Im Museum Es Baluard in Palma de Mallorca wird jetzt die Geschichte „gehackt“

Die Kunsthalle wirft einen neuen Blick auf seine Sammlung. Ausgangspunkt der Reise ist Abraham Cresques’ Katalanischer Weltatlas aus dem Jahr 1375

Teil von Abraham Cresques’ „Mapamundi“.

Teil von Abraham Cresques’ „Mapamundi“. / BNE

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Eine dunkelblaue Linie zieht sich genau in der Mitte der Wand durch die Ausstellungsräume des Untergeschosses (Espacio C) im Museum Es Baluard. Sie symbolisiert den Horizont. Und der wird definitiv erweitert, wenn man sich auf die komplexe und vielschichtige neue Präsentation der Sammlung einlässt, die seit dem 2. Februar unter dem Titel „Sin Rumbo. Confrontar la Imago Mundi“ (Ziellos. Konfrontation mit dem Weltbild) zu sehen ist.

Die Museumsdirektorin Imma Prieto und Kurator Agustín Pérez Rubio in einem der Ausstellungsräume.  | FOTO: ES BALUARD

Die Museumsdirektorin Imma Prieto und Kurator Agustín Pérez Rubio in einem der Ausstellungsräume. | FOTO: ES BALUARD / Brigitte Rohm

Einen Hauptimpuls dazu setzte die Direktorin Imma Prieto. Sie wollte den Katalanischen Weltatlas integrieren, der 1375 in der Kartenwerkstatt von Abraham und Jehuda Cresques auf Mallorca entstanden war – das Original befindet sich heute in Paris, die Schau zeigt zu Beginn ein Faksimile aus der Biblioteca Nacional de España. Zum ersten Mal seit 700 Jahren kehrt der Atlas, der erstmals eine Kompassrose auf einer geografischen Karte abbildet, zurück auf die Balearen. Zugleich soll das Stück aus dem Mittelalter eine Reflexion über unser aktuelles Weltbild anstoßen.

Verantwortlich für diesen Part zeichnet der Valencianer Agustí Pérez Rubio, der 2020 als Co-Kurator der 11. Berlin Biennale tätig war. Bei einem Rundgang am Tag der Ausstellungseröffnung in Palma erklärt er mit übersprudelnder Energie seine Ideen. In vier Räumen – Einleitung, Hauptteil und Epilog – gehe es darum, durch Werke zu verstehen, wie das historische Erbe unsere Vorstellungen formte.

Juden mussten emigrieren oder zu Christen werden

„Der Äquator existiert erst seit einer von Europäern im 18. Jahrhundert durchgeführten Expedition nach Ecuador. Diese Linie hat die Welt in Nord und Süd, in Reich und Arm geteilt“, sagt Pérez. „Es ist ein wissenschaftliches, aber auch ein gesellschaftspolitisches Konzept.“ Der „Prolog“ der Ausstellung steckt dieses Themenfeld ab – mit Alternativen zu eurozentristischen Darstellungen, etwa von Guillem Nadal („Proyecte per un mapa 33“) oder mit anderen künstlerischen Blickwinkeln auf Geometrie.

Auch gibt es Bezüge zum Ausgangsobjekt der Kartografenfamilie jüdischer Abstammung: Das Werk „Torquemada“ von Manolo Millares verweist auf den spanischen Generalinquisitor und darauf, dass Juden einst gezwungen wurden zu emigrieren oder zum Christentum zu konvertieren.

Selbstkritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit

Im zweiten Raum bekommt die blaue Linie Kurven und Knicke: „Hier wird gefragt, welche Mittel Künstler haben, um diese Geschichte zu ‚hacken‘ und neu zu schreiben oder Unsichtbares ans Licht zu bringen“, erklärt der Kurator. So enthüllt beispielsweise Alfredo Jaar mit „Searching for Africa in LIFE“ die verschwindend kleine und inhaltlich problematische Präsenz dieses Kontinents auf den Titelseiten der legendären US-amerikanischen Zeitschrift.

Der dritte Teil der Ausstellung ist eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis der Kolonialzeit: mit den Werken, die über diesen Weg in die Sammlungen heutiger Museen fanden, und mit den Motiven, die in die Kunst gelangt sind. Joaquín Sorollas Gemälde „Flores ante la virgen“ mit der Darstellung kostbarer Silberteller lädt dazu ein, darüber nachzudenken, woher das Silber eigentlich kam. Die mexikanische Künstlerin Claudia Peña beschäftigt sich mit dem Kulturerbe indigener Völker Mesoamerikas. „Sie arbeitet mit den Symbolen, die von Künstlern der Moderne aufgegriffen wurden – wie dem Bauhaus-Vertreter Josef Albers, der dieses Vorbild aber nie benannte“, sagt Pérez.

Ein durchlässiger Vorhang von Erika Hock wirft einen Schatten in den letzten Raum, in dem der Nachhall von Themen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart untersucht wird: Apartheid und Rassismus, Grenzkonflikte oder Migration. Hoffnung, dass trotz allem bis zu einem gewissen Grad Transformation und Heilung möglich ist, vermittelt am Ende die ökofeministische Installation „Reneilwe (we are given)“ von Dineo Seshee Bopape.