Zwischen Kakteengarten und "Kultur-Bodega": Zu Besuch beim preisgekrönten Komponisten Harald Weiss auf Mallorca

Der weit gereiste, deutsche Musiker wird 75 Jahre alt. Ein tiefenentspannter MZ-Besuch in Colònia de Sant Pere, wo Weiss seit 1984 lebt und nun ein besonderes Projekt vorbereitet

Der deutsche Komponist Harald Weiss lebt seit 1984 in Colònia de Sant Pere.

Der deutsche Komponist Harald Weiss lebt seit 1984 in Colònia de Sant Pere. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Selten fühlt sich ein Termin für die Mallorca Zeitung so sehr nach Meditations-Retreat an. Der jung gebliebene Gastgeber – weißes Hemd, Silberkette mit Om-Symbol, von Lebensweisheit und Charme geformte Züge – ist vieles, aber kein Guru (wobei er in musikalischer Hinsicht durchaus von solchen lernte). Doch obwohl Harald Weiss „nur“ Komponist, Musiker und Filmemacher ist, gelingt es ihm, seine innere Ruhe so sehr auf die Redakteurin und die Fotografin zu übertragen, dass das Gespräch fast drei Stunden dauert. Weiss hat es nicht eilig. Am 26. Mai feiert der in Salzgitter geborene Deutsche seinen 75. Geburtstag, und mit beruflichem Stress muss er sich schon lange nicht mehr plagen. Musste es eigentlich noch nie.

Harald Weiss in seinem Garten – zu Füßen die Installation, in der seine Urne ruhen soll.

Harald Weiss in seinem Garten – zu Füßen die Installation, in der seine Urne ruhen soll. / Nele Bendgens

Sein Mantra: Dankbarkeit. „Was ist es für ein Glück, von Klängen, die du selbst erschaffen hast, zu leben. Ist das nicht eines der größten Privilegien, die man haben kann?“, sagt der Komponist, der heute die Früchte seiner Karriere erntet. Mit 18 Jahren begann er in Hannover sein Studium in Schulmusik, Komposition und Schlagzeug, wurde Hochschul-Dozent, als er noch blutjung war. Dann zog es ihn in die Welt. Er sei dankbar, musikalisch in Deutschland aufgewachsen zu sein, resümiert er, „aber es sind nicht die Professoren, die mich geprägt haben, sondern die Musiker anderer Kulturen.“

Weltenbummler an der Trommel

Mehr als 30 Jahre war er beruflich zwischen Indien, Brasilien und Afrika unterwegs, ging als Perkussionist auf Tournee und inszenierte als Regisseur Stücke vor Ort. Anekdoten aus dieser Zeit könnte er stundenlang erzählen: Etwa, wie er in Indien bei einem großen Meister das Schlaginstrument Tabla lernte. Der Guru hieß ihn, sich den Rhythmus zunächst mit der Stimme vorzustellen. „Eine Stunde verging, eine Woche, schließlich ein Jahr, ganz ohne das Instrument“, erinnert sich Weiss. Danach habe er jede Nuance so verinnerlicht gehabt, dass „sofort alles floss“, als er endlich an die Trommel durfte.

Kleine Auswahl der Instrumentensammlung von Harald Weiss.

Kleine Auswahl der Instrumentensammlung von Harald Weiss. / Nele Bendgens

In Europa herrsche das grundsätzliche Missverständnis, in Sachen Komposition der Nabel der Welt zu sein, sagt der Musiker. „Damit ist eine unglaubliche Arroganz verbunden.“ Er selbst suchte die Horizonterweiterung, die Befreiung vom engen Korsett westlicher Partituren und Tonleitern. Doch Erkenntnisgewinn hat seinen Preis: Eine solche Weltenbummler-Existenz lässt sich kaum mit einer glücklichen Beziehung oder einem stabilen Familienleben unter einen Hut bringen. Harald Weiss war viermal verheiratet, hat vier Kinder auf drei Kontinenten. „Wenn du in einer Film- oder Theaterproduktion arbeitest, dann ist das tausendmal intimer als ein Eheleben“, sagt er.

Traumhaus auf Mallorca

Als Weiss 1984 sein Haus in Colònia de Sant Pere kaufte, war Mallorca für ihn zunächst nur der Angelpunkt zwischen den Reisen. Erst mit der Zeit lernte er das Heim auf der Insel mehr zu schätzen, und nach „sieben fetten Renovierungen“ ist es jetzt sein persönliches Traumhaus. Der weiß-blaue Patio mit Yin-und-Yang-Fischmosaik, Hibiskus und Hängematte bildet den Ruhepol in der Mitte.

Der Innenhof seines Hauses in Colònia de Sant Pere ist eine Ruheoase.

Der Innenhof seines Hauses in Colònia de Sant Pere ist eine Ruheoase. / Nele Bendgens

Ein Teil des Hauses beherbergt seine Sammlung von 3.000 Perkussionsinstrumenten aus aller Welt. Auf der anderen Seite hat Weiss sein hermetisch abgeriegeltes, absolut schalldichtes Studio eingerichtet – kinderfreie Zone, wenn denn mal ein Kind im Haus war. Hier kreiert er seine Stücke in völliger Stille. Im Kamin stapeln sich Notizen aus Jahrzehnten. Ein Bett steht nicht für Siesta, sondern zum Abhören der Aufnahmen bereit.

In diesem Studio arbeitet der Komponist.

