Vorbild Deutschland: Mallorca will die Handwerks-Ausbildung praktischer gestalten

Berufsschüler sind auf den Balearen in ihrer zweijährigen Ausbildung nur zehn Wochen in einem Betrieb – nun startet ein neuer Anlauf, um das zu ändern

Die Auszubildenden lernen in der Schul-Werkstatt das verkabeln von Sicherungskästen.

Die Auszubildenden lernen in der Schul-Werkstatt das verkabeln von Sicherungskästen. / Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

Das Garagentor ist kaputt, der Balkon braucht einen neuen Boden, im Schlafzimmer würde ein Einbauschrank viel besser passen als der von Ikea. Mit anderen Worten: Ein Handwerker muss her. Deutschsprachige Residenten auf Mallorca wenden sich in solchen Fällen häufig an deutsche Handwerker. Weil sie ihre Sprache sprechen, weil sie Qualität versprechen, weil die Residenten wissen, was eine Ausbildung in Deutschland, was ein Meister bedeutet und darauf vertrauen.

Unbedingt notwendig ist das nicht, findet Oliver Girharz. Mit seinem Projektmanagement-Büro vertritt er den Bauherren und organisiert alles vom Architekten und den Ingenieuren bis zu den Handwerkern. „Als wir vor 18 Jahren auf Mallorca angefangen haben, haben wir sehr viel mit deutschen Handwerkern zusammengearbeitet“, erzählt er. Es habe damals einen erkennbaren Unterschied in der Qualifikation gegeben. Inzwischen böten auch spanische Firmen sehr gute Leistungen zu guten Preisen. Dennoch bleiben Unterschiede, mitunter in der Arbeitsweise, vor allem aber in der Ausbildung. Die soll auf den Inseln seit Langem praktischer werden. Dass Deutschland ein Vorbild ist, verschweigt keiner.

In der Berufsschule

Um zu verstehen, wo die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem spanischen Handwerk liegen, muss man dorthin, wo es gelernt wird. In einen Raum, in dem 25 junge Männer im Alter zwischen 16 und 19 Jahren mit Kabeln in der Hand auf- und abwuseln. „Dieser Schalter bestimmt den Strom im ganzen Haus, bei dem hier ist der Herd angeschlossen, hier das Wohnzimmer.“ Joan Bennàssar erklärt, was er tut, während er einen Sicherungskasten verkabelt. Er ist mit 19 Jahren nicht nur einer der ältesten Schüler seiner Klasse am IES Politècnic in Palma, sondern auch einer der erfahrensten. Er hat bereits zwei Ausbildungstitel, einen in frío (Kältetechniker) und einen in calor (Heizungsbauer). Jetzt macht er also die Lehre zum Elektriker.

Mit ihm im ersten Jahr ist der 17-jährige Toni Gervilla, der keinerlei praktische Erfahrungen mitbringt und momentan noch nicht ganz sicher ist, was er da tut. Zumindest sagt er das mit einem schelmischen Grinsen und schraubt weiter. Die Schüler haben erst drei Monate Ausbildung hinter sich. Die IES Politècnic ist sowohl eine weiterführende Schule von der siebten Klasse (primero de ESO) bis zum Abitur (bachillerato) als auch eine Berufsschule mit Ausbildungen in verschiedenen technischen Berufen.

Duale Ausbildung gibt es auf Mallorca bereits

Gervilla und Bennàssar lernen während ihrer formación profesional, kurz FP, Theorie und Praxis fast ausschließlich an der Schule. Nur ganz am Ende steht ein zehnwöchiges Praktikum an. Diese sogenannte Präsenzausbildung ist bis heute die häufigere Methode in Spanien. Seit 2012 gibt es auf den Balearen aber auch die duale Ausbildung, bei der die Azubis ähnlich wie in Deutschland an vier Tagen im Betrieb arbeiten und nur einen Tag pro Woche in der Schule sind. Hier übernimmt der Betrieb die praktische Ausbildung.

