"Es fehlt an Mut und Überzeugung": Woran es für Fahrradfahrer auf Mallorca im Alltag noch hapert

Auf der Insel der Radurlauber ist es um die Fahrradmobilität nicht so gut bestellt. Was bislang erreicht wurde, woran es weiterhin mangelt und was jetzt alles geplant ist

Dani Salas (re.) mit Pol in Palma auf Achse. Seinen Sohn chauffiert der Mallorquiner nicht im Auto zur Schule, sondern begleitet ihn lieber auf dem Fahrrad.

Dani Salas (re.) mit Pol in Palma auf Achse. Seinen Sohn chauffiert der Mallorquiner nicht im Auto zur Schule, sondern begleitet ihn lieber auf dem Fahrrad. / Nele Bendgens

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

„Möchtest du mal ausprobieren?“ Wenn Dani Salas mit seinem Fahrrad unterwegs ist und er mal wieder gefragt wird, warum er nicht mit dem Auto gekommen sei, geht er damit pragmatisch um. Einem Bekannten lieh er kurzerhand für ein paar Tage sein E-Bike, um damit zur Arbeit zu fahren. Nach den positiven Erfahrungen sei der Skeptiker umgestiegen. Und als sich herausstellte, dass der Sohn von Nachbarn nicht Fahrrad fahren konnte, brachte er es ihm bei, etwa um künftig den Schulweg gemeinsam auf dem Rad zu absolvieren.

Hilfen, Erleichterungen, Alternativen“ – das sei der strategische Dreiklang für eine Verkehrswende, sagt der 42-jährige Sportmanager, der die stetig wachsende Blechlawine nicht akzeptieren kann. Zum Fahrradaktivisten wurde er, als sein heute neunjähriger Sohn Pol zum ersten Mal in die Pedale trat. „Ich war mit meinem Rad immer auf der Fahrbahn unterwegs. Jetzt merkte ich plötzlich, in welchem Zustand die Fahrradwege sind“, sagt Salas. Und wie groß der Anteil der Eltern ist, die ihre Kinder mit dem Auto an der Schule vorfahren, in doppelter Reihe parken und Palmas Verkehr lahmlegen.

Eine Fahrradinsel für Freizeitsportler

Für das Projekt „Camí Escolar“ (in etwa: sicherer Schulweg) suchte er 2021 das Gespräch mit Anwohnern, Schule und Eltern, sprach mit seinem Sohn beim damaligen Bürgermeister José Hila in Palmas Rathaus vor, erreichte, dass die Stadt die Schülermobilität analysierte und ein Konzept mit Alternativen zum Privat-Pkw ausarbeitete. Auch ein Startdatum, pünktlich zum folgenden Schuljahr, legte das Rathaus fest. „Ich wollte meinem Sohn zeigen, dass man etwas bewegen kann, dass man sich für das Gemeinwesen engagieren muss“, sagt Salas.

Passiert ist dann nichts.

Zu heiß, zu kalt, zu gefährlich

Mallorca ist zwar eine Fahrradinsel, aber vor allem eine für Freizeitsportler. Das Fahrrad als Verkehrsmittel dagegen bleibt die Ausnahme. In Palma kommt es vor, dass Fahrradwege wieder zurückgebaut werden. Im Umland enden viele carriles bici im Nichts. Und das Rad gar mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie dem Zug zu kombinieren, trauen sich nur ganz Unerschrockene. Zu diesen Problemen der Infrastruktur kommen die in den Köpfen der Menschen. Es ist zu heiß oder zu kalt, es ist zu anstrengend, und man schwitzt, es ist windig oder dunkel, und vor allem: Es ist zu gefährlich.

Nach dem Machtwechsel im vergangenen Jahr in Landesregierung, Inselrat und Rathaus Palma befürchten Radfahrer, dass der Privat-Pkw jetzt erst recht Vorfahrt hat. Die siegreiche Volkspartei (PP) hatte im Wahlkampf vor allem betont, welche Fahrradwege in Palma stören – auf der Plaça d’Espanya und in der Fußgängerzone Blanquerna – und wie der Pkw-Verkehr rund um Palma besser und schneller fließen soll, statt Konzepte für Fahrradmobilität vorzustellen. Und jetzt?

