Von vernichtend bis vergötternd: Auf dieser Skala bewegen sich die Google-Rezensionen des Antiquariats Fine Books in Palma de Mallorca: „Der tollste Buchladen für englische Bücher aller Zeiten! Man fühlt sich wie bei Harry Potter in der Winkelgasse!", lautet ein Urteil der positiven Sorte. Ob sich der Besitzer des Geschäfts nahe der Plaça de Santa Eulàlia, Antiquar Rodney Browne, über diese Beschreibung freuen würde? Ziemlich sicher nicht. „Schreiben Sie ja nicht 'Harry Potter', dann ist er beleidigt. Kein Wort von Hogwarts!", warnt Petra Rechenauer, Betreiberin des Geschenkeladens Típika von nebenan lachend, die Browne als guten und großzügigen Nachbarn schätzt.

Wollte man einen anderen Literaturvergleich bemühen, dann käme Walter Moers „Stadt der träumenden Bücher" infrage: ein Ort, wo Antiquariate einen Einstieg zu labyrinthischen Katakomben bilden, wo man sich in engen, teils kaum passierbaren Korridoren immer tiefer in vergessenen Bibliotheken verirrt. Und dabei vielleicht sogar auf gefährliche Bücher trifft, die beißen.

Bücher auf drei verwinkelten Etagen

Rund 70.000 (!) Exemplare gibt es bei Fine Books: Sie nehmen auf drei verwinkelten Etagen jeden verfügbaren Zentimeter des Raumes ein, quellen aus überfüllten Regalen und Kisten heraus, türmen sich auf Schränken, in Vitrinen und auf dem Boden. Teilen sich nur widerwillig ihr Habitat mit Gemälden, Skulpturen, Postkarten, Autogrammen, alten Landkarten und Einmaligem.

Dies könnte der Beginn einer fantastischen Erzählung sein, doch tatsächlich ist es wohl das letzte Kapitel. Und ein Happy End ist nicht besonders wahrscheinlich. Von 1971 bis 1985 war Rodney Browne mit einer Mallorquinerin verheiratet; er zog vor rund 14 Jahren von England nach Mallorca, um näher bei seiner Tochter und ihrer Familie zu sein. Den Inhalt seiner vier Antiquariate in Bournemouth ließ er sich damals in unfassbaren 1.200 Kisten auf die Insel verfrachten - jede Woche 100 Kisten, drei Monate lang. Sein Laden hortet Lektüre im Wert von einer halben Million Euro, von kostbaren ledergebundenen Schmökern bis zu günstigen Taschenbüchern, auch deutsche Exemplare sind dabei.

Nie passte das Wort "bärbeißig" besser

Doch der Geschichten, die einst Browne's beste Verkaufsstrategie waren, ist er heute überdrüssig. Der Antiquar zieht es nun vor, sich von morgens bis abends hinter seinem Regal neben dem schmalen Eingang zu verschanzen, statt sich durch sein Bücherreich zu bewegen und zu plaudern: „Ich bin jetzt 77 und habe es satt. Ich bin müde und sehr, sehr besorgt über die Situation." Nie hat das Wort „bärbeißig" wohl jemanden treffender beschrieben als den britischen Buchhändler, der es nicht ausstehen kann, wenn jemand den Laden betritt, ohne seinen Rucksack abzunehmen („Backpacks, bang, bang, bang! Sie werfen alles um.").

Doch bei Browne muss man zwischen den Zeilen lesen. Nach und nach sickert durch, wie sehr ihn das vergangene Jahr frustriert hat:Davor lief das Geschäft noch einigermaßen, dank der Touristen. Auch Stammkunden von der Insel gab es einige. Die fielen nun mit Corona ebenso weg wie die Urlauber. „Man bewegt sich nicht einmal mehr von Santa Ponça hierher zu mir", sagt der Antiquar. Sein ganzes Geld habe er in den Laden gesteckt, um ihn am Leben zu erhalten, nun sei alles weg. Letzte Woche habe er nur 100 Euro eingenommen, wo es doch 400 bis 500 Euro sein sollten.

Trübe Aussichten

Auch beklagt Browne mangelnde Hilfsbereitschaft auf der Insel: Die geschlossenen Restaurants machten es ihm schwer, an eine warme Mahlzeit zu kommen, meist begnüge er sich mit einem Sandwich. Und seine Tochter? Über die möchte er am liebsten gar nicht sprechen. Sie werde eines Tages den Laden übernehmen, sei aber primär enttäuscht darüber, dass sie kein Haus, sondern einen lästigen Bücherberg erben wird. Sie redeten wenig, und schon gar nicht über die Zukunft. Wer sollte ihm bei solch trüben Aussichten die Bärbeißigkeit verübeln?

„Ist ja ganz logisch, dass einer irgendwann verzweifelt", stimmt die Nachbarin Petra Rechenauer zu, die mit ihrer Leidensgenossin Angelika Zacherl vom Geschäft Cachivache auf Stühlen gegenüber des Buchladens Platz genommen hat. „Wir sitzen hier und warten, genauso wie er. Die Kosten laufen weiter, ob einer kommt oder nicht."

"So müssen Buchhändler sein"

Dann verirren sich an diesem Vormittag doch noch zwei Kunden ins Antiquariat: Nadine und Till, junge Designer aus Berlin, die Schatzsuchen in chaotischen Läden mögen, „wo man das Gefühl hat, die Regale fallen auf einen drauf". Über Browne sagt Nadine, während sie in der Abteilung mit Kunstbüchern stöbert (rechts neben der marokkanischen Holztür und der Ritterrüstung): „Ist doch ein cooler Kerl. So müssen Buchhändler sein, die sind selten von vornherein freundlich."

Die Google-Rezension „Scrooge hat eine Buchhandlung in Palma" trifft jedenfalls nicht zu, denn im Gegensatz zur grantigen Figur aus Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte ist Browne wahrlich kein Geizhals, im Gegenteil: Nach einer Riesentasse Kaffee ist der Antiquar milder gestimmt, entschuldigt sich bei der Redakteurin für anfängliche Ruppigkeit und verschenkt prompt ein Buch. Die Gestalter aus Berlin könnten sich derweil als Vertreter von Browne's Lieblingskunden entpuppen - solchen, die nicht nur gucken. „Wir kaufen auf jeden Fall etwas", verspricht Till.