15 Jugendliche an der IES Politècnic machen jedes Jahr ihre Elektriker-Ausbildung auf diese Weise. Viele der jungen Männer entscheiden sich aber auch ganz bewusst dagegen. Zum Beispiel Marcos González, der sich im zweiten Jahr der Ausbildung zum Elektriker befindet. „Ich wollte mehr Zeit zum Pauken haben und die Theorie richtig lernen. Die Praxis bekomme ich, wenn ich arbeite, sowieso drauf“, sagt er. In seiner Gruppe sind sie nur noch zu siebt, mehr als die Hälfte der Klasse hat im Laufe des ersten Jahres aufgegeben. „Die Elektriker-Ausbildung ist eine der schwersten Lehren“, sagt der Lehrer Tomeu Segura. „Schließlich haben sie später viel Verantwortung.“

Die Balearen schrauben am Handwerk

Die Balearen schrauben am Handwerk / Marlene Weyerer

Die Jungs im zweiten Jahr sind ruhiger als die frischen Azubis im ersten. Und ihre Aufgaben sind komplexer: Sie bauen in der Schulwerkstatt automatisierte Rollos und lernen, wie ein Smart Home vernetzt werden kann. Schuldirektor Javier Caparros sieht in der Vielfalt der Arbeiten, die die Azubis lernen können, einen Vorteil der Präsenzausbildung. „Bei der dualen Ausbildung lernen die Jugendlichen eben nur das, was ihr Unternehmen braucht, nach der Präsenzausbildung können sie selbst schauen, in welcher Richtung sie arbeiten wollen und sich erst dann spezialisieren“, erklärt er. Außerdem findet er wichtig, der Theorie genug Platz einzuräumen.

Bücher oder Praxis?

„Es ist der ewige Streit: Wo lernt man mehr, in Büchern oder in der Praxis?“, sagt Antonio Baos, der die Skepsis von Schuldirektoren wie Caparros nur zu gut kennt. Baos ist im balearischen Kultusministerium Generaldirektor für Berufsausbildung. Er muss das neue Ausbildungsgesetz umsetzen, das seit April dieses Jahres gilt. Es ist ein sehr umfassendes Gesetz. Die größte Neuerung ist, dass Praktiker, die seit vielen Jahren, aber ohne Ausbildung in einem Beruf arbeiten, sich die Erfahrung anrechnen lassen und Titel erwerben können.

Unter anderem will das Gesetz aber auch mehr Praxis in die Handwerksausbildung bringen. „Es soll irgendwann so funktionieren, dass von jeder Klasse ein Teil eine duale Ausbildung macht“, sagt er. Die Lehrer könnten dann nach ein paar Einführungswochen je nach Leistung und Reife beschließen, welche ihrer Schüler einen Vertrag bei einem Unternehmen bekommen sollen. Auch die Präsenzschüler sollen nach dem neuen System praxisnäher ausgebildet werden. Statt nur zehn Wochen am Ende der Ausbildung, sollen sie einen Tag pro Woche in einen Betrieb verbringen. Um mehr Unternehmen dazu zu ermuntern, Auszubildende aufzunehmen, gibt es Fördergelder. „Eine Ausbildung bedeutet für die Firmen natürlich einen Mehraufwand, das wollen wir entlohnen“, sagt Baos. Für ihn ist dieses Geld besser angelegt als in teure Ausrüstung von Schul-Werkstätten, die es so oder so nie schaffen, auf dem neuesten Stand zu bleiben. „Die Unternehmen arbeiten sowieso mit modernem Equipment, es macht mehr Sinn, wenn die Schüler direkt dort lernen“, sagt er.

Auf dem neusten Stand zu bleiben ist schwer

Selbst mit Geräten auf dem neuesten Stand ist es schwierig, die Praxis zu simulieren. An der IES Politècnic schließen die Schüler im zweiten Lehrjahr zum Kältetechniker gerade neue Klimaanlagen an. „Allerdings ist das Anschließen später nur ein kleiner Bereich, in der Praxis müssen sie vor allem kaputte Geräte reparieren“, sagt der Lehrer Marc Niell. Er lässt seine Schüler alte und neue Geräte auseinanderbauen, ihre Funktionen überprüfen und putzen. Aber viel zum Reparieren gibt es bei den unbenutzten Ausbildungsgeräten nicht, das kommt dann im zehnwöchigen Praktikum.

Zehn Wochen in einem Betrieb seien viel zu wenig, um ein Handwerk richtig zu lernen. So sieht das zumindest Thomas Perlitschke. Der Schreiner hat 1996 seinen Betrieb CreaTeam in Inca eröffnet. Er hatte mehrmals deutsche Auszubildende für einen Auslandsmonat bei sich zu Besuch und hat vor einigen Jahren einen spanischen Jugendlichen ausgebildet, der allerdings in der Zeit nicht genug lernen konnte. „Selbst nach den drei Jahren Ausbildung in Deutschland stehst du eigentlich erst am Anfang“, so Perlitschke. Wobei er darauf hinweist, dass die Qualität der Ausbildung in Deutschland vom Unternehmen abhänge. „Manche nutzen ihre Azubis als billige Arbeitskräfte, die lernen dann nur wenig“, sagt er. Trotzdem sei ein deutscher Gesellenbrief weltweit anerkannt und Beweis für eine gute Ausbildung. „Da haben die Spanier in meinen Augen lange geschlafen“, sagt der Schreiner, der sich gleichwohl über die neuen Initiativen freut.

