In dieser Ausstellung auf Mallorca begegnen Sie kapitalistischen Krümelmonstern

Die deutschen Künstler Stefan Rinck und Philip Grözinger kreieren in der Duo-Show „The bliss of ignorance“ im CCA Andratx ein mit bissig-humorvoller Gesellschaftskritik getränktes Universum

Stefan Rincks Skulpturen einer „semi-kapitalistischen Keksgesellschaft“ und im Hintergrund Philip Grözingers Gemälde „Snakes and Ladders“, das auf den Science-Fiction-Film „Soylent Green“ anspielt.

Stefan Rincks Skulpturen einer „semi-kapitalistischen Keksgesellschaft“ und im Hintergrund Philip Grözingers Gemälde „Snakes and Ladders“, das auf den Science-Fiction-Film „Soylent Green“ anspielt. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Die Phrase „Ignorance Is Bliss“ (zu Deutsch etwa: „Unwissenheit ist ein Segen“) ist ein viel genutzter Songtitel, von den Ramones bis zu Hip-Hop-Künstlern und Metalbands. Geprägt hat ihn ursprünglich der englische Dichter Thomas Gray im Jahr 1742. Nun dient er in abgewandelter Form als Titel für eine Duo-Show der deutschen Künstler Stefan Rinck und Philip Grözinger im CCA Andratx. Und er passt formidabel zu einer Ausstellung, die nicht weniger ist als ein wilder Ritt durch die süßen Freuden des Eskapismus und die bittere Realität, die sich doch nie ganz ausradieren lässt.

Rinck und Grözinger sind fast gleich alt (Jahrgang 1973 und 1972), leben und arbeiten in Berlin und sind beide bekannte Gesichter im CCA. Sie kennen sich schon lange, und ihre Werke ergänzen sich in dieser ersten gemeinsamen Schau hervorragend. Die Schnittmenge der zwei Künstler beschränkt sich dabei nicht nur auf das geteilte Interesse für das Thema Realitätsflucht: „Ich finde, wir haben auch beide einen komischen, verqueren Humor“, sagt Grözinger beim Rundgang mit der MZ.

Skulpturen, die am Bankautomaten warten

Der Bildhauer Stefan Rinck macht die Besucher zunächst mit einer Reihe schnell modellierter, gebrannter und dezent glasierter Tonfiguren bekannt, die aussehen wie frisch geknetet. Sie bilden am Boden eine Schlange vor einem detaillierter ausgearbeiteten Bankautomaten aus Kalkstein. „Die beschweren sich, weil sie am Automaten warten müssen“, erklärt Rinck. Und schlägt einen Bogen zur seligen Ignoranz: „Der Mensch beschäftigt sich so sehr mit den profanen Problemen, dass er die wirklichen, viel größeren Probleme wie den Tod oder die Abgründe des Universums ausblenden kann.“ Dies sei ein Schutzmechanismus, um nicht verrückt zu werden.

Gesellt sich zu seinen „wartenden“ Figuren am Boden: Stefan Rinck.

Gesellt sich zu seinen „wartenden“ Figuren am Boden: Stefan Rinck. / Nele Bendgens

Ein ziemlich schräges Völkchen ist auch seine „semi-capitalistic cookie society“: fantasievolle Figuren aus bröckeligem Stein, echte „Krümelmonster“. Sie teilen sich in zwei Gruppen auf, wie der Künstler erläutert: Die einen umklammern einen Geldsack, die anderen sind arm und sehen dementsprechend unzufrieden aus. Schuttberge drumherum zeigen das Prozesshafte und sollen die Figuren mit dem Raum verschmelzen lassen. Im Kontext erinnern sie aber auch ein wenig an die Münzberge im Geldspeicher von Dagobert Duck. Rinck findet die Assoziation passend – selbst für jene Skulpturen, die nicht mit Reichtum gesegnet sind: „Da kann man umgedreht von Verarmungsangst sprechen“, sinniert er. Das Geld sei ihnen quasi schon aus den Taschen geflossen, der Schutt symbolisiere Schulden.

Überhöhte Vorstellungen von der Trauminsel Mallorca

Rinck nennt seinen Beitrag „ein Gesellschaftsporträt“. Philip Grözinger, der einige Gemälde speziell für diese Ausstellung schuf, wollte auch direkt auf Mallorca Bezug nehmen, „weil es eine Insel ist, für die spezifisch aus Deutschland überhöhte Vorstellungen bestehen.“ Die „Trauminsel“, auf der es immer sonnig ist. Boote eigneten sich außerdem gut als Motiv, weil sie in der Kunstgeschichte oft mit dem Thema Flucht in Verbindung stehen. Grözinger gesteht, dass auch er selbst nicht ganz vor dem positiven Mallorca-Einfluss gefeit war. Neben dem „Heavy Shit“, wie er sagt, enstanden auch einige leichtere Bilder: „Hier habe ich angefangen, Blumen zu malen. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist …“

Philip Grözinger mit einem seiner Werke.

Philip Grözinger mit einem seiner Werke. / Nele Bendgens

Trotz aller Verdrängung sind die Probleme bei ihm noch sehr präsent: „Viele meiner Bilder haben mit dystopischen Szenarien zu tun“, erklärt der Künstler, der auch eine hohe Affinität zu Filmen und Filmzitaten hat. So ist eines seiner düstersten Werke inspiriert von dem Science-Fiction-Klassiker „Soylent Green“ von 1973. In dem Film verarbeitet ein Unternehmen Menschen zu Nahrungsmitteln und behauptet, diese seien aus Plankton. Weitere Themen bei Grözinger sind Überehrgeiz und Zerstörung. Als Beispiel nennt er die Polarforscher Scott und Amundsen, die als Erste den Südpol erreichen wollten. „Scott ist umgekommen und hat seine Leute in den Tod geführt.“ Ein weiterer Forscher, Shackleton, rettete hingegen seine Besatzung. „Wo ist dieser Bruch in einer Biografie, wenn du nicht der Erste sein willst? Warum ist bei gleichen Voraussetzungen in manchen von uns etwas Zerstörerisches und in anderen etwas Humanistisches?“

Künstliche Intelligenz kreierte einen Video-Loop

Zugleich „toll und schockierend“ fand Grözinger, was künstliche Intelligenz mit seinen Bildern anstellte: Die Schau zeigt einen kurzen Video-Loop, für den er ein Programm mit seinen Kunstwerken speiste. Es hat etwas von einem surrealen Drogentrip, wenn die gemalten, verlorenen See-Landschaften und Wesen sich auflösen und neu zusammenfügen – und ein Paralleluniversum bilden, in das man dann doch eher weniger flüchten möchte.

Neue Ausstellungen in Andratx: Neben „The bliss of ignorance“ ist im CCA auch eine neue Gruppenschau mit Werken aus der Sammlung gestartet: „The softness“. Di.-Sa. 11-18 Uhr, Carrer S’Estanyera, 2, weitere Infos: ccandratx.eu

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