Spanien ist wie der Rest Europas stark darum bemüht, die rasant gestiegenen Strom- und Gaspreise unter Kontrolle zu bringen. Die Koalition des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat zu diesem Zweck eine Reihe von Maßnahmen eingeführt. So werden etwa Steuern und Abgaben gesenkt, um die Stromrechnung für den Verbraucher erträglicher zu machen.

Nun tut sich für Spanien aber ein neues Problem an der Energiefront auf. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen Madrids hat die Regierung von Algerien die Gaspipeline zum Nachbarn Marokko geschlossen, über die auch Spanien versorgt wird. Der Beschluss, den Vertrag mit dem Nachbarn nicht über den 31.10. hinaus zu verlängern, erfolge aufgrund „feindlicher Handlungen seitens des Königreichs Marokko, welche die nationale Integrität Algeriens gefährden“, erklärte die Regierung in Algier am Sonntag (31.10.). In den langjährigen Spannungen zwischen beiden Maghreb-Staaten geht es um die Unterstützung für Minderheiten wie die Frente Polisario, die Befreiungsbewegung der Westsahara.

Algerien ist seit Jahrzehnten der mit Abstand wichtigste Gaslieferant Spaniens. Der staatliche algerische Gaskonzern Sonatrach unterhält einen Liefervertrag mit dem spanischen Energieversorger Naturgy (einst Gas Natural Fenosa). Im vergangenen Jahr kam fast die Hälfte des in Spanien verbrauchten Erdgases aus Algerien, weit dahinter folgen die Lieferanten USA, Russland und Nigeria, die jeweils rund ein Zehntel beisteuerten. Von den 15 Milliarden Kubikmetern an algerischem Gas für die Iberische Halbinsel kamen sechs Milliarden durch die Pipeline, die über Marokko und die Meerenge von Gibraltar nach Zahara de los Atunes in der andalusischen Provinz Cádiz führt.

Von den 1.400 Kilometern der Leitung, die 1996 in Betrieb ging, liegen 540 Kilometer auf marokkanischem Staatsgebiet. Das Königreich wird dafür in Bar und mit Erdgas bezahlt, was für zehn Prozent der Elektrizitätsproduktion reicht. Die Machthaber in Algier wollen ihrem ungeliebten Nachbarn mit dem Abdrehen einen Denkzettel verpassen. Doch die Sanktionen treffen auch Spanien.

Leitung durch das Mittelmeer

Die andere Leitung, die 2011 eröffnete Medgaz durch das Mittelmeer zur andalusischen Hafenstadt Almería, transportierte vergangenes Jahr acht Milliarden Kubikmeter Gas. Der Rest wurde per Schiff übers Meer gebracht. Algerien arbeitet gerade an einer Erweiterung der Kapazitäten von Medgaz auf zehn Milliarden Kubikmeter. Selbst wenn die Arbeiten früh fertig werden, verblieben von den sechs Milliarden Kubikmetern der Lieferungen durch Marokko noch vier Milliarden, die über den Seeweg transportiert werden müssten.

Die Gaslieferung per Schiff ist deutlich kostspieliger. Denn das Erdgas muss zunächst verflüssigt werden. Zwar ist die Infrastruktur für Flüssiggas in Spanien ausreichend. Doch bei den derzeitigen weltweiten Engpässen ist der Wettkampf um Spezialschiffe groß, was wiederum die Transportkosten in die Höhe treibt. Algier hat der spanischen Seite die Erfüllung der Lieferverträge zugesagt.

Die Experten rechnen nicht mit einem Engpass in der Gasversorgung im Winter und schon gar nicht mit möglichen Blackouts bei der Stromversorgung. Enagás, der börsennotierte, aber staatlich kontrollierte Monopolist der Gasnetze im Lande, versichert, dass der Nachschub über den Seeweg garantiert sei. Außerdem lägen die Erdgasreserven derzeit um 65 Prozent über denen vor einem Jahr und reichten für 40 Tage aus, heißt es.

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Doch Branchenkenner fordern schon seit längerer Zeit, dass sich Spanien weniger abhängig von den Gaslieferungen aus Algerien machen müsse. So blickt man auf die Verbesserung der Vernetzung mit dem Nachbarn Frankreich. Auch neue Speicher sind im Gespräch – trotz der Kontroverse um Castor, ein unterirdisches Gaslager vor der katalanischen Küste, das vor zehn Jahren Erdbeben auslöste.

Die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien sind sehr angespannt, unterliegen jedoch Schwankungen. Einer der Gründe ist die Westsahara. Marokko hatte sich 1974 dieses riesigen Wüstengebiets ermächtigt. Die Frente Polisario kämpft weiterhin gegen die Besatzung. Der Sitz der Demokratischen Arabischen Republik Sahara ist im algerischen Tinduf. Spanien gerät immer wieder zwischen die Fronten: Einerseits ist die Solidarität der Spanier mit den Einwohnern der Westsahara groß. Andererseits muss man sich mit Marokko gut stellen. Wie lange die Gasleitung durch Marokko nun zu bleibt, darüber haben die Diplomaten in Madrid nur begrenzten Einfluss.