Legende der Nuredduna: Ein Insel-Mythos wird zum deutsch-mallorquinischen Musical

Elisabeth Engstler bringt am Tag der Deutschen Einheit eine zweisprachige Version zur Aufführung

Versiert in Regie, Stückentwicklung und Übersetzung: Elisabeth Engstler.

Versiert in Regie, Stückentwicklung und Übersetzung: Elisabeth Engstler. / Myriam Cibolini

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Gute Geschichten überdauern die Zeiten. Und der Stoff, den sich der mallorquinische Pianist Magí Garcías aussuchte, um ein episches Konzeptalbum zu kreieren, ist eine solche Geschichte: Im Jahr 1900 hatte der Dichter Miquel Costa i Llobera in „La deixa del geni grec“ die Legende von Nuredduna erzählt. Sie geht so: Die Enkeltochter eines Priesters lebt vor über 3.000 Jahren im talaiotischen Dorf Ses Païsses bei Artà. Eine Gruppe griechischer Seefahrer, darunter auch Melesigenes (der ursprüngliche Name des Homer), gerät in die Gefangenschaft des mallorquinischen Stammes. Doch die weise Seherin verliebt sich in Melesigenes und verhilft ihm zur Flucht – obgleich sie damit ihr eigenes tragisches Schicksal besiegelt.

Eine schicksalshafte Begegnung der erfreulicheren Art war es hingegen, als Magí Garcías die Theater- und Musical-Regisseurin und Dramaturgin Elisabeth Engstler vor anderthalb Jahren zufällig am Flughafen traf. „Wir sind ins Gespräch gekommen und haben uns ausgetauscht. Er kannte mich nur als die Frau des deutschen Konsuls auf Mallorca. Ich kannte ihn nur als klassischen Pianisten“, sagt Engstler der MZ. Als Garcías ihr erzählte, dass er ein Musical geschrieben hatte, wurde sie direkt hellhörig. Bei einem späteren Treffen ließ sie sich dann von dem Album begeistern: „Mich hat die Musik unglaublich berührt und sofort in eine andere Zeit und in eine andere Welt transportiert“, schwärmt Engstler.

Bereichert durch den Fremden

Vom Potenzial des Insel-Mythos als zeitgenössische Unterhaltung ist sie überzeugt: „Wir zeigen ja auch "Medea", weil die großen emotionalen Themen, die darin verarbeitet sind, heute noch aktuell sind. Das sehe ich in diesem Stück auch.“ Bewegend sei hier die Begegnung zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Sie verstehen sich nicht über die Sprache, bauen aber eine emotionale Verbindung zueinander auf. Im Gedicht von Costa i Llobera soll die Lyra, die Melesigenes in der Höhle von Artà zurücklässt, symbolisch für die Inspiration stehen, mit der das „griechische Genie“ die (Volks-)Dichtung befruchtet. „Die Begegnung mit einer fremden Kultur hinterlässt stets etwas, das für die eigene Kultur von Bedeutung ist oder uns weiterbringt“, sagt Engstler. „Auch davon erzählt diese Geschichte.“

Eine der wohl größten Qualitäten von Garcías’ „Nuredduna“: Selbst wer nicht um diese Hintergründe weiß und wem der katalanische Text Spanisch vorkommt, kann durch die melodiöse Mischung aus Folklore-, Pop- und Rock-Elementen und ausdrucksstarkem Gesang das ganze Spektrum der tragischen Liebesgeschichte mitfühlen. „Die Musik spricht ihre eigene Sprache, vermittelt Emotionen und zieht einen so stark in die Geschichte hinein, dass man ganz viel versteht, ohne die Sprache verstehen zu müssen“, sagt Elisabeth Engstler, die in Deutschland als Dramaturgin und Regisseurin auch in das Projekt „Hinterm Horizont macht Schule“ der Udo-Lindenberg-Stiftung involviert ist. Die Mittfünfzigerin arbeitet dort mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten zusammen.