In diesem Studio arbeitet der Komponist. / Nele Bendgens

Etlicher Musikpreise und Stipendien zum Trotz: Weiss kennt nicht nur rosige Zeiten. Als er 2005 nach zehn Jahren in Brasilien und frisch geschieden zurückkehrte, sei das Geld knapp gewesen. Dann arbeitete er sich langsam wieder nach oben. 2009 veröffentlichte er sein Requiem, Ausdruck seiner Faszination für den Übergang zum Tod. Paradoxerweise sei es das Stück, das ihn heute vor allen anderen am Leben hält: seine Cash-Cow, die ihm „Tantiemen noch und nöcher“ einbringt und weltweit gespielt wird. Der renommierte Schott-Verlag hat 220 Werke von Weiss im Katalog, von den passiven Einkünften aus der Gesamtheit der Stücke kann der Musiker heute sorgenfrei leben. Und natürlich – frei von wirtschaftlichen Zwängen – weiterhin komponieren, wonach ihm der Sinn steht.

220 Kompositionen vertreibt der Schott-Verlag.

220 Kompositionen vertreibt der Schott-Verlag. / Nele Bendgens

Ein Garten mitten im Dorf

An Schaffensdrang mangelt es Weiss nicht, auch wenn er des Reisens heute müde ist. Sein neues Herzensprojekt verbindet Natur und Kultur. Das Grundstück schräg gegenüber war, seit er denken kann, eine Art Mülldeponie mit ausrangierten Autos, Asbest und Tierkadavern gewesen. Vor sieben Jahren schnappte er es einem Investor weg, der dort ein zweistöckiges Haus bauen wollte. „Stattdessen habe ich einen Garten daraus gemacht: eine Oase für Bienen, Blumen und Vögel mitten im Dorf, traumhaft schön!“, sagt Weiss. Das Biotop mit hohen Kakteen ist mit sichtlich viel Liebe angelegt. Es wird dem Komponisten auch als letzte Ruhestätte dienen: Wo einmal seine Urne in die Erde soll, liegen einige Objekte mit symbolischer Bedeutung – der Spiegel stehe etwa für „die Eitelkeit, die man immer hatte“. Der Garten beherbergt auch einen überdachten Wellnessbereich mit Whirlpool und ein Gästezimmer in einem renovierten Häuschen direkt gegenüber der Kirche, dem laut Weiss ältesten Haus im Ort.

Weiss schuf im Ort ein Biotop für Insekten und Singvögel.

Weiss schuf im Ort ein Biotop für Insekten und Singvögel. / Nele Bendgens

Die gute Tat mit dem Erschaffen seines kleinen Paradieses hatte für ihn einen doppelt positiven Nebeneffekt: Früher sei er den Einwohnern mit seinem „hippiemäßigen Auftreten“ immer etwas suspekt gewesen. „Jetzt werde ich richtig akzeptiert und geliebt und bin hier fast Bürgermeister“, sagt Weiss. Und als er das Gelände von Grund auf entrümpelte, wartete eine weitere Belohnung: Eine bis dato völlig verschüttete Treppe, die in den Untergrund führt. Weiss spricht davon, als würde er am Lagerfeuer eine Abenteuergeschichte erzählen. „Und dann war da unten ... (dramatische Pause) ein Gewölbe! Wie eine Kathedrale.“

Klangerlebniskeller zum Eintauchen

Er führt den Besuch hinunter in die kühlen Katakomben, wo es nach Räucherstäbchen duftet. Der direkt in den Fels hineingehauene ehemalige Weinkeller verfügt über erstaunlich gute Luft und eine noch bessere Akustik – wie Weiss im Wechsel mit flüsternder und dröhnender Stimme demonstriert. Ihm sei sofort klar gewesen: „Wenn der Herrgott will, dass ich noch etwas Vernünftiges schaffe, dann da unten.“ Die Idee einer „Bodega Cultural“ war geboren. Und die Umsetzung steht kurz vor ihrer Vollendung: Im Sommer soll es losgehen.

Dieses Gewölbe beherbergte einst eine Bodega.

Dieses Gewölbe beherbergte einst eine Bodega. / Nele Bendgens

„Es“, das sind intime Veranstaltungen für jeweils nur vier Personen. Dabei will der Komponist seine Gäste im vorderen Raum, wo er eine Mischung aus Bar und akustischer Steuerzentrale eingebaut hat, mit einem Glas Wein begrüßen. Licht dringt hier unter dem Tonnengewölbe durch ein kleines Fenster. Nach einer Einführung geleitet Weiss die Teilnehmer nebenan in einen mit fluoreszierender Farbe bemalten und mit Lautsprechern gespickten „Hörsaal“. Auf Liegestühle gebettet, erleben die Besucher dort immersive Konzerterlebnisse mit Musik, Sprache und bewegtem Bild, die jeweils eine Stunde dauern. Lichtstimmungen und Impressionen aus Filmen von Weiss gehören dazu. Vor allem aber werde man mit den Klängen im Dunkeln allein gelassen.

Hier soll es bald immersive Klangerlebnisse geben.

Hier soll es bald immersive Klangerlebnisse geben. / Nele Bendgens

Fünf verschiedene Programme bereitet er vor, darunter eines auf Deutsch und solche, die den Weltuntergang thematisieren oder Teile seines Requiems enthalten. Mit dem Projekt „Faces“ richtet er sich direkt an die Einheimischen: Denn die Dorfbewohner spielen selbst im Film mit und sind stolz darauf. „Ich führe sie durch eine kleine Hintertür an mein skurriles Denken heran“, sagt Weiss und schmunzelt.

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