Literaturagentin Lianne Kolf: " Früher gab es Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Heute Lactosefreiheit, Veganismus und Helene Fischer"

Die Mallorca-Freundin hat jetzt selbst ein Buch veröffentlicht – über ihr eigenes bewegtes Leben und natürlich die Jagd nach den Bestsellern

Ein Büchermensch: die Literaturagentin Lianne Kolf in ihrem Arbeitszimmer.  | FOTO: FELIX BROEDE

Ein Büchermensch: die Literaturagentin Lianne Kolf in ihrem Arbeitszimmer. | FOTO: FELIX BROEDE / Marlene weyerer

Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

Lianne Kolf arbeitet als „Trüffelschwein“. Unter Tausenden Manuskripten sucht sie die raus, die das Potenzial zu Bestsellern haben und vermittelt sie an Verlage. Zu ihren größten Erfolgen gehört das Autorenduo Iny Lorentz, bekannt für die historischen Romane rund um die „Wanderhure“, sowie die Ratgeber von Ulrich Strunz und die Romane von Caren Benedikt. Auch Autorinnen und Autoren von Mallorca stehen bei der 74-Jährigen unter Vertrag: so zum Beispiel Lucia de la Vega („Comisaria Fiol“) und die Gewinnerin des MZ-Krimiwettbewerbs Christina Gruber („Mandelbütenmord“).

Zum 40. Jubiläum ihrer Literaturagentur hat die Mallorca-Freundin, die seit 30 Jahren ein Haus in Es Capdellà hat, nun selbst ein Buch geschrieben: „Agentinnen gab es damals nur bei James Bond. Von Bestsellern und Büchermenschen“ (Blanvalet, 22 Euro). Darin erzählt sie von ihrem Aufwachsen in Starnberg als Tochter ehemaliger Lagerinsassen, die eigentlich nur zurück in ihre Heimat Rumänien wollten. Von ihrer Arbeit als Buchhändlerin, dem Fall großer Verleger, den wilden Partys im München der 60er- und 70er-Jahre. Und davon, wie sie 1982 die erste Literaturagentur für deutsche Autoren und Autorinnen gründete.

Wie war es, selbst ein Buch zu schreiben, nachdem sie so viele Jahre Autoren betreut haben?

Es war schon ein Rollenwechsel. Und ich habe mich dabei ertappt, dass ich die Mahnungen, die ich sonst den Autoren immer gebe, sofort selbst über Bord geworfen habe.

Zum Beispiel?

Ich habe gesagt, ich will auf gar keinen Fall ein Bild auf dem Cover, sondern nur eine reine Schriftlösung. Und auch selbst einen Titel vorgeschlagen. Dabei ermahne ich meine Autoren immer, sich nicht in Titel und Cover einzumischen. Sonst kann im Nachhinein der Verlag immer sagen: Wenn wir unseren Titel genommen hätten und unser Cover, wäre es viel besser gelaufen. Am Ende habe ich mich zusammengerissen und den Verlagsmitarbeitern gesagt, sie sollen das so machen, wie sie denken.

War das Schreiben eine Herausforderung, wo Sie ja eigentlich immer die Leserin waren?

Nein, ich habe mein Manuskript pünktlich nach drei Monaten abgegeben. Bei der Recherche hatte ich nur das Problem, dass inzwischen relativ viele meiner Freunde tot sind. Zum Beispiel wusste ich nicht mehr, in welcher Bar ich mit meiner Schwabinger WG in den 80ern Koks gekauft habe: in der „Klappe“ oder in der „Säge“? Meine Mitbewohner Helmut Dietl und Mandi Hausenberger konnte ich nicht fragen, weil sie beide schon tot sind. Und die Lokale gibt es schließlich auch nicht mehr.

Haben Sie es noch rausgefunden?

Ja, es war in der „Klappe“.

Sie schreiben von sehr Persönlichem, von Drogen, Affären und acht Abtreibungen. Hatten Sie keine Hemmungen, davon zu erzählen?

Nein, Abtreibungen waren damals ein öffentliches Thema. Zu der Zeit veröffentlichte der „Stern“ die Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben“. Das war 1971 ein großer Tabubruch, aber eben auch sehr wichtig. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, ich habe es ja auch nicht allein gemacht. Ähnlich ist es bei den Partys und Drogen: Da waren meine ganzen Freunde dabei. Ich habe nie in einer Umgebung gelebt, die zu bürgerlich war, um solche Themen anzusprechen. Wenn meine Nichte sich wegen meiner Sprüche wie „Wer zwei Mal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment“ empört, dann muss ich immer lachen. Das kommt mir spießig vor.

