Regierung will das Amnestie-Gesetz verabschieden – das politische Getöse dürfte dies nicht beruhigen

Die Regierung will die Separatisten mit einem neuen Entwurf zufriedenstellen. Die öffentliche Debatte bestimmen derweil andere Dinge

Archivbild: Demonstranten versammeln sich mit Fahnen zu einem Generalstreik aus Protest gegen die Haftstrafen für neun Separatistenführer in der Stadt.

Archivbild: Demonstranten versammeln sich mit Fahnen zu einem Generalstreik aus Protest gegen die Haftstrafen für neun Separatistenführer in der Stadt. / Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Spaniens Politik ist mal wieder zu einer Schlammschlacht ausgeartet. Die Volkspartei (PP) reizt den jüngsten Skandal um den Verkauf von Atemschutzmasken während der Pandemie durch den früheren Berater im sozialistischen Transportministerium Koldo García aus. „Ihre Zukunft ist durch die Korruption gefährdet“, warnte Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez am Mittwoch (13.3.) in der Fragestunde im Unterhaus.

Die Sozialisten (PSOE) von Sánchez schossen mit noch frischeren Enthüllungen über den Lebenspartner der konservativen Regierungschefin der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, vom Dienstag (12.3.) zurück. Alberto González Amador muss sich wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit einer Provision von fast zwei Millionen Euro für die Vermittlung von Schutzmasken vor Gericht verantworten. Sánchez forderte Núñez Feijóo auf, den Rücktritt von Díaz Ayuso zu bewirken.

Amnestie tritt in den Hintergrund

Bei diesem Getöse ist das Thema, das monatelang die Politik bestimmte und Demonstrationen auslöste, in den Hintergrund getreten. Am Donnerstag (14.3.) soll im Unterhaus das umstrittene Amnestiegesetz für die katalanischen Separatisten definitiv verabschiedet werden. Es ist ein richtungsweisender Schritt. Denn ein Scheitern der Initiative hätte wohl das vorzeitige Ende der linken Minderheitsregierung von Sánchez bedeutet, die im November vom Parlament wiedergewählt wurde.

Ende Januar war die Amnestie noch an der überraschenden Ablehnung durch die katalanischen Separatisten von Junts im letzten Moment im Unterhaus gescheitert. Die Partei des früheren Premiers von Katalonien, Carles Puigdemont, der nach der Unabhängigkeitserklärung 2017 vor der spanischen Justiz nach Belgien geflohen war, verlangte Nachbesserungen und eine Garantie, dass die Begünstigten der Amnestie auch tatsächlich straffrei ausgehen werden. Der Grund für die Bedenken sind Ermittlungen des Richters Manuel García-Castellón rund um teilweise gewaltsame Aktionen bei den Unabhängigkeitsbestrebungen. Demnach soll Puigdemont des Terrorismus angeklagt werden – mit dem Argument, dass bei einer Großdemonstration am Airport Barcelona ein französischer Tourist an einem Herzinfarkt starb und somit Terroropfer sei.

Junts wollte sichergehen

Auch wenn diese Argumentation nach Ansicht vieler Juristen reichlich dünn ist, wollte Junts auf Nummer sicher gehen. Im neuen Entwurf des Amnestiegesetzes werden Terror-Delikte weiterhin von der Gnadenmaßnahme ausgenommen. Doch legt der Text fest, dass Terrorismus nach den Bestimmungen des Europäischen Rechts definiert wird. Die EU-Regeln sind weit strenger als das spanische Strafrecht. Nun gilt, dass Gewaltanwendung, eine Verletzung der Menschenrechte und die Absicht zur Tötung vorliegen müssen, um von der Amnestie ausgenommen zu werden.

Auch beim Tatbestand der Veruntreuung wurde nachgebessert. Gegen zahlreiche Separatisten wird wegen der Verwendung öffentlicher Gelder für die Unabhängigkeitsbewegung ermittelt, etwa der Bereitstellung von Schulen für das illegale Referendum. Nach der neuen Version sind von der Amnestie nur Personen ausgenommen, die sich persönlich bereichert haben könnten. Die Kritiker meinen, dass das Gesetz ziemlich genau auf die Person Puigdemonts zugeschnitten sei. Bei Junts rechnet man nun damit, dass der Führer im Sommer aus seinem selbst erwählten Exil in Waterloo nach Spanien zurückkehren werde.

Rechte wittern politische Korruption

Die Konservativen und die rechtsextreme Vox halten die Amnestie für „politische Korruption“, da das Gesetz von denjenigen mitgeschrieben wurde, die letztlich davon profitieren, also den Separatisten. Aber auch Sánchez, dessen Minderheitsregierung auf die Stimmen der Katalanen im Unterhaus angewiesen ist. Der Ministerpräsident bekam Rückendeckung von der Venedig-Kommission, einem Gremium des Europarats für Völkerrechtsfragen. Die Experten der Organisation äußerten im ersten Entwurf ihres Gutachtens keine grundlegenden Bedenken zur Amnestie. Solche Maßnahmen habe es in Europa schon mehrfach gegeben. Die angestrebte politische und gesellschaftliche Versöhnung in Katalonien seien „legitime Ziele“. Allerdings kritisieren die Experten das Eilverfahren, mit dem eine so bedeutende Maßnahme durchs Parlament gejagt werde, und raten dazu, die Amnestie in der Verfassung zu verankern. Dass ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in Spanien derzeit allerdings unmöglich.

Obwohl die definitive Verabschiedung des Gutachtens der Venedig-Kommission noch aussteht, feierte Sánchez die vorläufigen Schlussfolgerungen schon einmal als Bestätigung seines Vorgehens. Der Regierungschef macht kaum einen Hehl daraus, dass die Amnestie ein unumgängliches Zugeständnis an die Separatisten ist, um an der Macht zu bleiben. Bis zu den vorgezogenen Parlamentswahlen vom letzten Juli waren die Sozialisten nämlich noch klar gegen diesen Schritt.

Was passiert mit dem Haushalt?

Ob der Optimismus gerechtfertigt ist, wird sich bald zeigen. Die Linksregierung will bis zum Sommer den Haushaltsplan für 2024 nachträglich verabschieden und braucht dafür erneut die Stimmen der sieben Abgeordneten von Junts. Bei der PSOE versichert man, dass die Einigung über die Amnestie eine Zustimmung zum Haushalt beinhalte. Doch die Separatisten wollen aufs Neue verhandeln. In den vergangenen Monaten hat sich Junts als ziemlich unberechenbarer Partner gezeigt. Ein Scheitern des Haushalts wäre ein harter Schlag für die Stabilität der Linksregierung und die Regierungsfähigkeit des Landes.

Doch solange der politische Schlagabtausch von den Korruptionsskandalen bestimmt wird, können die Regierung und ihre Partner zumindest den Haushaltsentwurf ohne viel Lärm aushandeln.

Abonnieren, um zu lesen