Der Grieche singt auf Deutsch

Garcías und sie wollen das Projekt dennoch auch sprachlich weiterentwickeln. Der Pianist bat die Dramaturgin darum, die Liedtexte ins Deutsche zu übersetzen. Engstlers Ausgangspunkt war eine wortwörtliche englische Übersetzung, die Garcías von den katalanischen Texten erstellte. Engstler betont: „Man denkt immer, dass man die Sprache, die man übersetzt, besonders gut beherrschen muss. Vor allem aber muss man die eigene Sprache sehr gut beherrschen, damit man die Emotionen und die Bilder transportieren kann.“

Erste Früchte trägt die Kooperation nun in Form eines rund 30-minütigen konzertanten Ausschnitts beim Tag der Deutschen Einheit in Palma. Die künstlerische Idee war hier die Begegnung des Katalanischen und Deutschen und ein Fokus auf dem Dialog der Hauptfiguren. Dazu wurde die ursprüngliche Besetzung, die das Album auch mehrmals auf der Bühne präsentiert hatte, verändert: Juanjo Monserrat, der bis dato den Part des Griechen sang, bleibt als Musiker dabei. Als Melesigenes löst ihn der deutsch-mallorquinische Sänger Dennis Mansfeld ab (eine Hörprobe gibt es hier), laut Elisabeth Engstler die perfekte Wahl für dieses interkulturelle Projekt: Als Muttersprachler könne er die deutschen Texte hervorragend interpretieren, als Mallorquiner habe er Zugang zur Kultur der Insel. Den Part der Nuredduna übernimmt Aina Zanoguera von Laura Picó.

Magí Garcías 2022 beim Tag der Deutschen Einheit im Konsulat.

Magí Garcías 2022 beim Tag der Deutschen Einheit im Konsulat. / Nele Bendgens

Hoffen auf die große Bühne

Das geladenen Gästen vorbehaltene Konzert wird vorerst die einzige Möglichkeit sein, die deutsch-mallorquinische Fassung live zu erleben. „Diese Aufführung ist ein erster Schritt, der uns vielleicht noch woanders hinführen wird“, sagt Engstler. Dass das Musical einmal in voller Länge auf Bühnen in Deutschland zu sehen sein wird, ist natürlich der große Traum – auch von Magí Garcías. Mit ihrer Erfahrung und ihren Kontakten versucht Engstler, den Pianisten zu unterstützen, wo sie nur kann.

Sie kennt die Branche gut und weiß daher, dass ein solches Unterfangen kein Kinderspiel ist. Dennoch meint sie: „In Deutschland ist alles, was mit Mallorca zu tun hat, von sehr großem Interesse.“ In Kombination mit den universellen Themen könne das Stück auf dem deutschen Musical-Markt durchaus auf Interesse stoßen. Auch die Zweisprachigkeit passe in eine Zeit mit sich verändernden Hör- und Sehgewohnheiten: Netflix zeige Filme und Serien in Originalsprache, und Theater hätten heute die Möglichkeit, Texte als Übertitel einzublenden.

Eine wichtige Voraussetzung, um das Werk auf dem deutschen Markt zu platzieren, sind erste Demo-Aufnahmen in deutscher Sprache. Engstler brachte Garcías mit der Musical-Darstellerin Pamina Lenn zusammen, die zuletzt den beiden Protagonistinnen von Disneys „Eiskönigin“ im Hamburger Stage Theater an der Elbe Leben eingehaucht hatte. Sie trafen sich im Studio, um eine Aufnahme zu machen. Lenns kraft- und gefühlvolle „germanische“ Version der mallorquinischen Ureinwohnerin ist auf Engstlers Website zu hören (elisabethengstler.com).

Eine weitere Idee lautet, Nuredduna bei „schreib:maschine“, der offenen Bühne der Deutschen Musical Akademie, zu präsentieren, um das Thema zu streuen. Mit etwas Glück finden sich so interessierte Intendanten, die die mallorquinische Legende an ihr Theater holen wollen.

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