Beim Opening des Megaparks 2017 rollte Ballermann-Sänger Mickie Krause auf einem seltsamen Gefährt mit zwei über­dicken Reifen über den roten Teppich. Am Lenker leuchtete ein runder Motorradscheinwerfer, er selbst saß auf einer schnurgeraden Sitzbank, die ein wenig an die lang gezogenen Sättel der in den 70er-Jahren beliebten ­Bonanza-Räder erinnerte. „Das ist ein Elektrofahrrad", sagte Mickie Krause damals der MZ auf Nachfrage. „Bekannte von mir haben das gebaut." Julia Emmert (39) und ­Ossian Vogel (47) waren diese Bekannten. Seit neun Jahren lebt das Paar auf Mallorca. Die Online-Marketing-Expertin aus München und der ehemalige Hubschrauberpilot vom Bodensee haben 2017 in ­Palma die E-Bike-Manufaktur Urban Drive­style ge­gründet und stellen das „Unimoke" her. Auch wenn Julia Emmert heute sagt, dass die Idee mit der Megapark-Eröffnung nicht ihre beste Marketing-Idee gewesen sei - „der ­Ballermann wirkt für einige auch ab­schreckend"-, haben sie schon im ersten Jahr rund 1.000 ihrer Gefährte verkauft und hoffen, 2020 bis zu 4.000 Stück abzusetzen.

Julia Emmert und Ossian Vogel ge­hören zu der wachsenden Gruppe von ­Firmengründern auf Mallorca. Sie zählen zu den Start-ups, das heißt, ihre Firmengründung beruht auf einer innovativen ­Geschäftsidee, die ein hohes Wachstumspotenzial verspricht. „Hunderte Unter­nehmen werden jeden Monat auf den ­Balearen angemeldet", sagt eine Sprecherin der staatlichen Jobagentur Palma Activa, die Gründern auf die Beine hilft. Der ­Rekordmonat 2019 war der Februar mit 337 Anmeldungen. Darunter viele Einzelhändler, Gastronomen, Handwerker - aber eben auch Start-ups. Die Szene entwickle sich sehr gut.

Das bestätigt auch der Deutsche ­Christian Boltz, der im Jahr 2016 das Forum mallorcastartups.com gegründet hat, eine Gemeinschaft von Gründern auf Mallorca mit knapp 2.000 Mitgliedern. Vor allem der Tourismusbereich biete sich für Gründer auf Mallorca an, so Christian Boltz, der selbst eine Softwarefirma betreibt. „Vor fünf Jahren gab es zum Beispiel keinen Platz zum Coworking, heute kenne ich 18", sagt er. Im Geschäftszentrum von Palma Activa im Carrer del Socors, 22, wird den Neu-Unternehmern neben 17 Lokalen und sieben Büros auch ein Coworking-Raum mit 20 Plätzen angeboten. Beim Coworking teilen sich Freiberufler und Start-ups meist einen großen, offenen Raum.

Julia Emmert und Ossian Vogel hatten Kontakt mit Palma Activa. Doch beim Anmelden ihrer Firma haben sie lieber auf eine gestoría zurückgegriffen. Auch war ihnen die Warteliste für einen Raum, in dem sie ihr Unimoke zusammenbauen konnten, zu lang. „Also habe ich ganz klassisch die ersten Modelle in meiner Garage zusammengeschweißt", sagt Ossian Vogel. Gestartet haben sie ihr Projekt aus einem gewissen Eigennutz heraus. Kurz vor ­ihrem Umzug nach Palma wurde ihre gemeinsame Tochter Laura geboren. „Wir ­haben nach einer Alternative gesucht, um mit Laura durch die Stadt zu fahren", sagt Julia Emmert. Auf ein Auto wollten sie schon allein wegen der Parkplatzsituation verzichten. Lastenfahrräder und Anhänger waren ihnen für die engen Gassen in Palma zu groß. Eine Reise nach China brachte sie auf die Idee, sich in Sachen Elektromobilität umzusehen. „In Asien ist man viel ­weiter, was die Mikromobilität angeht", so Julia Emmert.

