Denkmäler von Adolf Hitler, noch dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf öffentlichen Plätzen in Deutschland? Undenkbar. „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Warum war es in Spanien anders? Weil das Franco-Regime gewonnen hat, während das Nazi-Regime verloren hat", sagt Jorge Luis Marzo mit einer gewissen Verbitterung.

Er ist neben Matteo Guidi und Rebecca Mutell einer der Köpfe hinter der Ausstellung „Fantasma '77 - Iconoclàstia espanyola", die bis zum 6. Dezember im Erdgeschoss des Casal Solleric in Palma de Mallorca zu sehen ist. Die drei gehören der universitären Forschungsgruppe Gredits (Grup de Recerca en Disseny i Transformació) in Barcelona an und verstehen sich gleichermaßen als Kuratoren, Künstler und Wissenschaftler.

Erste Wegmarke zum Verständnis: das Amnestiegesetz

Die kleine, aber hochinteressante Ausstellung über das historische Gedächtnis Spaniens hat in diesem Jahr bereits in Katalonien und Valencia Station gemacht. Die Schau untersucht, wie sich durch Präsenz und Abwesenheit von Bildern die kollektive Erinnerung formt. Und sie erzählt die Geschichte der neun monumentalen Reiterstandbilder des 1975 verstorbenen Diktators Francisco Franco in spanischen Städten. Marzos Lieblingswort ist dabei „Komplexität".

Eine erste Wegmarke zum Verständnis war das 1977 erlassene Amnestiegesetz, welches das Regime freisprach, die Täter entlastete und vor strafrechtlicher Verfolgung schützte. In der Ausstellung ist ein Audiomitschnitt der Parlamentssitzung zu hören, bei der das Gesetz beschlossen wurde. „Es sagt aber nichts über Francos Bildnisse aus", sagt Marzo. „Wie sollten wir mit franquistischer und faschistischer Symbologie umgehen, die noch im öffentlichen Raum verblieben war?"

Was faktisch mit den Reiterskulpturen des Diktators geschah, lässt sich an einem detaillierten Zeitstrahl in der Ausstellung ablesen, die den Werdegang der Statuen visualisiert. Das früheste Standbild wurde 1942 in Madrid aufgestellt, das späteste in Melilla im Jahr 1978, als Franco bereits drei Jahre tot war: Diese Skulptur ist auch die einzige, die heute noch ein halböffentliches „Leben" führt, auf dem Innenhof einer privaten Stiftung mit Verbindungen zum Militär.

Wie bei Indiana Jones

Die anderen Reiterstandbilder sind im Laufe der Jahrzehnte nach und nach von den öffentlichen Plätzen verschwunden und endeten meistens in Klöstern oder Militärmuseen. „Die spanische Armee eignete sich die Figur von Franco an und verwahrte sie", sagt Marzo. „Das ist wie bei Indiana Jones, der am Ende das wertvolle Artefakt in einem riesigen Lagerraum verstaut. Diese Idee: Wir packen Franco in eine Kiste und verstecken ihn in den Tiefen des

Militär-Archivs, damit er nicht aufwacht."

Still und heimlich ging das allerdings nicht vonstatten: Als 1983 das Rathaus von Valencia erstmals entschied, ein Reiterdenkmal Francos von einem öffentlichen Platz zu entfernen, gelang die Aktion erst nach Auseinandersetzungen mit einem großen Aufgebot an gewaltbereiten, steinewerfenden Falangisten.

Dieser Schlüsselmoment bekommt in der Ausstellung viel Raum: als Videomitschnitt und als Serie von Schwarz-Weiß-Fotografien, die die Ereignisse dokumentieren. „Wir beobachten hier interessante Prozesse: einerseits den Akt des Denkmalsturzes, der von offizieller Seite beschlossen war, andererseits zeitgleich den Akt der Verehrung und der

Vergötterung", erklärt Marzo. So ist auf zwei aufeinanderfolgenden Fotos dieselbe Frau zu sehen, die wie am Ziel einer Pilgerreise demütig vor der Statue auf die Knie sinkt und dann den Arm im faschistischen Gruß emporstreckt.

Ein echtes Gespenst im Niemandsland

Der Kurator betont: Bilder sind niemals neutral. Eine kolossale Fehleinschätzung dieses Umstands leistete sich 2016 das Born Centre de Cultura i Memòria de Barcelona, das anlässlich einer Ausstellung mit neutralem und akademischem Anspruch ein Reiterstandbild von Franco vor dem Haus platzierte. Schon nach kurzer Zeit wurde es zur Zielscheibe zügelloser Aggression: mit Eiern beworfen, beschmiert und schließlich völlig zerstört (den Kopf hatte es schon zuvor unter ungeklärten Umständen verloren). Ein am Zeitstrahl montiertes Tablet zeigt ein Video des folgenreichen Kippmoments.

Die Stadt weiß bis heute nicht, was sie mit den Überresten machen soll: Man will sie nicht restaurieren und auch nicht im Museum haben. Auf einer großen Leinwand ist zu sehen, dass der kümmerliche Rest derzeit vor dem Lager des Museu d'Història de Barcelona deponiert ist: „Er ist nicht einmal im Archiv selbst, sondern außerhalb, in Nachbarschaft eines Friedhofs. Ein echtes Gespenst, das in einem Niemandsland lebt", sagt Jorge Luis Marzo.

Alternativen zu Denkmalsturz und Verehrung

Die Kuratoren zeigen im Casal Solleric großformatige Detailfotos von diesem Opfer einer verlorenen Schlacht: Der Pferdekopf, ein Reiterstiefel, der unter einer Plane hervorlugt, beides mit knallroter Farbe bespritzt wie mit Blut, eine Komposition wie für ein Cover von den Sex Pistols.

Die kreative Auseinandersetzung ist für Marzo eine Alternative zum Ikonoklasmus, zum Denkmalsturz: „Statt Bildnisse zu zerstören, könnte man Kunstschaffenden und Bürgern die Möglichkeit einräumen, zu intervenieren und ihnen eine neue Bedeutung zu geben." Wie bei der Skulptur eines jungen Mädchens, geschaffen von Franco-Bildhauer Josep Viladomat: „Vor Kurzem schrieb jemand auf den Sockel: ,Mein Papa schlägt mich'", sagt Marzo. „Natürlich kann ich sie nie wieder ansehen wie früher. Denn nun ist sie für mich eine Skulptur über chauvinistische Gewalt." Manchmal reiche schon eine neue Beschriftung, um zu Diskussion und Reflexion anzuregen.

Zur Ausstellung ist ein Katalog auf Spanisch und Englisch erschienen, hier kostenlos zum Download.