Mit dem Sommer nähert sich das Ende der Spielzeit im Teatre Principal. Yi-Chen Lin dirigiert dort am 8., 10. und 12. Juni mit „Les contes d’Hoffmann“, zu Deutsch „Hoffmanns Erzählungen“, die letzte Oper. Die 36-Jährige ist Kapellmeisterin der Deutschen Oper Berlin. In Taiwan geboren, zog sie im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern nach Wien, wo sie auch ihre Ausbildung erhielt. Inzwischen ist die Dirigentin international gefragt. Im Interview erzählt sie, warum sie das Gefühl hat, Frauen würden am Pult teilweise bevorzugt.

Sie kennen Palma schon, haben hier bereits „Nozze di Figaro“ und „L’elisir d’amore“ dirigiert. Was ist Ihr Eindruck von der Stadt?

Es ist immer wieder schön, hierhin zurückzukommen. Für eine Opernproduktion bin ich immer etwa einen Monat hier, da hat man Zeit, die Stadt etwas kennenzulernen. Die Leute sind sehr entspannt und freundlich, vielleicht liegt es ja am Wetter. Wenn ich erzähle, dass ich nach Palma fahre, fragen mich manche, ob ich dort Urlaub mache, und wundern sich, dass es hier ein Theater gibt. Dabei ist das Theater sehr schön, mit wunderbarem Chor und Orchester.

Dieses Mal sind Sie hier für „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach. Eine Oper, die ein wenig operettenhaft ist.

Das stimmt, es ist allerdings eines der ernsteren Werke von Offenbach. Andere Werke sind als Operetten betitelt. „Hoffmanns Erzählungen“ dagegen ist als eine fantastische Oper geschrieben, es kommen sehr viele Fantasieelemente wie Gespenster vor. Gleichzeitig gibt es auch Zukunftsszenarien mit Robotern, die für uns schon nicht mehr so verrückt erscheinen wie zu Offenbachs Zeiten. Aber insgesamt ist in der Oper viel Fantasie drin.

Hat man als Dirigentin überhaupt viel mit dem Inhalt der Oper zu tun?

Ja, sehr viel. Vor allem bei so einem Werk wie diesem, das von einem realen Dichter, E. T. A. Hoffmann, handelt. Wir machen bei „Hoffmanns Erzählungen“ die Version mit Rezitativen. Das sind Dialoge, die gesungen werden. Hier begleitet die Musik den Text. Der Text steht aber für mich sowieso meistens im Vordergrund, weil man wissen muss, was man da eigentlich dirigiert, was die Figuren sagen. Ich würde nicht sagen, dass die Musik ohne den Inhalt keine Bedeutung hat, aber sie gehen Hand in Hand.

Sagen Ihnen lockere komödiantische Opern wie „Hoffmanns Erzählungen“ mehr zu als Werke, die ernst und tragisch sind?

Das würde ich nicht sagen, aber ich mag Komödien. Wobei diese leichte Musik einfacher klingt, als sie ist. Ich finde es manchmal sogar herausfordernder, eine Komödie zu dirigieren. Es steckt viel Arbeit dahinter, dass die Witze gut ankommen, dass das Publikum sie versteht und auch lustig findet. Operetten können beim Dirigieren eines der schwierigsten Genres sein.

Sie haben den Dirigierstab einmal das „leichteste Instrument der Welt“ genannt. Wie meinen Sie das?

Naja, es ist vom Gewicht das leichteste Instrument. Wobei ich dafür sehr viele Partituren im Gepäck habe, die sind relativ schwer. Aber Dirigent zu sein, ist deswegen natürlich nicht leicht. Wenn alles stimmt, kann es wunderbar sein, dann hat man das Gefühl, man surft einfach nur über die Musik. Aber manchmal kann sich das Dirigieren auch sehr schwer oder sogar schwerfällig anfühlen.

Lohnt sich die schwere Arbeit denn?

Sehr. Es gibt oft magische Momente. Wenn man ein Instrument spielt, kann man mit dem Klang etwas aussagen, aber wenn man Dirigent ist, hat man eigentlich nur den Stab, und der klingt ja nicht. Und trotzdem kann man durch die Gestik seine Ideen vermitteln. Wenn das rauskommt, was man sich vorgestellt hat, und wenn alle miteinander Musik machen, dann ist es wirklich ein sehr schönes Gefühl.

Worauf achten Sie beim Dirigieren?

Heutzutage hört man sehr viel übers Internet und kann sich seine Musik aufs Handy runterladen. Aber ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass Livemusik mit einem Orchester und Sängern immer noch anders klingt. Gott sei Dank. Wenn man dasitzt, vibriert der ganze Saal mit. Und ein Orchester hat sehr viele Facetten, sehr viele Farben. Mein Ziel ist es, alles, was möglich ist, rauszuholen. Gleichzeitig versuche ich einen runden Klang zu schaffen. Ich bin in Wien aufgewachsen, und da haben die Orchester einen traditionellen Klang, der durch spezielle Instrumente wie das Wiener Horn erzeugt wird. Dadurch klingt das Orchester weicher. Das habe ich von klein auf mitbekommen und versuche diesen Klang immer einzubringen.

Es dirigieren immer noch wenige Frauen in großen Häusern. Haben Sie das Gefühl, Ihnen werden Steine in den Weg gelegt?

Nein, habe ich nicht. Vielleicht sah das vor zehn Jahren noch ein bisschen anders aus, aber inzwischen würde ich sogar sagen, dass es Situationen gibt, in denen man als Frau bevorzugt wird. Es gibt Häuser, die wollen bei gewissen Produktionen eine Frau haben. Das finde ich manchmal etwas schade. Ich kann nichts dafür, dass ich eine Frau bin. Aber ich kann besser oder schlechter sein, das kann ich beeinflussen. Ich würde lieber für meine Fähigkeiten engagiert werden als wegen meines Geschlechts. Aber das kommt schon noch. Es braucht wahrscheinlich erst einmal Zeit, damit mehr Frauen dirigieren. Es sind schon jetzt viel mehr als vor einigen Jahren. Und dann werden die Guten sich bewähren. Am Ende hoffe ich, dass die Frage Geschlechts sich erübrigt. Dann haben wir das Ziel erreicht.