Zurück in Palma, wurden sie aber nicht so recht fündig. „Ich wollte ein Gefährt, auf dem man als Familie zu dritt unterwegs sein kann", sagt Ossian Vogel. Finanziert haben sie ihr Vorhaben per Crowdfunding über die Website Indiegogo, 100.000 Euro kamen so als Starthilfe zusammen. Ein Unimoke gibt es ab 2.490 Euro, der Verkauf findet über die Website urbandrivestyle.com statt. „Wir haben schnell gemerkt, dass es zu lange dauert, die bestellten Räder über Barcelona nach Deutschland zu schicken", sagt Ossian Vogel. Deutschland sei heute ihr Hauptmarkt neben Großbritannien und Belgien. Ihre Produktion haben sie deswegen nach Berlin verlegt, 15 Ange­stellte arbeiten in der Manufaktur in ­Schöneweide. Auf Mallorca sei es schwierig, technisch gut geschultes Personal zu finden. ­Alles, was mit der Konzeptionierung zu tun hat, funktioniere dagegen gut. „Auf Mallorca haben wir ein Design­büro, und hier findet das Marketing statt", sagt Julia Emmert. Sie haben mittlerweile mehrere Modelle im Angebot und sind sich ­sicher, „der Markt für E-Bikes wächst", sagt ­Julia Emmert. Auch auf Mallorca.

Die Glücksmesser

Der Spanier Dani Castro betritt mit einem breiten Grinsen das Café Robin Wood Factory in Palmas Stadtteil Santa Catalina, wo wir uns verabredet haben. Noch hat er gut lachen. Am darauffolgenden Tag fliegt er zum bitterkalten Winter-Spartan-Rennen in Zell am See nach Österreich. Privat setzt er sich sportlichen Extremsituationen aus, weil es ihn glücklich macht. Was andere Leute glücklich oder aber unglücklich macht, ist Teil seiner Geschäftsidee. 2014 hat sich der Programmierer zusammen mit Freunden die Applikation „Happyforce" ausgedacht, mit der Unternehmen die ­Zufriedenheit ihrer Angestellten ermitteln können. „Ich habe nach meinem Studium in verschiedenen Softwarefirmen in Europa gearbeitet", sagt er. „Einer meiner Chefs hatte an seiner Bürotür ein Schild ­angebracht, auf das man grüne oder rote Smileys kleben konnte. Wenn sich zu viele rote Smileys angesammelt hatten, fragte er sein Team, was los sei."

So entstand die Idee, eine Feedback-App für Angestellte zu programmieren. Das Prinzip ist simpel. Eine Firma kauft sich einen Zugang zu der App und lädt ihre Mitarbeiter ein, teilzunehmen. „Es wird ein anonymisiertes Profil erstellt und jeden Tag kann man einen von vier Smileys drücken." Dabei gibt es die Gefühle „sehr gut", „gut", „geht so" und „schlecht". „Die App stellt weitere Fragen zum Befinden, die auf einer Skala von 1 bis 10 beantwortet werden können." Insgesamt 60 Fragen zum Arbeitsumfeld oder zu Gesundheitsthemen werden nach und nach gestellt. Außerdem gibt es einen Kommentarbereich, den man als anonymen digitalen Meckerkasten nutzen kann. Am Ende ergibt sich ein detailliertes Bild, wo es im Betrieb gut läuft und wo der Schuh drückt, und die Unternehmen können gegensteuern. 70 Firmen machen mit, darunter einige Hotels auf Mallorca.

Für Dani Castro bietet die Insel ein perfektes Arbeitsumfeld, weil er mit seinem iPad oder Computer arbeiten kann, wo er will. Der Geschäftsführer Alex Ríos sitzt in Barcelona, Mitbegründer Sergio Cancelo in Madrid, andere Mitarbeiter sind in Valencia, insgesamt sind sie zu elft. Per Videokonferenz besprechen sie sich zweimal täglich und treffen sich viermal im Jahr. Hilfe von Palma Activa haben sie bei ihrer Gründung nicht in Anspruch genommen. „Wir wussten ziemlich genau, was wir wollten, und Büros brauchten wir ja nicht", sagt Dani Castro. Er glaubt, dass es auf Mallorca viele talentierte Programmierer gibt, nur hapere es beim Netzwerken.

Die Kontaktknüpfer

Ohne Büroräume ging es für Daniel Alzina (38) nicht, darum haben er und sein Geschäftspartner Xisco Lladó im Jahr 2016 gern das Angebot von Palma Activa genutzt, um dort für die Gründung ihrer ­Firma Hotelinking in die vergünstigten Räume zu ziehen. Heute sitzen sie mit 40 Mitarbeitern in Palmas Technologiepark Parc Bit und belegen dort 550 Quadratmeter. „Hotelinking ist ein Werkzeug für Hoteliers, damit sie ihre Kunden besser kennenlernen", erklärt er.

