Daniel Libeskinds Karriere begann mit dem Bau des Jüdischen Museums Berlin: Der US-amerikanische Stararchitekt ist heute für unzählige herausragende Bauten berühmt, denen er mit erzählerischer Formensprache Bedeutung verlieh. Auf Mallorca entwickelte er das Studio für die 2018 verstorbene Künstlerin Barbara Weil. Nun war er dort am 28. August für eine Diskussionsrunde zu Gast. Obwohl unter Zeitdruck, sprach der begeisterungsfähige 75-Jährige vorab mit der MZ.

Der Bau des Studio Weil liegt schon lange zurück. Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung aus dieser Zeit?

Es war eine großartige Zusammenarbeit mit Barbara Weil. Ich liebe ihre Arbeit, sie war eine große Künstlerin, die viel von Architektur verstand. Auch ihre Werke sind sehr architektonisch, wir hatten viel gemeinsam. Ich glaube, man spürt im Gebäude, dass es eine große Freude war, daran zu arbeiten. Dieses Haus ist nicht gealtert: Es ist noch genauso jung geblieben wie Barbaras Kunst.

Das Gebäude ist auch genau auf Barbara Weils Kunst zugeschnitten. Sehen Sie die Gefahr, dass diese besondere Verbindung verloren geht, da seit diesem Jahr auch andere Künstler in den Räumen ausstellen?

Die aktuelle Ausstellung mit zwölf jungen Künstlerinnen ist sehr schön geworden. Das beweist, dass das hier ein guter Ort ist, um innovative, starke Arbeiten zu zeigen. Das Gebäude hat sich angepasst, es ist sehr flexibel. Natürlich wurde es für eine spezielle Künstlerin entworfen, aber davon können nun auch andere Künstlerinnen profitieren. Jedes Kunstwerk ist eine Tür in die Zukunft.

Eine Inspiration für diesen Bau war der Philosoph Ramon Llull. Inwiefern?

Barbara Weils Arbeit und Ramon Llull erschienen simultan vor meinem Geist. Sie sind miteinander verbunden, durch etwas Mystisches, das dieser Insel zugrunde liegt. So abstrakt die Gemälde auch sein mögen: Sie haben etwas mit dem Geist der Insel zu tun. Und dieser steht definitiv sinnbildlich für Ramon Llull und seine fantastischen Ideen.

Können wir Räume intuitiv fühlen oder brauchen wir Kontext und Erklärungen – gerade im Hinblick auf Gebäude, denen komplexe Ideen zugrunde liegen?

Man muss nichts über Bach gelesen haben, um einen Choral von Bach genießen zu können. Aber wenn Sie etwas darüber lesen, was Bach tat und beabsichtigte – dass er Symbole und die Buchstaben seines Namens in die Musik einfließen ließ oder komplizierte Mathematik – dann tauchen sie tiefer ein und finden heraus, dass viel mehr in diesen scheinbar unabhängigen Kompositionen steckt, als sich Ohr und Verstand zunächst erschließt.

Wie schaffen Sie es, sich intellektuell und emotional auf ein Thema einzulassen, das eine dunkle und schmerzvolle Seite hat – wie das Jüdische Museum Berlin oder der Ground Zero in New York?

Jedes Gebäude muss als Fundament eine Bedeutung haben. Wenn es nur aus Fenstern und Türen besteht, dann fehlt ihm etwas. Und die Bedeutung verleihen ihm natürlich Tradition, Geschichte und Zukunft. Ich denke, das Wesen der Kunst besteht darin, in der Lage zu sein, schwierige Dinge anzusprechen, manchmal sogar den Tod. Und zwar auf eine erhebende und hoffnungsvolle Weise, indem man sie in etwas Positives und Denkwürdiges verwandelt. Etwas, das uns die Aussicht auf eine Zukunft erlaubt und nicht nur ein Schatten und ein Geist ist, der uns verfolgt.

Sie haben im Laufe Ihrer Karriere viele berühmte Museen gebaut. Was ist bei diesen Gebäuden die größte Herausforderung?

Jedes Museum ist extrem einzigartig, und das beruht darauf, wo es sich befindet und was für ein Museum es ist. Man muss sehr genau in den Ort hineinhorchen, seine spezielle Resonanz spüren und dann etwas kreieren, das bedeutsam ist und all den komplexen inhaltlichen Anforderungen gerecht wird.

Wenn Menschen eines Ihrer Museen aus Begeisterung für die Architektur besuchen, sich aber gar nicht für den Inhalt interessieren, fühlen Sie sich geschmeichelt oder missverstanden?

Weder das eine noch das andere. Wenn man zum Beispiel die Besucher des Jüdischen Museum Berlin fragt, warum sie gekommen sind, dann antworten 50 Prozent, dass sie an jüdischer Geschichte interessiert sind und die anderen 50 Prozent, dass sie das Gebäude interessiert. Aber das ist im Grunde egal: Wenn man das Gebäude besucht, wird man auch die Geschichte verstehen. Und wenn man wegen der Geschichte kommt, wird man das Gebäude verstehen. Da gibt es keinen Widerspruch. Ich glaube aber, Gebäude müssen interessant sein, damit dort etwas entstehen kann.

Sie haben auch viele Einkaufszentren gebaut. Müssen die ebenfalls interessant und poetisch aussehen?

Natürlich! Auch der Markusplatz in Venedig war als Einkaufszentrum konzipiert, und er ist einer der schönsten Plätze der Welt. Jeder Bau verdient Schönheit, ob ein Krankenhaus, ein Museum, eine Schule oder ein Wohnhaus. Sonst wäre die Welt ein sehr trauriger Ort.

Was ist der größte Fehler, den man in der Architektur machen kann?

Wenn Menschen gegenüber der Architektur gleichgültig sind: Diejenigen, die sie finanzieren, weil es ihnen nur um den Profit geht, oder die Architekten, weil es ihnen nur um den nächsten Job geht. Nachlässigkeit führt zu schlechten Projekten.

Mittlerweile haben Sie selbst ein großes Architekturbüro. Ist im Kreativprozess noch etwas so wie in Ihren Anfangstagen?

Es ist eigentlich noch ziemlich gleich geblieben. Ich könnte auch ein Büro mit Hunderten von Angestellten führen, aber das wollte ich nicht. Lieber ist mir ein überschaubares Team mit großartigen Architekten aus aller Welt. Mir geht es auch nicht um Quantität bei den Projekten, ich wähle gezielt aus. Jedes Gebäude muss geliebt werden, und man muss es lieben, es zu bauen. Es darf nicht nur ein beliebiges Gebäude mehr im Portfolio sein.

Wie entscheiden Sie sich für ein Projekt?

Ich bin nicht sehr wählerisch. Vor allem geht es mir um die Wünsche der Menschen dahinter. Kürzlich habe ich in New York ein soziales Wohnprojekt begonnen. Ich finde das eine hervorragende Idee: das alltägliche Leben der Menschen mit erschwinglichem Wohnraum zu feiern. Ein wunderschönes Projekt.