Intimes Hörerlebnis: Jazzpianist Manfred Kullmann präsentiert auf Mallorca sein erstes Solo-Album

Für die atmosphärischen Stücke, die auf der Platte "Música Poética" zu hören sind, hat der Musiker aus persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen geschöpft

Manfred Kullmann an seinem Piano.

Manfred Kullmann an seinem Piano. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Wohl kaum eine Musik steht der Poesie so nah wie der Jazz: Hier das freie Strömen von Kreativität, in Worte gefasste Empfindungen, dort die Kunst der vom Gefühl geleiteten Improvisation am Instrument. Ein Meister auf letzterem Gebiet ist der Pianist Manfred Kullmann (85), der nach einer erfolgreichen Karriere in Deutschland seit nunmehr 25 Jahren auf Mallorca für seinen hochkarätigen Jazz bekannt ist. Die meisten Zuhörer werden ihn mit Trio-Formation auf der Bühne erlebt haben. Doch für sein jüngstes Projekt „Música Poética“ verzichtet er auf Kontrabass und Schlagzeug an seiner Seite, um auf Solo-Pfaden zu wandeln.

Die Entstehungsgeschichte dieses besonderen Tonträgers ist mit der Pandemie verknüpft: „In dieser Zeit bin ich zwangsläufig dazu gekommen, zu sagen: Ich muss mehr allein spielen“, erklärt der Pianist beim MZ-Besuch. Da sich das gut anfühlte, begann Kullmann, nach und nach Stücke zu Hause an seinem Klavier aufzunehmen. Darunter Kompositionen, die zuvor schon „auf der Insel gelebt“ hatten, wie der Musiker sagt – sie waren also bereits in verschiedenen Versionen live zu hören gewesen, doch bislang noch nie so reduziert, pur und poetisch. Schließlich meldete das deutsche Plattenlabel auris subtilis Interesse an dem Material an und produzierte die CD, die Ende 2023 veröffentlicht wurde. Nun präsentiert Kullmann das Projekt zum ersten Mal bei Konzerten auf Mallorca in intimer Atmosphäre – und auf einem eigenen E-Piano, das zu den Auftritten mitkommt.

Musik zum Nachdenken, zum Mitfühlen

Intimität beschwört Kullmann auch mit den Stücken herauf: Das Album beginnt mit dem verträumten „Walk in Paradise“, einer Einladung an die Hörer, sich dabei ihr eigenes Paradies vorzustellen. „Es ist Musik zum Nachdenken, zum Mitfühlen. Ich spreche über verschiedene Themen, vor allem über meine Empfindungen von Mallorca“, sagt der Pianist über seine Kompositionen.

Auf den Spaziergang folgen in Tönen festgehaltene Erzählungen, für die der Pianist aus persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen schöpft. „Algarabia“ etwa kann mit „Stimmengewirr“ übersetzt werden. Kullmann denkt dabei an das Durcheinander von Leuten und Lauten auf einem Basar – und ganz konkret an die Geräuschkulisse, die ihn empfängt, wenn er die ruhige Oase seiner Wohnung in Palma verlässt: „Wenn ich hier vor die Tür gehe, dann ist es auf dem Passeig des Born kaum auszuhalten“, sagt er über das dortige Urlauber-Gewimmel, das er musikalisch verarbeitete.

Tanzendes Blatt und norwegische Mitternachtssonne

Das Stück „Molinos de viento“ spricht von seiner Faszination für die Windmühlen der Insel, die es zur Zeit von Kullmanns Ankunft auf Mallorca 1999 noch in größerer Zahl gab und die sich damals auch noch drehten. Der Musiker erreichte die Insel mit seinem Schiff, verbrachte zunächst einige Zeit in Andratx. An einem fast windstillen Tag beobachtete er ein einzelnes Blatt, das im Wind tanzte. „Das hat mich hypnotisiert“, so Kullmann, der sich dadurch zum Stück „Hipnotico“ anregen ließ. Er selbst lässt sich auf der Platte wie ein Blatt im Wind von Situation zu Emotion treiben.

Manche Kompositionen reichen noch weiter in die Vergangenheit zurück, etwa „Way up north“: Bevor Kullmann beim Hessischen Rundfunk fest als Pianist der Bigband einstieg, war er mit einem Kreuzfahrtschiff entlang der Westküste Norwegens unterwegs. Fjorde, Wasserfälle und die Mitternachtssonne im hohen Norden inspirierten ihn unter anderem – der Pianist vermutet, weil ihm kalt war – zur Komposition „Spanish Fantasy“, dem Nachhall eines Urlaubs an der warmen Costa Brava, wo im Radio nur spanische Folklore lief.

Klassische Stücke in der Sprache des Jazz

Im weiteren Verlauf des Albums finden sich auch einige klassische Stücke – von Beethoven, Ravel oder Fauré – die Kullmann in die Sprache des Jazz übertrug. Hier schätzte er es ganz besonders, solo spielen zu können und somit völlige Freiheit in der Gestaltung zu haben, sagt er. Damit das Ergebnis stimmig ist und sich „der Beethoven nicht im Grab umdreht“, wie es der Pianist salopp formuliert, brauche man viel Erfahrung und einen eigenen Stil. An beidem mangelt es Kullmann nun wahrlich nicht. Auf den kommenden Konzerten wird er sich nicht nur auf Stücke des neuen Albums beschränken: Der Pianist hat ein vielfältiges Repertoire zusammengestellt – und nimmt sich teils die Freiheit, je nach Stimmung spontan zu entscheiden, was er an diesem Abend spielen möchte.

Manfred Kullmann solo am Piano erleben: „Música poética“, nächste Konzerte (weitere in Planung): 23. Mai, 19.30 Uhr, Florencio Jazz Lounge, Palma, 8. Juni, Kulturfinca Son Bauló (genaue Infos folgen in Kürze), 15. Juni, 19 Uhr, Esglèsia de Sant Felip Neri, Palma.

Die CD bekommen Sie unter anderem direkt auf der Website des Plattenlabels, auris-subtilis.de

Das Albumcover von "Música Poética".

Das Albumcover von "Música Poética". / auris subtilis

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