Schreiner lernen durch Fehler

Natxo Gual ist ebenfalls Schreiner. Der 45-Jährige hat selbst die klassische spanische Präsenzausbildung durchlaufen. „Die theoretischen Grundlagen waren schon wichtig, aber wirklich etwas gelernt habe ich erst später“, sagt er. Gual arbeitete nach der Ausbildung in verschiedenen kleinen Schreinereien. „Was an den Schulen gelehrt wird, hat mitunter wenig mit der Realität zu tun“, kritisiert er. Oft seien die Lehrer selbst keine Schreiner. Trotzdem sei es nach dieser Ausbildung möglich, ein guter Schreiner zu werden. „Die Schreinerei ist schließlich eine Arbeit, die man dadurch lernt, dass man immer wieder Fehler macht.“

Wer am Anfang sei, arbeite im Normalfall noch für weniger Geld. Das sei auch gut so, schließlich sei die Arbeit noch eine andere. Ähnlich sieht Gual die Arbeit der manitas. So werden in Spanien Menschen genannt, die alles irgendwie reparieren können. Teils privat, teils gewerblich. Wer eine Panne im Haus hat, ruft oft nicht den teureren Handwerker, sondern eben einen manitas, der – mit welcher Ausbildung auch immer – sozusagen alles kann. Gual sagt, er habe auch so schon zu viele Kundenanfragen. Daher sei er froh darum, wenn manitas Arbeiten übernehmen, die sich für ihn nicht lohnen. „Wenn jemand Hilfe dabei braucht, einen Schrank aufzubauen, ist mein Stundenlohn schlicht zu hoch“, sagt er.

Ausbildungsplätze gesucht

Zurück zur Handwerkerausbildung: Nicht jeder Betrieb ist auf seine neue Rolle als Ausbilder vorbereitet. Das Ministerium bietet dazu Fortbildungen an. „In Deutschland hat es lange Tradition, dass Unternehmen selbst in die Ausbildung einbezogen sind, bei uns müssen diese Strukturen erst noch wachsen“, sagt Antonio Baos. Ein Problem sei, dass es auf der Insel relativ wenige große Unternehmen gebe, die jährlich neue Mitarbeiter brauchen. „Wir wollen den mittelständischen Unternehmen deswegen vermitteln, dass sie nicht nur Auszubildende aufnehmen sollten, wenn sie neue Mitarbeiter suchen“, sagt er. Nur so könne eine gewisse Zahl an Lehrplätzen gewährleistet sein. Die Unternehmen hätten dadurch außerdem nach und nach mehr Erfahrung im Ausbilden.

Fürs Erste wird Baos auf jeden Fall kein Problem haben, Handwerker zu finden, die die Berufsschüler aufnehmen. „Ich würde sehr gerne ausbilden“, sagt zum Beispiel der Metallbauer Jan Morisse. Generell stelle er am liebsten junge Menschen ein, auch wenn kurz nach der Ausbildung oft noch grobe Fehler unterlaufen. „Die Alten haben mehr Erfahrung, sind aber eingefahren“, erklärt er. „Die Jungen kannst du dir dagegen formen.“ Er selbst hatte bisher nur einen Auszubildenden, der hier auf Mallorca bei ihm nach dem dualen System gearbeitet hat. In seinen Augen ist diese Ausbildungszeit noch zu kurz. Hätte er die Wahl, würde er einen deutschen Handwerker frisch nach der Ausbildung definitiv lieber einstellen als einen spanischen.

Allerdings hat er nicht die Wahl. Morisse klagt, wie alle anderen Gesprächspartner auch, dass er keine neuen Mitarbeiter findet. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es viele ungelernte Arbeitskräfte, aber kaum welche vom Fach. So bestätigt es auch Javier Caparros von der IES Politècnic: „Bei vielen der Lehrberufe werden die Schüler hinterher zu 100 Prozent eingestellt“, sagt er. „Die Betriebe sind froh um jeden, der die Ausbildung abschließt.“ Egal ob Präsenz oder Dual.