Bestandsaufnahme in Palma

„In den ersten zehn Monaten der Legislaturperiode haben wir zwei Kilometer Fahrradweg neu angelegt und auf einer Länge von zwei Kilometern Fahrradwege vom restlichen Verkehr separiert“, sagt Antoni Deudero, Verkehrsdezernent in Palmas Rathaus. Und schiebt hinterher, dass das vielleicht nicht nach viel klinge, aber dass man nicht untätig gewesen sei und vor allem erst einmal die Ergebnisse einer groß angelegten Studie abwarten wolle, die bis Jahresende vorliegen sollen. Im Rahmen einer Ausschreibung für 70.000 Euro sollen ausgewiesene Experten analysieren, wo es im bestehenden, derzeit mehr als hundert Kilometer umfassenden Fahrradwegenetz im Stadtgebiet Probleme gibt, wie diese konkret gelöst werden können und wie das bestehende Netz erweitert werden soll.

Die bisherige Bestandsaufnahme des Politikers: Palma stehe für eine mediterrane Stadt nicht schlecht da, es gebe aber Optimierungs- und Ausbaupotenzial. Es gelte, die derzeit bestehenden zahlreichen Gefahrenstellen zu identifizieren. Dazu gehöre etwa, dass der Fahrradweg auf der Plaça d’Espanya ersatzlos verschwinden müsse – er gefährde Fußgänger, und auf dem Innenstadtring sei vor lauter Autos, Bussen und Taxen kein Platz. Fahrradfahrer müssten hier in Zukunft schieben.

Darüber hinaus wolle man bestehende Wege besser miteinander verbinden, so wie im April geschehen: Ein Teilstück zwischen La Vileta und Camí de Jesús ermögliche nun eine lückenlose Verbindung zwischen Gènova im Westen bis zum Gewerbegebiet Son Castelló.

Wer plant solche Wege?

Die Analyse von Toni Canaves fällt etwas weniger positiv aus. „Fahrradwege werden prinzipiell so angelegt, dass sie die Autofahrer möglichst wenig stören“, kritisiert der Vorsitzende der Fahrradlobby Biciutat. Während Pkw wie selbstverständlich bis zu 90 Prozent des öffentlichen Raums einnähmen, blieben für Räder wie auch E-Roller die Reste am Rand. Es geht über Wurzeln und Bordsteine, von einer Straßenseite auf die andere, im 90-Grad-Winkel um die Kurve oder im Slalomkurs haarscharf an Autotüren, Containern und Haltestellen vorbei. Würde da ein Lastenfahrrad durchpassen?

Die geplante Studie in Palma hält Canaves für einen Vorwand. Man müsse sich ja nur ein Beispiel an dem nehmen, was so viele andere Städte in Nordeuropa vormachten. „Fahrradwege sind eine simple Sache. 2,40 Meter Breite, europäischer Standard.“ Doch „es fehlt schlicht an Mut und Überzeugung“, so der Mallorquiner. Schließlich gäbe es jedes Mal einen Aufschrei, weil Parkplätze wegfielen und ein Politiker erst erklären müsse, dass mit jedem zusätzlichen Fahrradfahrer auch die Blechlawine ab- und die Lebensqualität zunehme.

Bicipalma: Die Leihräder können an jeder Station angedockt werden.

Bicipalma: Die Leihräder können an jeder Station angedockt werden. / Rathaus Palma

Entschlossener ist die Stadtverwaltung beim Ausbau des öffentlichen Radleihsystems Bicipalma. Das Rathaus gab vergangene Woche die inzwischen dritte Erweiterung bekannt. Hinzu kommen bis Jahresende zehn neue Stationen und 150 E-Bikes. An den künftig 101 Stationen werden damit rund 40 Prozent der mehr als 1.200 Leihräder elektrisch sein. Das einst von der linken Vorgängerregierung initiierte System, bei dem die Abonnenten die Räder innerhalb von 30 Minuten gratis an jeder beliebigen Station wieder andocken (bicipalma.com), sei mit inzwischen mehr als 22.000 registrierten Nutzern ein echtes Erfolgs- und Konsensmodell, so Dezernent Deudero – zumal rund 13.500 Personen Bicipalma sogar täglich nutzten.

Mit dem Rad auf Mallorca ins Umland

Ähnlich wie im Fall der Stationen ist auch mit vielen Radwegen Schluss, wenn das Ziel jenseits der Außengrenzen der Stadt liegt. Hier kommt Mallorcas Inselrat ins Spiel. „Wir wollen die Radwegnetze der Gemeinden, die es bereits gibt, miteinander verknüpfen“, erklärt Rafel Gelabert, zuständiger Generaldirektor für Infrastruktur. Ein augenfälliges Beispiel ist etwa die alte Landstraße nach Sineu zwischen dem Estadi Balear und Palmas Vorort Son Ferriol. Hier werde es einen durchgehenden Fahrradweg geben, so Gelabert, genauso, wie im Zuge des Ausbaus des zweiten Rings ein neues Wegenetz zwischen Coll d’en Rabassa, Einkaufszentrum FAN, Mercapalma, Son Ferriol und Gewerbegebiet Son Malferit (Ikea) entstehen soll.

