Der Sommer war wieder einmal reich an erschütternden Bildern von Umweltkatastrophen. In Spanien sorgte das Fischsterben im Mar Menor für große Bestürzung. Die einzigartige Salzwasserlagune in der Region Murcia, die durch eine gut 20 Kilometer lange, enge Landzunge vom Mittelmeer getrennt ist, erlitt im August zum erneuten Mal eine desaströse Veränderung ihres ökologischen Gleichgewichts. Entlang der 73 Kilometer langen Küste des Binnengewässers wurden Tonnen von toten Fischen angespült. Rund 70.000 Personen protestierten am Samstag (28.8.) mit einer Menschenkette um das Mar Menor gegen den Umweltgau. Denn zwei Dinge stehen unbestreitbar fest: Die Katastrophe geht auf die intensive Landwirtschaft in der Region zurück. Und sie war seit einiger Zeit absehbar und somit womöglich vermeidbar gewesen.

Das Mar Menor war bekannt durch sein kristallklares Wasser, in dem eine abwechslungsreiche Fauna gedieh. Der Salzgehalt ist höher als im angrenzenden Mittelmeer, das Gewässer ziemlich flach. Die Lagune war daher seit Jahrzehnten ein beliebter Badeort. Auf der Landzunge entstanden massive Hotel- und Wohnblocks, welche zusätzliche Probleme für die Lagune schafften. Doch das Hauptproblem ist die Landwirtschaft in Murcia.

Vor fünf Jahren gab es das erste Warnzeichen, als sich das klare Wasser plötzlich in eine trübe grüne Suppe verwandelte, bevor es sich wieder erholte. Im Oktober 2019 kippte das Gleichgewicht erneut mit erschütternden Bildern von Fischen und Krebsen, die ans Ufer sprangen und kletterten und dort verendeten. Die Tiere flohen vor dem plötzlichen Sauerstoffmangel im Wasser. Die Ursache ist hinlänglich bekannt. Ins Mar Menor fließen regelmäßig Massen von Nährstoffen aus Düngemitteln der Landwirtschaft. Die Phosphate und Nitrate nähren dann das Plankton in der Lagune, das sich so weit ausbreitet, bis kein Licht mehr durchdringt und so schließlich der Sauerstoff aufgebraucht wird. Die hohen Sommertemperaturen verstärken den Prozess.

Umweltschützer warnen seit Jahren vor den Schäden durch die Agrarwirtschaft im Umland, dem Campo de Cartagena. Doch die Behörden blieben bis heute weitgehend untätig. Die Landwirtschaft ist neben dem Tourismus der größte Wirtschaftszweig in Murcia, einer kleinen Region mit 1,5 Millionen Einwohnern. Diese Gegend ist traditionell wasserarm. Früher stellten sich die Landwirte auf diese harschen Bedingungen ein und kamen mit dem wenigen Wasser aus Flüssen und von Regenfällen aus. Doch mit Vollendung des Trasvase Tajo-Segura – einem fast 300 Kilometer langen Kanal, der Wasser vom Tajo-Becken in Zentralspanien an die Mittelmeerküste umleitet – begann in den 1980er-Jahren die intensive Landwirtschaft. Die künstlichen Bewässerungsanlagen wachsen seit Jahren und ermöglichen dank des sonnigen Klimas den Anbau zahlreicher Frucht- und Obstarten. In den vergangenen zehn Jahren haben die Exporte aus Murcia um 43 Prozent zugelegt, vieles davon landet in Supermärkten Nordeuropas.

Das gute Geschäft hat illegale Praktiken blühen lassen, so etwa das Anzapfen von Grundwasservorräten oder nicht regulierte Entsalzungsanlagen, die das Wasser zusätzlich verschmutzen. Umweltschützer und Behörden gehen mittlerweile davon aus, dass es etwa 10.000 Hektar illegal bewässerte Anbaufläche in Murcia gibt. Doch niemand ging bislang wirklich dagegen vor.

Als vor Tagen wieder tote Fische das Ufer des Mar Menor säumten, übten sich die Regierungen in Murcia und Madrid zunächst in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Denn das Mar Menor untersteht als Küstengebiet dem spanischen Umweltministerium. Doch für die Regulierung der örtlichen Landwirtschaft ist die Regierung der Region Murcia zuständig. So stellte das zuständige Wasserwirtschaftsamt CHS Hunderte Verstöße fest. Doch die Behörden in Murcia hinken beim Vollzug der Strafen arg hinterher.

„Wir müssen zunächst einmal das Recht durchsetzen und die illegalen Praktiken bestrafen“, sagte Spaniens Umweltministerin Teresa Ribera am Montag (30.8.), wohl an die Adresse der Verantwortlichen vor Ort gerichtet. Der Ministerpräsident von Murcia, Fernando López Miras, versprach, entschiedener gegen die illegalen Bewässerungsanlagen vorzugehen. Der Politiker von der konservativen Volkspartei kündigte zudem härtere Strafen für den Gebrauch unerlaubter Düngemittel im Umland der Lagune an. Ein anderer Lösungsvorschlag von López Miras sorgte dagegen für Entsetzen bei Umweltschützern. Der Regionalchef erwägt, einen Kanal ausbaggern zu lassen, der das Mar Menor mit dem Mittelmeer verbindet und so den Abfluss des sauerstoffarmen Wassers ermöglicht. Die Umweltschützer wollen dagegen klagen.

Von Madrid fordert der Konservative den Bau von Reinigungsanlagen, die Schadstoffe aus dem Abwasser filtern, bevor es ins Mar Menor gelangt. Doch Ribera, eine von drei Stellvertreterinnen von Spaniens sozialistischem Regierungschef Pedro Sánchez, winkte erst einmal ab. Solange der Ursprung des Problems nicht behoben werde, seien solche Investitionen reine Verschwendung, erklärte sie. Außerdem müsse eine weitere Bebauung am Mar Menor oder ein Wachstum der Landwirtschaft gestoppt werden.

Die Politiker müssen diese Pläne nun gegen die mächtige Agrarlobby durchsetzen. Dafür haben sie die Fischer vom Mar Menor auf ihrer Seite, die um ihre Lebensgrundlage bangen, sowie die Tourismusbranche. Denn die Bilder der mit toten Fischen gesäumten Ufer der Lagune sind freilich keine Werbung. Die Zentralregierung will in das Ökosystem investieren. Abgesehen vom Hauptproblem der Düngemittel fordern Experten landschaftliche Veränderungen. Feuchtgebiete rund um die Lagune, die von der Landwirtschaft eingenommen worden sind, müssten wieder renaturiert werden, ebenso die umliegenden Kanäle, die bei den häufigen Starkregenfällen das Wasser besser ableiten könnten.

Für solche Maßnahmen steht dem Land nun viel Geld aus dem europäischen Aufbaufonds zu Verfügung. Denn ein guter Teil der Hilfen aus Brüssel soll in den Umwelt- und Landschaftsschutz fließen. Bis sich allerdings das Mar Menor wieder einigermaßen erholt, dürfte es einige Zeit dauern.