Bei seinem Produkt handelt es sich um eine sogenannte „Software As A Service". Das heißt, Daniel Alzina sammelt für die Hoteliers Kundendaten und verarbeitet sie. „Ein Problem für Hotels ist, dass 80 bis 90 Prozent der Buchungen über Online-Reisebüros gemacht werden." Man bestellt sein Zimmer über ein Vergleichsportal im Internet, gibt dort seine Daten ein, doch die bekommt das Hotel nie zu sehen. „So fällt es den Hoteliers schwer, mit den Kunden in Kontakt zu bleiben, ihnen Angebote zu senden oder einfach per E-Mail zum Geburtstag zu gratulieren." Das übernimmt das Team von Daniel Alzina. Dazu nutzt es quasi ein Grundbedürfnis vieler Urlauber. „Fast jeder möchte kostenfreies WLAN im Hotel haben. Wir bieten den Zugang an, wenn ein paar Fragen zur Registrierung beantwortet werden." Die erfassten Informationen würden streng nach Datenschutzrichtlinien gesichert und nicht an Dritte weiterge­geben werden. „Zwei Stunden nach dem Registrieren wird eine E-Mail versandt, in der gefragt wird, ob der Kunde zufrieden ist." Bei einer negativen Antwort könne das Hotel sofort reagieren. Kommuniziert mit den Gästen wird nur per E-Mail, eine ­Whats­App wäre viel zu persönlich und könnte als ­störend empfunden werden.

Der Mallorquiner weiß den richtigen Ton zu treffen. Nach seinem Finanz- und BWL-Studium war er drei Jahre für die Beratungsfirma KPMG in Barcelona tätig und hat fünf Jahre in London für eine große Technologie-Firma gearbeitet. Ein Start-up zu gründen sei nicht leicht, besonders auf Mallorca würde es an Investoren fehlen. Der Tourismus biete aber Chancen. Angefangen haben sie mit nur zehn Hotels auf Mallorca, heute seien es rund 1.000 in Spanien, der Karibik, Mexiko oder der Dominikanischen Republik.

Die Nomadin

Paula Bublay (25) bezeichnet sich selbst als digitale Nomadin, dabei ist die gebürtige Mallorquinerin gerade erst wieder zu Hause angekommen. Seit einem Monat lebt sie in der Finca ihrer Eltern in Selva, von wo aus sie vor sieben Jahren aufgebrochen ist, um in Madrid Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) zu studieren. Nach einer Auszeit in Neuseeland als Backpackerin, machte sie ihren Master an der Universität in ­Madrid in Betriebswirtschaft und bekam die Chance, bei der Firma Startup Embassy in Kalifornien zu arbeiten. „Sie bietet Wohnraum für Gründer", erklärt Paula ­Bublay. „Viele junge Leute ziehen ins Silicon Valley, um dort ­Unternehmen ins Leben zu rufen oder daran teilzuhaben." Da die ­Gegend teuer und die Einkünfte für junge Programmierer gering sind, leben sie in sogenannten "Hacker Houses" zusammen. „Das Tolle ist, dass sie so ihre Ideen teilen und neue Projekte anstoßen", sagt Paula ­Bublay. Coliving nennt sich das Konzept.

Auch sie habe sich dort mit dem Italiener Damiano Ramazzotti zusammengetan, um eine App zu entwickeln. Sie heißt „Wedo" und funktioniert ein bisschen so wie Tinder. „Man kann gemeinsame Unternehmungen anbieten, wie zusammen spazieren gehen oder frühstücken mit einem Brainstorming. Die App soll Menschen ­zusammenbringen." Per Wischen gelangt man von Angebot zu Angebot. Nach ­Mallorca zurückgekehrt sei sie, um in Selva eine Startup Embassy aufzubauen, ganz wie im Silicon Valley. „Hier können sich junge Leute treffen, zusammen leben und ihre Ideen austauschen", sagt sie. Bislang wohnt sie mit Freunden zusammen wie dem ­Franzosen Gui Pendrix, der ein Buch über Coliving schreibt, Carmen Gomez, die Yoga-Events veranstaltet, und Enedina ­Gonzales, die als Eventmanagerin arbeitet und dabei ihren Schwerpunkt auf die Vermeidung von Abfall legt. Ihre mittlerweile in Palma lebenden Eltern unterstützen ­Paula Bublay. „Mallorca kann noch viel mehr als nur Tourismus", sagt Paula Bublay. Davon zeugt nicht nur ihre Idee.