Regionalwahlen: Unabhängigkeitsforderungen sind nicht das einzige Problem Kataloniens

Die vorgezogenen Regionalwahlen sind ein Stimmungstest für die Sozialisten in Spanien und ihre Amnestie-Politik. Im Wahlkampf spielen aber auch andere Themen eine zentrale Rolle

ERC-Chef Oriol Junqueras (Mi.) und Katalonien-Premier Pere Aragonès (2. v. re.) mit Anhängern. | F.: EUROPAPRESS

ERC-Chef Oriol Junqueras (Mi.) und Katalonien-Premier Pere Aragonès (2. v. re.) mit Anhängern. | F.: EUROPAPRESS / Europapress

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Reisende im Hochgeschwindigkeitszug AVE auf der Strecke Madrid–Barcelona wurden früher nach den spröden und teils wüstenartigen Landstrichen Aragoniens beim Eintreffen in Katalonien von grünen Wäldern und Feldern erfrischt. Doch in diesem Frühling ist die Landschaft braungrau und ausgetrocknet wie sonst erst im Hochsommer. Kein Teil Spaniens leidet so sehr unter der extremen Dürre wie die Mittelmeerregion. Die Weinbauern im Penedés beklagen Ernteausfälle von 30 Prozent, und die Marke Freixenet hat sogar schon die Anbaumethode für Schaumwein Cava umgestellt. Die Bauernproteste fanden in Katalonien besonders viel Echo.

Lösungen und finanzielle Hilfen der Landesregierung werden jedoch erst einmal auf sich warten lassen. Denn Katalonien-Premier Pere Aragonès von der Republikanischen Linken ERC rief vor einigen Tagen Neuwahlen für den 12. Mai aus, nachdem der Haushalt seiner Minderheitsregierung am Widerstand der Linkspartei En Comú gescheitert war. Der vorgezogene Urnengang ist der erste Stimmungstest in Katalonien, seit das umstrittene Amnestiegesetz für die katalanischen Separatisten verabschiedet wurde – im Gegenzug für deren Stimmen zur Wiederwahl von Spaniens sozialistischem Ministerpräsidenten Pedro Sánchez im vergangenen November.

Sozialisten gelten als Favoriten

Die Unabhängigkeitsbestrebungen eines wichtigen Teils der katalanischen Gesellschaft, die im illegalen Referendum von 2017 gipfelten, konkurrieren heute mit alltäglichen Problemen wie etwa den Folgen der Dürre. Der Zuspruch für eine Abspaltung von Spanien hat spürbar nachgelassen. In den Umfragen liegen die katalanischen Sozialisten derzeit vorne. Sánchez schickte 2021 seinen durch die Pandemie erprobten Gesundheitsminister Salvador Illa in dessen katalanische Heimat zurück. Bei den Regionalwahlen im selben Jahr wurde die PSC – der katalanische Ableger der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE – stärkste Kraft. Doch die Regierung bildeten die beiden großen separatistischen Parteien, ERC und die bürgerliche Junts. Bei den Kommunalwahlen im Mai vergangenen Jahres holten die Sozialisten erneut die meisten Stimmen und eroberten das Rathaus von Barcelona zurück. Und bei den folgenden spanischen Parlamentswahlen gewann Illa mit 19 Abgeordneten mehr Sitze als ERC und Junts zusammen.

Ein Sieg in Katalonien wäre für Sánchez ein wichtiger Schub nach den zuletzt enttäuschenden Ergebnissen der PSOE in Galicien. Ein solcher ließe sich auch als Bestätigung dafür auslegen, dass die Amnestie zur Beruhigung der politischen Lage in Katalonien nach den wirren Jahren des Referendums beiträgt.

Neue Finanzpläne für Katalonien vorgelegt

Bezeichnenderweise hat Regierungschef Aragonès diese Woche einen Plan für eine neue Finanzierung Kataloniens vorgelegt. Dabei handelt es sich um die alte Forderung, dass die Region das gesamte Steueraufkommen, das hier erzielt wird, behält und eine Quote für die Dienstleistungen des Zentralstaates abführt sowie in eine Art Solidaritätsfonds für finanziell schwächere Regionen einzahlt. Ein solches System gibt es aus historischen Gründen auch im Baskenland und in Navarra. Die Regierung in Madrid verwies Aragonès darauf hin, dass man eine allgemeine Reform der Länderfinanzierung anstrebe. Der Vorstoß des Katalanen belegt aber, dass die ERC den Wahlkampf mit wirtschaftlichen Argumenten zu führen plant und die großen Forderungen nach einem legalen Unabhängigkeitsreferendum erst einmal beiseitelegt.

Amnestie kommt für Carles Puigdemont wahrscheinlich zu spät

Die Separatisten von Junts vertreten einen härteren Kurs gegenüber Madrid. Es wurde erwartet, dass deren Führer Carles Puigdemont auf einer Veranstaltung in Frankreich nahe der Grenze zu Katalonien am Donnerstag (21.3.) seine Kandidatur für den 12. Mai verkünden würde. Der frühere Ministerpräsident floh nach dem Referendum 2017 nach Belgien, von wo aus er die Partei lenkt. Die Amnestie kommt für ihn wahrscheinlich zu spät. Das Gesetz wird derzeit von der konservativen Volkspartei (PP) mit deren absoluter Mehrheit im spanischen Senat verzögert und müsste auch nach Inkrafttreten erst von den Richtern angewandt werden. Sollte Puigdemont vorher nach Spanien einreisen, droht ihm eine Verhaftung. Zumal müsste er als Kandidat in Katalonien auf sein Mandat als Abgeordneter des Europaparlamentes verzichten – und damit auf die Immunität. Sein Anwalt Gonzalo Boye erklärte, dass der Politiker dazu bereit sei. Puigdemont ist in Katalonien nicht mehr der uneingeschränkte Anführer der Separatisten, doch eine Verhaftung könnte die Stimmungslage radikal ändern.

Bewegung im rechten Lager

Die PP hat in Barcelona so gut wie keine Machtoptionen. Die Konservativen hoffen aber darauf, ihr schlechtes Ergebnis von 2021 mit damals nur drei Abgeordneten zu verbessern und sich die sechs Sitze der nationalliberalen Ciudadanos einzuverleiben, die nach ihrem rasanten Abstieg fast nur noch in Katalonien parlamentarisch vertreten sind. Die rechtspopulistische Vox muss ein sehr gutes Ergebnis von elf Sitzen verteidigen. Gespannt ist man auf das Abschneiden von Aliança Catalana, einer neuen ausländerfeindlichen und separatistischen Organisation, die in einigen Gemeinden vorgerückt ist.

Die Unabhängigkeitsforderungen werden dieses Mal nicht das allein bestimmende Thema sein, meinen Experten wie etwa Jordi Juan, Chefredakteur der katalanischen Tageszeitung „La Vanguardia“: „Die Dürre wird eine große Rolle im Wahlkampf spielen.“

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