In dieser Schau sehen Sie geheimnisvolle Strukturen, optische Illusionen und ein dekonstruiertes Militärflugzeug

Auf den drei Etagen der Galería Roy, die auf konstruktiv-konkrete Kunst spezialisiert ist, gibt es derzeit drei Ausstellungen zu entdecken – sie fordern das Auge und den Geist zugleich

Werke von Norbert Thomas in der Galería Roy.

Werke von Norbert Thomas in der Galería Roy. / MICHAEL BÖTTCHER / GALERÍA ROY

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Wer auf Mallorca aktuell einen Fuß in die Galería Roy in Felanitx setzt, wird überrascht. Prints und Gemälde, die an Vorlagen von Willi Baumeister angelehnt sind, einen Raketenabschuss erkennen lassen oder freie Formen zeigen, die an japanische Kalligrafie erinnern, sieht man hier doch eher selten. Schöpfer dieser Arbeiten ist der vielseitige Künstler Hans-Martin Asch, den der Kunstprofessor Andreas Orosz als „Skeptiker der Fotografie“ bezeichnete. Ihm ist eine von drei Einzelausstellungen gewidmet. „In einer Galerie für konstruktive und konkrete Kunst wundert man sich vielleicht, dass das ausgestellt wird. Aber das Werk berührt diese Bereiche immer wieder“, so der Galerist Daniel Roy.

Das Dekonstruktionsprinzip, also das Gegenteil des Konstruktiven, passe optisch gut ins Konzept. Was dahintersteckt, wird beim titelgebenden Bild „Deconstruction of a warplane“ besonders deutlich: Es zeigt in schwarzem Acryl auf Leinwand gemalte Teile eines Militärflugzeugs. Roy ruft während des Rundgangs durch die Schau spontan den Künstler an, und Asch erklärt selbst Näheres zu den Hintergründen – er nutze gern Bilder aus dem Internet („Fundstücke“) als Ausgangsmaterial.

Ein Geheimflugzeug der Luftwaffe im Dritten Reich

Die Vorlage hier sei die Konstruktionszeichnung eines Geheimflugzeugs von der Luftwaffe im Dritten Reich gewesen. „Die Zeichnung ist durch einen digital unterstützten Prozess gegangen“, sagt der Künstler. Dann erfolgte die Dekonstruktion, die Ableitung von Formen aus dieser Zeichnung. Asch beschäftigte sich schon früh mit dem Zweiten Weltkrieg, möchte hier aber auch eine Brücke zur Aktualität schlagen: „Diese Arbeit ist 2022 entstanden und nimmt natürlich auch Bezug auf den Ukraine-Krieg“, erklärt er.

"Deconstruction of a warplane" von Hans-Martin Asch.

"Deconstruction of a warplane" von Hans-Martin Asch. / Hans-Martin Asch

Wir steigen hinauf in die lichtdurchflutete mittlere Etage, zu den Arbeiten des 1947 geborenen Künstlers und Hochschullehrers Norbert Thomas: Das Sonnenlicht verstärkt die Kraft der Farben, die den Besuchern entgegenstrahlt. Thomas kommt von der Kasseler Schule und ist laut Roy einer der wichtigsten Vertreter seiner Generation. Viele Künstler, die mit dem Vokabular der konstruktiv-konkreten Kunst arbeiten, entwickeln in dieser Richtung ein eigenes, wiedererkennbares System als Basis ihrer Werke – ein Markenzeichen. Im Fall von Thomas ist dies das Prinzip von System und Zufall: Das Element des „gelenkten Zufalls“ kommt bei der Bestimmung der Winkel und dem Verlauf der Linien ins Spiel.

Bilder, die sich nicht einfach entschlüsseln lassen

Sein weit über fünf Jahrzehnte umfassendes Werk ist sehr facettenreich. Für die erste Solo-Ausstellung in Felanitx wollte Roy nun eine Werkgruppe herausgreifen: „Ich habe diese Arbeiten erstmals im Museum im Kulturspeicher in Würzburg gesehen. Sie sind so was von frisch innerhalb dieser Kunst, eine eigenständige Weiterentwicklung“, schwärmt Roy. Ihr Effekt schwäche sich zudem nie ab.

