten im Einsatz sind und welche Bereiche genau betroffen sind, darüber schweigt sich der Lokalpolitiker aus. So wurden allein am Donnerstagabend vergangener Woche 84 Fahrzeuge kontrolliert, 35 Personen mussten ihre Personalien angeben. Die Polizisten notierten 20 Verstöße und schrieben 16 Anzeigen. „So verfahren wir schon seit einem Monat, seitdem die Ausgangssperre aufgehoben wurde“, meint Rubio. „Aber natürlich muss es ein Gleichgewicht innerhalb der Stadt geben, nicht alle Polizisten können sich um die Trinkgelage in den Gewerbegebieten kümmern.“

Denn auch in anderen Ecken Palmas stört das Partyvolk auf den Straßen. Im Viertel Santa Catalina und an der Playa de Palma beispielsweise bringen vor allem Touristen die Anwohner um den Schlaf und sich selbst um den vorgeschriebenen Mindestabstand. Am Paseo Marítimo feiern wiederum bevorzugt junge Spanier. Das Problem lässt sich erfahrungsgemäß schwer lösen, es verlagert sich vielmehr. Am vergangenen Wochenende musste die Polizei in Valldemossa und Esporles ausrücken, um dort gegen Trinkgelage vorzugehen. Seit einigen Tagen dürfen der Einzelhandel und Tankstellen mallorcaweit ab 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen. Ob solche Maßnahmen die „großen Flaschen“ auf Dauer austrocknen?