An der Info-Tafel im Büro von Sachreferent Bartomeu Martínez sind vor allem zwei Wörter dick unterstrichen: „Tramuntana" und „Sibyllen-Gesang". Die Naturlandschaft und der mittelalterliche Gesang wurden im vergangenen Jahr von der Unesco zum Welterbe erklärt, nun wird im Inselrat überlegt, wie das mallorquinische Kulturerbe den Urlaubern schmackhaft gemacht werden kann. Die Institution hat zwar in der Tourismuspolitik auf Mallorca nicht viel zu melden, wird aber als Zulieferer für das balearische Tourismusministerium tätig. „Wir haben alle Bürgermeister auf Mallorca angeschrieben und sie um eine Liste ihrer Sehenswürdigkeiten gebeten", sagt Martínez.

Das Ziel: die Aufbereitung der Informationen in Kampagnen, Broschüren sowie online. Die Zielgruppe: „Reisende", die sich nicht nur für Strand und Natur, sondern auch für das Kulturerbe der Insel interessieren. Und weil dieses oft einen religiösen Hintergrund aufweist, hat der Inselrat jetzt auch ein Abkommen mit dem Bistum geschlossen. Es sieht vor, gemeinsam das Angebot von Museen, Klöstern, Einsiedeleien und Pilgerorten für Urlauber zu erschließen und Themenrouten auszuweisen. „80 Prozent des Kulturerbes auf Mallorca gehören der Kirche", so Martínez – ein Schatz, der nun für die Besucher gehoben werde.

Dieser Religionstourismus ist nur ein Beispiel für immer speziellere Zielgruppen, in die der Strom der Mallorca-Urlauber zunehmend unterteilt wird. „Der moderne Kunde legt heute gesteigerten Wert auf Individualität bei Reisen", sagt Susanne Stünckel vom Reiseveranstalter Tui. „In einem x-beliebigen Drei-Sterne-Haus für alle von der Oma bis zum Baby fühlt er sich einfach nicht mehr wohl." Dieser traditionelle Markt, der von Überkapazitäten bei Flug und Hotel sowie austauschbaren Hotelprodukten dominiert sei, werde bis zum Jahr 2020 um 6 Prozent schrumpfen.

Helmut Wachowiak, Fachbereichsleiter Tourismusmanagement an der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef/Bonn, sieht das verstärkte Zielgruppen-Marketing in der Branche auch als Gegenbewegung zu früheren Jahren. „Lange Zeit wurde gerade im Hotelbereich Wert auf Standardisierung gelegt, um die Verwaltung zu optimieren." Inzwischen werde jedoch die Unterscheidbarkeit immer wichtiger, um nicht ausschließlich über den Preis im Wettbewerb bestehen zu müssen. Der Trend der verstärkten Zielgruppen-Erschließung betreffe Reiseveranstalter genauso wie Destinationen.

Im Bereich Hotels ist der Wandel schon an den immer neuen Markennamen sichtbar: Best Family, familywelt, Wellness-Oasen, balancewelt, Sensimar, Puravida, Relax, allvital, Select, xperiencewelt oder Club alltoura heißen die Konzepte der Reiseveranstalter. Statt Rundum-Sorglos-Paket von der Stange heißt die Losung „organisierter Individualismus". Bedürfnisse und Lebensstile der Kunden werden analysiert und in Kategorien wie „sicherheitsorientierte Relaxer", „naturorientierte Kulturliebhaber" oder „erlebnishungrige Singles" unterteilt. Baden, Wandern oder Radfahren sind längst nur noch Überkategorien, die Spezialisierung schreitet weiter voran – von Shopping, Kongressbesuch und Incentive über Wellness, Schönheitsbehandlungen und Sport bis hin zu Meditation, Kultur-Trips oder gar Reisen für Trauernde.

Wachowiak unterscheidet mehrere Mega-Trends. Unter demografischen Gesichtspunkten werde die Definition von Zielgruppen im Senioren-Tourismus immer wichtiger. Hinsichtlich des Lebensstils rücke vor allem die Zielgruppe der sogenannten Lohas immer stärker ins Visier – die englische Abkürzung steht für Lifestyle auf Basis von Gesundheit und Nachhaltigkeit. Ein weiterer Mega-Trend heißt zudem Qualitätstourismus und umschließt Aktivitäten wie Golfen, Wandern oder Segeln.

