Es klingt wie eine Kampfansage: „Wir wollen mit harter Hand gegen die Schlepper vorgehen, die Migranten irregulär auf dem Seeweg in kleinen Booten von Algerien nach Mallorca bringen“, sagte der neue Chef der Nationalpolizei auf den Balearen, José Luis Santafé, bei seiner Einführungsrede am vergangenen Dienstag (20.9.). Nur so könne man diese Form der Einwanderung eindämmen. Statt alles daran zu setzen, die Migranten aufzugreifen, die selbst Opfer der Umstände seien, wolle die Nationalpolizei vor allem die Drahtzieher hinter den Überfahrten ausfindig machen. Erste Erfolge gäbe es bereits: Von 96 in diesem Jahr aufgebrachten Booten habe man 32 mutmaßliche Bootsführer festnehmen können, sagte Santafé. Was er nicht anmerkte: In vielen dieser Fälle ist keineswegs klar, ob es sich bei den Festgenommenen tatsächlich um Schlepper und Menschenhändler handelt – ja nicht einmal, ob es wirklich die Bootsführer waren.

„Meiner Meinung nach ist all dieses Getue der Polizei nur eine Masche, um in der Öffentlichkeit erfolgreich dazustehen. Den Schleppern kommen sie so nicht bei, die Menschen werden auch weiterhin ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa zu kommen“, schimpft Francisco José Clemente von der Hilfsorganisation Héroes del Mar in Almería. Er hilft Angehörigen von Migranten, die die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen, indem er versucht, den Standort der Nussschalen ausfindig zu machen und gegebenenfalls die Seenotrettung einzuschalten, wenn der Kontakt abreißt. „Die Boote, mit denen die Leute von Algerien auf die Balearen übersetzen, sind mit 40- oder 60-PS-Motoren ausgestattet. Die sind nicht darauf ausgelegt, wieder zurückzufahren. In 90 Prozent der Fälle ist niemand der Schlepperorganisation an Bord, sondern nur Migranten, die in Europa bleiben wollen.“

Keine Bosse in den Booten

Das glaubt auch María Ángeles Colsa vom Centro Internacional para la Identificación de Migrantes Desaparecidos (kurz: CIPIMD), das ebenfalls versucht, verschollene Bootsmigranten ausfindig zu machen und zu retten. „Es ist wie beim Drogenhandel: Die großen Mafiabosse bewegen sich ohnehin nicht aus ihren sicheren Festungen, und auch die von ihnen beauftragten Schlepper sind auf der Route von Algerien auf die Balearen nur sehr selten mit an Bord. Entsprechend selten werden sie geschnappt“, bestätigt Colsa. „Meist instruieren sie ein oder zwei Migranten, die dann selbst das Boot steuern und navigieren.“ Dafür müssten die dann weniger oder gar nichts für die Überfahrt bezahlen, die zwischen 1.500 und 3.000 Euro kosten kann, die Angaben variieren stark. Ein Großteil der auf den Balearen unter dem Vorwurf des Menschenhandels und der Beihilfe zur irregulären Einwanderung festgenommenen Männer sei also vermutlich gar nicht Teil krimineller Organisationen. „Oft gibt es Streit unter den Bootsinsassen, denn die Bedingungen, unter denen sie übersetzen, sind fürchterlich. Dann kann es vorkommen, dass sie sich hinterher gegenseitig der Schlepperei bezichtigen“, sagt Francisco José Clemente von Héroes del Mar.

Dass die Beweislage oft mehr als dünn ist, zeigen auch die Schwierigkeiten der Ermittler, die Bootsführerschaft nachzuweisen. Oft wechseln sich zwei oder mehrere Insassen am Steuer ab. Auch selbst geschossene Fotos, die vermeintliche Bootsführer am Steuer zeigen, sind nicht immer aussagekräftig. Hinzu kommt, dass die Beschuldigten durchweg abstreiten, Verantwortung auf dem Boot übernommen zu haben.

So auch bei einem aktuellen Urteil vom 21. September. Ein Gericht in Palma ordnete an, dass zwei Männer, die am 18. Juni in Algerien in See gestochen waren und knapp 30 Stunden später mit einem Boot und 15 weiteren Passagieren vor Cabrera aufgegriffen wurden, lediglich in ihr Heimatland zurückgeschickt werden, um so einer zweijährigen, auf Bewährung ausgelegten Haftstrafe in Spanien zu entgehen. Auch sie beharrten bis zuletzt darauf, nicht die Bootsführer gewesen zu sein. „Ich habe mit den beiden zu tun und kann versichern, dass sie ganz bestimmt keine Schlepper sind“, sagt auch Francisco José Clemente „Die Ermittler konnten keine stichhaltigen Beweise für ihre Mitgliedschaft in einer Organisation finden, weil es keine gibt.“

Vier Jahre Gefängnis

Anders das ebenfalls am Mittwoch verhängte Urteil gegen einen 37-jährigen Algerier, der am 8. Juni festgenommen worden war, nachdem er mit einem Boot mit 15 Insassen ebenfalls nahe Cabrera entdeckt worden war. Hier sahen es die Richter als erwiesen an, dass es sich nicht bloß um eine „simple heimliche Überfahrt von Afrikanern“ handelte, sondern um eine gut vorbereitete Überfahrt, bei der er der Bootsführer war. „Sie fand nachts statt, das Boot fuhr extra ohne Licht, es gab keine Sicherheitselemente an Bord, dafür Benzinkanister, die ein erhebliches Brand- oder Explosionsrisiko mit sich brachten“, heißt es in der Urteilsbegründung. Es sei „offensichtlich“, dass der Mann seine Landsleute wissentlich als Bootsführer in Lebensgefahr gebracht habe. Er muss nun für vier Jahre ins Gefängnis.

„Wenn die Ermittler ihre Arbeit gut machen und Beweise für die Schuld der Männer haben, dann ist es natürlich richtig, dass ihnen der Prozess gemacht wird“, betont Maria Ángeles Colsa. Eine Lösung, um die Dramen auf dem Mittelmeer im großen Stil zu verhindern, sei das aber nicht. Dafür brauche es Möglichkeiten regulärer Einwanderung.