Faszinierend an diesen Werken ist, dass das Auge niemals mit dem Betrachten „fertig“ ist: Das System erschließt sich nicht, bekommt dadurch etwas Rätselhaftes. Es fesselt den Blick und gibt ihn nicht mehr frei. „Die Offenbarung eines Geheimnisses ist hier das Entscheidende“, sagt Roy. Im Gegensatz zu schematisch arbeitenden Vertretern der konkreten Kunst, bei denen man alles genau ablesen und analysieren kann, gehen Thomas’ Bilder über simple Grundraster hinaus. Sie sollen sich gerade nicht entschlüsseln lassen wie eine einfache Rechenaufgabe. „Denn dann wird ja die Kunst langweilig“, sagt Roy. Manchmal versetzt Thomas die Orthogonalitäten in die Schräge, sodass man denken könnte, die Arbeit würde schief hängen. Als Betrachter kann man sich selbst dabei nur schwer verorten.

Norbert Thomas vor einem seiner Werke.

Norbert Thomas vor einem seiner Werke. / MICHAEL BÖTTCHER / GALERÍA ROY

Filigrane Papierschnitte mit besonderen Effekten

Reißt man sich dennoch los, erwartet einen im niedrigeren Raum des Obergeschosses noch ein Kleinod: Die filigranen Papierschnitte von Violetta Elisa Seliger kommen in der, wie es der Galerist treffend formuliert, „kammermusikalischen Ausstellung“ perfekt zur Geltung. Die kleineren Fenster und das spärlichere Licht schmeicheln in diesem Fall den Werken mit schwarzen Hintergründen, weißen Rastern, Verschränkungen und organischem Schwung. „Jedes dieser Blätter ist mit dem Skalpell ausgeschnitten“, sagt Roy.

Dass die Arbeiten von viel handwerklichem Können zeugen, ist kein Wunder: Violetta Elisa Seliger ist eigentlich gelernte Goldschmiedin. Als Tochter der Künstler Reiner Seliger und Heidi Gerullis ist sie mit Kunst groß geworden und entwickelte ebenfalls den Drang, sich künstlerisch zu entfalten. Frei vom Druck, auf diesem Gebiet das Rad neu zu erfinden oder Karriere machen zu müssen, kreiert sie laut Roy „völlig authentische und persönliche Schöpfungen“. Diese bauen sich durch Überlagerungen aus zwei oder drei Schichten auf, wobei die Flächen hinter Glas frei im Raum hängen. Der Aspekt des Schwebenden verleiht Seligers Werken besonderen Reiz – ebenso wie die „Op-Art-artigen Effekte“.

Eine Arbeit von Violetta Elisa Seliger.

Eine Arbeit von Violetta Elisa Seliger. / GALERÍA ROY

„Wir arbeiten hier eigentlich weniger mit jüngeren Künstlern“, sagt Roy. Die Anfang 40-Jährige schert aus dem Altersdurchschnitt von rund 80 Jahren aus. Doch die Besucher haben dadurch einmal die Möglichkeit, etwas ganz Frisches zu entdecken. Und sie müssen sich dazu selbst bewegen, genau wie bei Werken von Ludwig Wilding: Je nach Standort verändert sich das Bild, schafft eine verblüffende räumliche Illusion. Der Betrachter kreiert das Kunstwerk – denn es entsteht in seinem Auge.

Hans-Martin Asch, „Deconstruction of a warplane“, Norbert Thomas, „System und Zufall“, Violetta Elisa Seliger, „…Netzwerke…“, jeweils bis 30. Mai, Plaça Pax, 6, Felanitx, Do.–So. 10–13 Uhr, galeria-roy.com.

Abonnieren, um zu lesen