Es sind Strecken, auf denen praktisch zu jeder Rushhour der Pkw-Verkehr ins Stocken kommt oder ganz zusammenbricht und mancher Autofahrer angesichts der kurzen Distanz ins Zentrum aufs Rad umsteigen könnte. Aber auch im weiteren Umkreis fehlt es bislang an Alternativen zum Pkw, wie Rafel Bosch aus Binissalem erzählt. Den Zug hat der Mallorquiner abgeschrieben – der komme meist schon überfüllt aus Inca an. Am liebsten würde er über die alte Inca-Landstraße (Ma-13A) mit dem Rad statt dem Auto nach Palma fahren und den „höllischen Stress“ mit den beständigen Staus vermeiden. Aber gerade bei Dunkelheit sei das zu gefährlich. „Gäbe es eine eigene Fahrspur, würde ich sofort das Auto stehen lassen und bräuchte mit dem Rad sicher nicht länger.“

Gute Nachrichten für E-Bike-Nutzer

Für Pendler mit Grundkondition, E-Bike oder auf kürzeren interurbanen Routen hat Gelabert eine gute Nachricht. Der Inselrat setzt neuerdings auf vials cívics, was man wörtlich mit „Bürgersteig“ übersetzen könnte – von der Fahrbahn baulich getrennte Seitenstreifen, auf denen alle nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer unterwegs sein können. Im Bau ist ein solcher gerade auf der Landstraße nach Inca zwischen dem Foro de Mallorca (Ausfahrt Binissalem) und Inca. Für 3,2 Millionen Euro entsteht für „Spaziergänger, Radler, Sportbiker und Runner“ eine 2,5 Meter breite Spur, abgetrennt von der Ma-13A mit einer Stahl-Holz-Barriere. Geplante Bauzeit: zwei Monate.

"Vial cívic" auf der Landstraße nach Ses Salines. Die Barriere fehlt noch.

"Vial cívic" auf der Landstraße nach Ses Salines. Die Barriere fehlt noch. / Inselrat

Und es gibt eine Liste ähnlicher Projekte. Bereits fertiggestellt für fünf Millionen Euro wurde ein vial cívic an der Landstraße Ses Salines–Colònia de Sant Jordi. Eine baulich nicht abgetrennte, aber bis zu zwei Meter breite seitliche Fahrspur ist zwischen Santa Eugènia und Marratxí geplant – hier wird ein Wegenetz zwischen Sencelles, Biniali und Santa Maria geschlossen –, auch auf den Landstraßen nach Sineu und nach Ariany sowie auf den Strecken Llucmajor–Algaida oder Son Real-Colònia de Sant Pere.

Kann Palma Amsterdam?

Die Infrastruktur ist eine Sache, die Mentalität der Menschen eine andere. Kann sie sich ändern? Muss man dabei nachhelfen, so wie das etwa Kopenhagen mit Annehmlichkeiten für Radfahrer und einer bewusst unattraktiven Pkw-Mobilität tut? Er freue sich über jeden Autofahrer, der umsteige, so Dezernent Deudero, aber „jeder soll frei über sein Transportmittel entscheiden und damit angemessen mobil sein können“. Die Stadt habe beispielsweise dafür gesorgt, dass es sichere Fahrradwege rund um die Schulen im Norden Palmas gebe. Die Wahl des Verkehrsmittels sei aber Sache der Eltern.

Der Politiker warnt davor, holländische Verhältnisse auf Mallorca übertragen zu wollen. „Da würden wir uns etwas vormachen, die Kultur ist ganz anders.“ „Kultur ist die Folge von Handlungen“, hält Canaves dagegen. „Wenn Holland oder Dänemark so sind, wie sie sind, dann liegt das an mutigen Politikern und Initiativen von Bürgern.Aktivist Salas glaubt zudem fest an den Erfolg von Überzeugungsarbeit. Denn niemand, der auf den Geschmack des Rads oder E-Bikes gekommen sei, wolle wieder per Pkw pendeln. Weil er oft schneller unterwegs sei, weil er gesünder lebe und vor allem weil Mobilität plötzlich gute Laute mache.

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