Dieser Tage war in Spanien viel von dem 40. Jahrestag des Wahlsieges der Sozialisten (PSOE) die Rede. Die absolute Mehrheit von Felipe Gónzalez 1982 war ein Meilenstein der transición, dem Übergang von der Franco-Diktatur hin zu einer gefestigten Demokratie, und ermöglichte viele tiefgreifende Reformen. Eine davon gab der Politik die Kontrolle über das oberste Verwaltungsorgan des spanischen Justizsystems, dem Generalrat der Recht sprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial, CGPJ). Die Sozialisten wollten damit neue, progressivere Richter und Richterinnen befördern und die Juristen der Diktatur entmachten.

40 Jahre später ist der CGPJ so gut wie handlungsunfähig, da sich die Linksregierung und die konservative Opposition nicht auf die seit vier Jahren überfällige Erneuerung des Rates einigen können. Die Blockade hat landesweit Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Justiz, weil der CGPJ derzeit keine Richterposten besetzen darf. Bei der Europäischen Kommission schaut man schon lange mit großer Sorge auf dieses Problem, doch alle Warnungen aus Brüssel sind bislang verpufft.

Dabei schien das jahrelange Tauziehen zwischen der PSOE und der konservativen Volkspartei (PP) nun endlich zu Ende zu gehen. Eine Einigung über die Neubesetzung des CGPJ galt als ausgemacht. Doch dann machte der Vorsitzende der PP, Alberto Núñez Feijóo, am 27. Oktober in letzter Sekunde erneut einen Rückzieher. Diesmal führte der Oppositionschef eine seit Langem von der Regierung geplante Reform des Strafgesetzes an, die den katalanischen Separatisten zugutekäme.

Darum kümmert sich der CGPJ

Das oberste Selbstverwaltungsgericht der spanischen Justiz ist zuständig sowohl für die Ernennung von Richtern in den oberen Instanzen als auch für die internen Regelungen der Justiz, einschließlich der Disziplinarverfahren. Zudem ernennt es zwei Mitglieder des Verfassungsgerichts. Die 20 Mitglieder des CGPJ werden auf Grundlage einer Vorschlagsliste zu gleichen Teilen von Unterhaus und Senat mit einer Stimmenmehrheit von mindestens drei Fünfteln gewählt. Es bedarf daher des Konsenses zwischen den großen Parteien.

Der Rat besteht aus zwölf Richtern und Richterinnen mit langjähriger Berufserfahrung sowie acht anerkannten Juristen. Der CGPJ wählt als 21. Mitglied seinen Präsidenten, der zugleich Präsident des Obersten Gerichtshofes (Tribunal Supremo) ist. In der spanischen Verfassung von 1978 war ursprünglich vorgesehen, dass die Mitglieder des CGPJ von den Juristen selbst ernannt werden sollten, um die Unabhängigkeit dieses Verfassungsorgans von der Politik zu wahren. Doch González änderte das System 1985.

Konservative wehren sich gegen Einfluss des Linksbündnisses Unidas Podemos

Seit sein Parteifreund Pedro Sánchez 2018 durch ein konstruktives Misstrauensvotum den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stürzte, sind alle Versuche der beiden großen Parteien zur Einigung auf Kandidaten für den CGPJ gescheitert. Die meisten Probleme machen dabei die Konservativen, die ganz verschiedene Argumente angeführt haben, um ihre Weigerung zu rechtfertigen.

Am Anfang verwiesen sie auf den ihrer Meinung nach negativen Einfluss des Linksbündnisses Unidas Podemos, des kleinen Koalitionspartners der Sozialisten. Dann forderten sie eine Reform zur „Entpolitisierung“ des CGPJ. Die Regierung und auch viele Juristen, Experten und Medien warfen der PP vor, ihre in der Verfassung verankerte Verantwortung zur Neubesetzung des CGPJ zu missachten. Der Präsident des Rates und des Tribunal Supremo, Carlos Lesmes, trat aus Protest gegen die Blockade von seinen Ämtern zurück.

Kehrwende des neuen PP-Vorsitzenden

Ende September drängte der EU-Kommissar für Justiz, Didier Reynders, bei einem Besuch in Madrid auf eine schnelle Einigung. Die Mahnung schien zunächst Wirkung zu zeigen. Núñez Feijóo berichtete auf einem Treffen mit Auslandskorrespondenten in Madrid, dass man kurz vor einer Lösung stünde.

Drei Tage später kam dann die Kehrtwende, begründet mit der bevorstehenden Reform des Strafgesetzes. Die Regierungsparteien und politische Beobachter glauben, dass der Oppositionsführer dem Druck des rechten Flügels der PP gewichen war, der Zugeständnisse an den Nationalismus in Katalonien kategorisch ablehnt.

Was Katalonien damit zu tun hat

Die Idee, den Strafbestand der sedición, der Anstiftung zum Aufruhr, zu überholen, ist schon zwei Jahre alt. 2019 waren mehrere separatistische Politiker wegen ihrer Rolle beim illegalen Referendum und der folgenden Unabhängigkeitserklärung im katalanischen Parlament 2017 zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Die höchste Strafe bekam der frühere stellvertretende Ministerpräsident Kataloniens Oriol Junqueras von der Republikanischen Linken (ERC): 13 Jahre Haft und ein ebenso langes Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden.

Diese harten Strafen, vergleichbar mit denen für Mord, lösten in Spanien und im Ausland viel Kritik aus. Das Gesetz zur sedición war ursprünglich für Putschversuche durch das Militär unter Androhung oder Anwendung von Gewalt vorgesehen. Die Sánchez-Regierung regte daraufhin eine Reform an, um Straftatbestand und Strafmaß an die der meisten europäischen Länder anzupassen.

Kein Ende der Blockade in Sicht

Die Konservativen versichern, dass diese Reform der Preis ist, den die Minderheitsregierung von Sánchez an die Separatisten, insbesondere ERC, zahlen muss, um mit deren Stimmen im nationalen Parlament den Haushalt verabschieden zu können. Eine Senkung des Strafmaßes könnte etwa Junqueras den Weg zurück in die Politik öffnen. Wie die anderen Separatisten wurde der ERC-Chef 2021 von der Regierung begnadigt und kam aus dem Gefängnis frei.

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Doch das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter blieb bestehen. Das könnte sich mit einer Reform ändern. Auch der frühere Ministerpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, könnte bei der Aussicht auf ein niedrigeres Strafmaß eine Rückkehr aus dem selbst erwählten Exil erwägen. Er war vor dem Zugriff durch die Justiz geflohen.

Núñez Feijóo indes hat die erneute Abfuhr an die Erneuerung des CGPJ noch einmal bekräftigt. Er werde mit der „PSOE von Sánchez“ keine Vereinbarungen mehr eingehen. Die Blockade der Justiz wird also mindestens bis zu den Parlamentswahlen Ende nächsten Jahres andauern.