In praktisch allen Bereichen gibt es Beispiele für die fortschreitende Differenzierung der Zielgruppen. Wo früher etwa von Familien-Urlaub die Rede war, werden nun „Family-Welten" erschaffen, in denen die Kinder-Animation in Altersstufen in Zwei-Jahres-Schritten unterteilt wird. So hat der Reiseveranstalter Thomas Cook Eltern befragt, was sie sich wirklich wünschen. Ergebnis: Ganztagsbetreuung oder auch Abendessen für Kinder – damit die Eltern etwa Zeit für ein Candle-Light-Dinner haben.

Bei den Seniorenreisen wird die Zielgruppe nach ihrer Aktivität weiter unterteilt. So ist der Club Vital von Neckermann inzwischen nicht nur an der Playa de Palma zu finden, sondern hat in diesem Winter erstmals auch in Port de Sóller seine Pforten geöffnet. Statt Morgengymnastik und gemeinsamem Blutdruck-Messen steht auch Wandern mit „sportlichen Herausforderungen" für die „Best Ager" auf dem Programm. Senioren mit Gesundheitsproblemen dagegen können zum Katalog „Treffpunkt Urlaub" greifen: Dann ist auch ein deutschsprachiger Arzt mit an Bord, inklusive sind tägliche Sprechstunden im Hotel genauso wie ärztliche Fachvorträge und Ernährungskurse.

Der im Trend liegende Gesundheitstourismus differenziert sich ebenfalls weiter aus. Neben dem klassischen Verwöhn- und Relax-Programm wächst der Teilbereich Prävention – zum Teil mit finanzieller Unterstützung der Krankenkasse – aber auch der Bereich Beauty und Anti-Aging. So kann inzwischen die Lipomassage genauso wie die Botox-Spritze mit dem Mallorca-Urlaub kombiniert werden.

Um die Zielgruppe wirklich zu erreichen, kooperieren die Reise-veranstalter zunehmend mit Partnern. Alltours-Sprecher Stefan Suska verweist auf die Zusammenarbeit mit vier Radsportveranstaltern in neun Hotels auf Mallorca. Das Paket enthält Trikot, Funkverbindung mit dem Gruppenleiter und Ehrenpreise. Das Unternehmen bietet zudem zusammen mit Hagen Alpin Tours Trekkingtouren in der Tramuntana. Und im Bereich Beauty kooperiert die Tui mit der Clinic im Centrum auf Mallorca.

Wo sich ganz neue Nischen auftun, ergeben sich aber auch Chancen gerade für kleine Anbieter, etwa im Bereich Kultur: So wirbt beispielsweise der Veranstalter art balear mit Ateliers-Besuchen auf Mallorca. Die Teilnehmer besuchen Künstler „fernab vom Vernissagengetümmel", so Gründer Klaus Dorn. Das Programm: an der Farbe riechen, Materialien anfassen, Fragen stellen – und vielleicht klingt der Abend zwischen den eigenen Rebstöcken des Künstlers aus.

In den Nischen kommen zudem auch Mallorcas Gemeinden ins Spiel: Sie können sich mit speziellen Angeboten einen Namen machen, sei es mit Birdwatching wie in der Gemeinde Calvià geplant, als Kongress- und Shopping-Standort im Fall von Palma de Mallorca oder mit Angeboten für Anhänger neuer Technologien.

Eine ganz neue Dimension des Zielgruppen-Tourismus bahnt sich unterdessen im Internet an. Denn in den sozialen Netzwerken wie Facebook können Kunden dank der Preisgabe ihrer Profildaten mit immer zielgerichteteren Angeboten angesprochen werden und landen so schnell in einer virtuellen Schublade, wie Experte Wachowiak erklärt. „Die Social Media werden zu Comercial Media."

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 19. Januar (Nummer 611) lesen Sie außerdem:

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