Ob an entfernte Orte, zu magischen Welten oder in die Gedankenwelt des Autors – Lesen ist immer auch eine Reise. Javier Cercas nimmt die Leser in seinem neuesten Buch „El castillo de Barbazul“ mit nach Mallorca. Um genau zu sein nach Pollença, auf die Halbinsel Formentor. Bei jemandem, der noch nie dort war, mag diese Geschichte einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Da ist zunächst Pollença selbst: eine Kleinstadt im Norden der Insel, die zwar schön und aufgeräumt ist, in der aber vor allem Touristen Spaß haben, in Diskotheken gehen, Fotos für Instagram schießen und braun werden. Die Mallorquiner selbst arbeiten währenddessen – größtenteils für die Touristen.

Und dann ist da Formentor: eine Landschaft wie aus einem Märchen, mit atemberaubenden Klippen und dicht bewachsenen Kiefernwäldern. Und mit Villen, die in diese Wälder an der Küste hineingebaut sind. Schwer zugänglich und versteckt, gleichzeitig mit einer unglaublichen Aussicht. Hier wohnen und urlauben nicht die Reichen, sondern die unantastbaren Megareichen.

Verschwunden auf Mallorca

„El castillo de Barbazul“ ist der dritte Teil der Trilogie um den Polizisten Melchor Marín. Der spanische Erfolgsautor Javier Cercas, der bis dahin vor allem hoch gelobte historische Romane geschrieben hatte, probiert sich damit im Krimi-Genre aus. Cercas wurde 2001 mit seinem Bürgerkriegs-Roman „Los soldados de Salamina“ (auf Deutsch: „Soldaten von Salamis“) dem internationalen Publikum bekannt.

Ins Deutsche übersetzt wurden von ihm auch der Essay „Anatomie eines Augenblicks“ über den Putschversuch von 1981 und der Roman „Der falsche Überlebende“ über einen Katalanen, der sich als KZ-Überlebende ausgab. Der erste Teil der Trilogie um Melchor Marín ist ebenfalls bereits auf Deutsch erschienen: „Terra Alta. Geschichte einer Rache“. Die drei Kriminalromane spielen eigentlich in Terra Alta, einem dünn besiedelten katalanischen Landstrich, in dem Marín wohnt. Im dritten Teil aber verschwindet seine Tochter Cosette, als sie Ferien auf Mallorca macht. Also steigt Marín in einen Flieger, um sie zu finden.

Cover des Buchs "El Castillo de Barbazul". Der Krimi von Javier Cercas spielt auf Mallorca.

Cover des Buchs "El Castillo de Barbazul". Der Krimi von Javier Cercas spielt auf Mallorca. Tusquets Editores

Auf der Insel entdeckt er ein dichtes Korruptionsnetz. Cercas gibt an, in seinen Büchern immer möglichst nah an der Realität zu bleiben. „Fiktion ist vielleicht keine Lüge, aber etwas Ähnliches. Damit diese Lüge überzeugend ist, musst du die Wahrheit gut kennen“, sagte er der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“. Um sich dieser Realität zu nähern, holte sich der Schriftsteller Hilfe von der Insel.

Warum Pollença der perfekte Ort für die Handlung ist

Der Künstler Biel March versuchte dem Schriftsteller das Wesen des Mallorquiners zu erklären, er zeigte Cercas verschiedene Orte und Landschaften und öffnete ihm die Tür zu Polizeistationen und Gerichtsgebäuden. March erzählt, dass er Cercas den Tipp gab, die Handlung nach Pollença zu verlegen. „Er hatte erst an Andratx gedacht, aber ich erklärte ihm, dass die wirklich Reichen in Formentor sind.“ Spanische und europäische Großindustrielle haben hier ebenso Häuser wie schwerreiche mallorquinische Unternehmer. Im Buch von Cercas lebt dort auch der Millionär Rafael Mattson, der sich in seiner Villa unbehelligt an jungen Frauen vergeht.

Dank der Hilfe von Mallorquinern und vieler Rechercheausflüge beschreibt Cercas Landschaften und Wege in seinem Buch sehr detailliert. Wer schon einmal auf Mallorca war, wundert sich nur, dass Marín überall sofort einen Parkplatz findet. Aber so viel künstlerische Freiheit darf wahrscheinlich sein.

Der Schriftsteller Javier Cercas hat einen Krimi geschrieben, der größtenteils auf Mallorca spielt. B. RAMON

Auf MZ-Nachfrage sagt Cercas, dass er sich Mallorca ursprünglich nur als Handlungsort ausgesucht hatte, weil dort viele junge Katalanen ihren Schulabschluss feiern. Erst während seiner Recherche sei ihm klar geworden, dass die Insel der perfekte Schauplatz für seine Geschichte sei. Nicht weil hier mehr Korruption als anderswo herrsche, sondern weil Mallorquiner ein besonderer Schlag Mensch seien und der Kontrast zwischen ihrer verschlossenen Art und der gleichzeitig kosmopolitischen weltoffenen Insel ideal gewesen sei. Wobei Cercas betont, dass ihm gegenüber die Mallorquiner sehr herzlich und gastfreundlich waren.

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„Wir leben auf einer Insel. Und das prägt den Charakter“, erklärt der ehemalige Polizist Damián Carrasco dem angereisten Melchor Marín die Begebenheiten. Die Gesellschaft sei konservativ, die Hierarchien ausgeprägt. Lange Zeit hätten hier die Mächtigen tun können, was sie wollten. Außerdem sei Pollença ein kleiner und abgelegener Ort, mit einer kleinen und isolierten Wache der Guardia Civil und einem kleinen und ebenso isolierten Gericht. „Einfaches Spiel für Mattson“, fasst Carrasco zusammen. Zumindest bis Melchor Marín auftaucht.