War das Feiern früher ungehemmter?

Es gab kein Aids, die Pille war ganz neu, es war eine tolle, sehr freie Zeit. Ich wäre nie darauf gekommen, schon in jungen Jahren einen festen Freund zu haben. Ich bin aufgewachsen mit Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Heute habe ich das Gefühl, ich lebe in einer Welt mit Lactosefreiheit, Veganismus und Helene Fischer. Ich frage mich häufig, was da passiert ist. Wann ist das gekippt?

In Ihrem Buch geht es natürlich auch um Ihre Agentur. Als Sie sie 1982 gründeten, wusste niemand, wozu eine Literaturagentur notwendig sein soll. Heute können Sie sich vor Einsendungen kaum retten.

Extrem wurde es in der Corona-Zeit. Wir haben damals 50 Manuskripte pro Tag bekommen. Pro Tag!

Konnten Sie das überhaupt noch alles lesen?

Nein, natürlich nicht. Ich habe dann auf unsere Homepage setzen lassen, dass wir keine unverlangten Manuskripte mehr lesen. Ich kann ja keine zehn Leute einstellen, damit sie Gestotter prüfen.

Ist so viel Mist dabei?

Ja. Es ist fantastisch, welches Selbstvertrauen die Menschen haben. Schauen Sie, ich kann nicht stricken. Aber ich setze mich auch nicht hin und stricke zwei Jahre an einem Pullover und schicke ihn an Jil Sander oder Chanel und erwarte, dass sie es in die Kollektion aufnehmen. Ich habe noch nie gehört, dass jemand das bei einem Pullover gemacht hätte. Aber bei Büchern scheint es etwas anderes zu sein. Es muss ja nicht jeder schreiben können. Und es kann auch nicht jeder schreiben, selbst wenn er es gerne tut und sogar ein Bedürfnis dazu verspürt. Das Talent muss man auch haben.

Wie sagen Sie solchen Leuten ab?

Wir schreiben, dass wir die Absage aus Zeitgründen nicht begründen können. Damit wir überhaupt nicht anfangen zu diskutieren. Sonst werden wir nie fertig.

Sie bezeichnen sich selbst als „Trüffelschwein“. Wie findet man einen zukünftigen Bestseller?

Da kann man eigentlich nur auf zwei Dinge hören. Auf den eigenen Bauch, also darauf, wie stark das Manuskript einen selbst fesselt, und dann auf die Erfahrung. Wobei auch ich nicht auf allen Gebieten Texte gut einschätzen kann. Ich habe zum Beispiel Probleme, Fantasy zu lesen. Und ich kenne mich in dem Markt dementsprechend nicht gut aus. Diese Manuskripte prüft dann eine Mitarbeiterin von mir. Ein weiteres Beispiel ist das Kinderbuch, denn auch da gibt es Moden, und man muss wissen, was gerade beliebt ist. Sind Dinosaurier noch in oder nicht mehr?

Was empfehlen Sie angehenden Autoren, um ein Buch veröffentlicht zu bekommen?

In eine Buchhandlung gehen und schauen, was gerade gelesen wird. Dann kann man sich überlegen: Was ist meine persönliche Kernkompetenz? Wovon verstehe ich was? Ist meine Mutter Ärztin oder ist meine Leidenschaft das Kochen? Habe ich mich in der Schule für neuere Geschichte oder das Mittelalter interessiert? Und wenn ich in Regensburg wohne und meine, Spannung schreiben zu können, dann bitte einen Regensburg-Krimi schreiben und nicht einen, der in New York spielt.

Nehmen Sie inzwischen wieder unaufgeforderte Manuskripte an?

Ja, der Stopp galt nur während Corona. Aber wir publizieren immer auf unserer Homepage, was wir gerade suchen. Im Moment suchen wir Familienromane und Spannung.

Weil der Markt das hergibt?

Weil die Verlage gerade nach solchen Büchern suchen. Wir sind ja Mittler zwischen Autor und Verlagen und wissen sehr genau, was gerade gefragt ist. Im Moment werden zum Beispiel auch leichte, charmante Liebesromane gekauft, weil die Leute von schlechten Nachrichten genug haben und ein bisschen Ablenkung suchen.

Kommen Sie bei so vielen Manuskripten überhaupt noch zum Lesen anderer Bücher?

Leider kaum.

Und wenn doch, was lesen Sie dann?

Biografien. Ich habe das gern, wenn ich mich in eine andere Zeit hineinversetzen kann.

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