Die Sonne scheint, das Meer ist ruhig. In der Cala del Mago in Portal Vells (Calvià) ankern an einem Samstag im August weiße Segelboote und kleine Yachten. Plötzlich fährt ein vollbepacktes Motorboot vorbei, weicht den größeren Schiffen aus. Die Badegäste, die sich bisher auf ihren Yachten gesonnt haben, schauen gespannt zu, wie das Boot an Land fährt. 16 Menschen springen fluchtartig aus dem Boot und laufen los. Ein Mann bleibt an Bord, er legt den Rückwärtsgang ein und manövriert das Boot zwischen den geparkten Schiffen aus der Bucht heraus. Damit endet das Video.

Ein Jetski-Fahrer, der an diesem 14. August 2021 zufälligerweise die Ankunft der Migranten beobachtete, filmte mit. Das Video verbreitete sich rasend schnell im Internet. Der Mann, der auf dem Video das Boot wegfährt, wurde kurze Zeit später an der Cala Bella Dona etwa eineinhalb Kilometer weiter nördlich festgenommen. In der vergangenen Woche stand der angebliche Schlepper in Palma vor Gericht.

Beweis für Mitgliedschaft in Schlepperbande?

Dass der 20-jährige Algerier allein mit dem Boot wegfuhr, ist in für die Staatsanwaltschaft der Beweis dafür, dass der Angeklagte der Bootsführer war. Der Algerier verließ laut dieser Darstellung am 12. August 2021 mit 16 Landsmännern Algerien. Er soll zu einer Schlepperbande gehören, die Menschen in Algerien eine Überfahrt anbietet. Der Angeklagte soll den Motor gestartet und auf dem Weg navigiert haben. Nach zwei Tagen kam er mit seinen 16 Mitfahrern in der Cala del Mago an.

Ein Boot mit Migranten aus Algerien kommt am Samstag (14.8.) in Portals Vells (Gemeinde Calvià) an

Ein Boot mit Migranten aus Algerien kommt am Samstag (14.8.) in Portals Vells (Gemeinde Calvià) an

Er selbst schilderte vor Gericht freilich etwas anderes. „Ich war nicht der Bootsführer. Ich hatte wie alle anderen 700 Euro für die Fahrt bezahlt“, sagte er am Donnerstag (17.2.) vor Gericht. Seine Worte unterstrich er mit entschiedenen Gesten. Spanisch sprach er nicht, beim Verfahren stand ihm eine Übersetzerin zur Seite. Aber auch ohne seine Worte zu verstehen, war dem Mann die Angst anzusehen. Schließlich verlangte die Staatsanwaltschaft mindestens vier Jahre Haft. Er trippelte mit seinen Turnschuhen nervös auf dem Boden, zog immer wieder die Maske vom Gesicht, um besser Luft zu bekommen. Die Richterin ermahnte ihn mehrfach, die Maske richtig zu tragen.

Verteidigung: Ein anderer Mitfahrer war der Schlepper

Vor Gericht zeigte die Verteidigung ein Bild und zwei Videos von der Überfahrt. Dort sitzt jeweils ein anderer Mann am Steuer des kleinen Boots. Laut dem Angeklagten und seinem Anwalt ist dieser Mann, den sie „Sami“ nennen, der eigentliche Bootsführer. Er habe das Geld eingesammelt, er habe den Motor angelassen, er habe auf der Überfahrt navigiert. Dieser „Sami“ soll dem Angeklagten auch gesagt haben, dass er das Boot wegbringen soll. Allerdings hatte der Angeklagte das nicht von Anfang an in den Vernehmungen gesagt.

Als er festgenommen wurde, sagte er, er habe das Boot wegbringen wollen, weil es ein „privater Strand“ sei. In späteren Befragungen behauptete er, er habe Badegäste schützen wollen. Jetzt soll es ein Befehl gewesen sein. Auf Nachfragen der Staatsanwältin zu seiner Aussage reagierte der Angeklagte gereizt. Immer wieder betonte er, dass er das Boot nicht gefahren habe. „Wenn Sie nicht antworten wollen, dann antworten Sie nicht. Aber wiederholen Sie nicht stattdessen etwas anderes“, ermahnte ihn die Richterin genervt.

Prozess gegen mutmaßlichen Schlepper: Zeuge belastet den Angeklagten

Die Geschichte, dass ein anderer Bootsführer ihn dazu aufgefordert hat, das Boot wegzufahren, wirkte nicht nur wegen seiner unterschiedlichen Aussagen unglaubhaft. Im Video des Jetski-Fahrers ist zu sehen, wie er das Boot ohne zu zögern gekonnt rückwärts durch die Bucht lenkt. Er wirkt nicht, wie jemand, der einen spontanen Auftrag erfüllt. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die Videos und Fotos, die andere Männer am Steuer zeigen, zwei Gründe haben: Der Angeklagte habe nicht durchgehend lenken können, schließlich musste er sich umziehen und auch schlafen. Und vielleicht seien die Aufnahmen absichtlich gemacht worden, um im Notfall vor der Polizei seine Unschuld zu beweisen.

Diese Vermutung bestätigten vor Gericht ein Polizist und eine Polizistin der Policia Nacional, die als Zeugen vorgeladen waren. Die beiden hatten die 16 Migranten befragt. Ein einziger habe sich unter der Voraussetzung, dass sein Name unter Verschluss bleibt, zu einer Aussage bereit erklärt. Der Zeuge selbst tauchte nicht vor Gericht auf, denn inzwischen ist unklar, wo er sich aufhält. Die Beamten, die ihn damals vernommen hatten, berichteten aber von seiner Aussage.

Prozess in Palma de Mallorca: Verteidigung verlangt Freispruch

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Er habe ihnen erzählt, dass der Angeklagte der Bootsführer gewesen sei und einer Schlepperbande angehöre. Ein anderer aus der Bande habe 1.200 Euro für die Überfahrt gefordert. Er sagte ihnen auch, dass im Laufe der Überfahrt andere ans Steuer mussten, um die Polizei auf die falsche Fährte zu bringen. Er erzählte, er habe auf der Überfahrt schreckliche Angst gehabt, bei dem starken Wellengang ins Wasser zu fallen. „Der Zeuge war sehr glaubhaft“, sagt die Polizistin. Der Zeuge habe unerkannt bleiben wollen. „Er hatte Angst, dass ihm oder seiner Familie in Algerien etwas passiert, wenn er gegen die Bande aussagt“, erzählte sie.

Die Verteidigung vermutet hinter dem unerkannten und inzwischen verschollenen Zeugen niemand anderen als „Sami“. Durch seine Aussage habe er sich selbst geschützt. „Mein Mandant ist unschuldig, und ich erwarte, dass er freigesprochen wird“, sagte der Verteidiger in seinem Plädoyer. Die Staatsanwaltschaft dagegen sah als bewiesen an, dass der Angeklagte Teil einer Schlepperbande war. „Das Boot hatte nur einen Motor und keine Schwimmwesten“, sagte die Staatsanwältin. „Der Angeklagte hat diese Menschen in Lebensgefahr gebracht.“ Sie forderte mindestens vier Jahre Haft. Ein Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet.