Die deutschen Bahnradmädels rocken. Sechs Goldmedaillen holten Emma Hinze, Lea Sophie Friedrich und Lisa Brennauer bei der WM in Roubaix vor zwei Wochen. Schon im Jahr zuvor hatten die Frauen bei der Heim-WM in Berlin richtig abgeräumt. Hinze und Friedrich treten am Samstag (6.11., 19 Uhr) im Velòdrom Illes Balears zum Auftakt der Champions League in Palma de Mallorca an. Die MZ hat mit Hinze über den neuen Wettbewerb gesprochen. Die 24-Jährige aus Hildesheim ist amtierende Radsportlerin und Sportsoldatin des Jahres.

Der deutsche Radsportverband wollte Ihnen nach den anstrengenden Wochen mit Olympia und WM Urlaub gönnen. Warum treten Sie direkt beim nächsten Wettkampf an, statt sich auszuruhen?

Nach Olympia hatte ich zwei Wochen frei. Eine längerer Urlaub wäre schön gewesen, aber ich wollte bei der WM in Form sein und bin schnell wieder ins Training eingestiegen. Ich wusste vor einem Jahr, dass ich die Champions League fahren will. Als eine der sechs Repräsentanten des Events hatte ich meinen Startplatz schon vor der Qualifikation sicher.

Es ist ein neuer Wettbewerb. Welchen Stellenwert wird er im internationalen Bahnradsport einnehmen?

Das weiß ich noch nicht. Ich muss ihn erst mal erleben. Es ist ein sehr cooles Format. Hoffentlich schauen viele Leute zu und der Wettbewerb macht den Bahnradsport bekannter. Ich finde toll, dass dem Veranstalter die Gleichberechtigung von Frauen und Männern wichtig ist. Es gibt das gleiche Preisgeld sowie die gleiche Anzahl an Fahrern und Fahrerinnen. Das ist beim Straßenradsport und auf der Bahn sonst nicht so. Bei der deutschen Meisterschaft bekommen die Männer mehr Geld.

Die deutschen Bahnradsportlerinnen haben bei der WM fast alle Medaillen abgeräumt. Können sich die deutschen Fans in Palma schon in Jubelpose begeben?

Das wäre schön. Ich halte mich prinzipiell mit Prognosen zurück. Wir müssen schauen, wie das Format des Wettbewerbs bei den Fahrern ankommt. Wir fahren in kurzer Zeit viele Rennen unterschiedlicher Disziplinen. Normalerweise werden die auf mehrere Tage aufgeteilt. Das klingt im Vorfeld schon ziemlich hart. Die Qualifikation über Olympia und die WM sorgt dafür, dass die weltbesten Fahrer antreten.

Der Bahnradsport lebt auch von der Euphorie der Zuschauer. Man denke an die Partys bei den Sechstagerennen. Ist so etwas unter den derzeitigen Umständen möglich?

Ich habe einmal bei einem Sechstagerennen in Berlin diese Party erlebt. Licht und Musik sorgen für eine ausgelassene Stimmung. Das ist richtig cool. Bei der Champions League soll es ähnlich sein. Bei der WM waren wieder Zuschauer in der Halle erlaubt, und am letzten Renntag war es richtig voll.

Wie ist Ihre Beziehung zu Lea Sophie Friedrich und den anderen deutschen Fahrerinnen? Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, die Konkurrenz im eigenen Team zu haben?

Wir trainieren zusammen. Da ist es ein Vorteil, wenn ich weiß, dass eine andere schnelle Fahrerin dabei ist, die mich antreibt. Bei den Wettkämpfen wird es komplizierter. Im Teamsprint sind wir gemeinsam richtig gut, und zwei Tage später müssen wir im Finale der Einzeldisziplinen gegeneinander fahren. Es ist schwierig, da umzuschalten. Jeder will gewinnen, und da gönnt man der anderen nicht immer den Sieg. Wir sind aber Freundinnen und kommen gut miteinander klar.

Die Deutschen haben das zweite Jahr in Folge die WM dominiert. Kann man von einer goldenen Generation sprechen?

Wenn Sie das so sagen möchten. Ich würde es aber nicht von uns behaupten. Das wäre nicht meine Art. Es ist aber schön zu wissen, dass wir seit zwei Jahren praktisch alle Disziplinen gewonnen haben.

Warum hat es dann in Tokio dennoch „nur“ zu einer Silbermedaille gereicht?

Die Gesellschaft hatte hohe Erwartungen an mich. Die habe ich später übernommen. Ich war eigentlich besser vorbereitet als bei der WM, habe aber meine Leistung vom Kopf her nicht bringen können. Ich hatte mit dem Erfolgsdruck zu kämpfen und konnte nicht befreit fahren. Der Kopf spielt eine große Rolle. Ich wurde im Vorfeld ständig gefragt, ob ich drei Mal Gold hole. Das war nervig, aber irgendwann habe ich diese Denkweise übernommen. Das war nie mein Anspruch, und ich kenne niemanden im Bahnradsport, der drei Goldmedaillen bei Olympia geholt hat. Wir haben mit acht Hundertstel Gold verpasst. Lea und ich sind im Vorfeld nur einmal gemeinsam gefahren. Da war Silber schon mehr, als wir uns ausrechnen konnten. Das berücksichtigt aber niemand. Zudem war es das erste große Rennen nach anderthalb Jahren Pause.

Sie haben gesagt, dass Sie von den Spielen enttäuscht waren. Wie meinen Sie das?

Wir waren nicht im olympischen Dorf, sondern drei Stunden Autofahrt entfernt untergebracht. Da gab es nur die Radfahrer und sonst keine anderen Sportler. Nirgends waren die olympischen Ringe zu sehen. Da ist keine echte Olympia-Stimmung aufgekommen.

Der schwere Unfall von Kristina Vogel 2018, die seitdem im Rollstuhl sitzt, sorgte für landesweite Aufmerksamkeit. Ist der Bahnradsport gefährlich?

Jeder Sport ist irgendwie gefährlich. Ich denke nicht an die Risiken, wenn ich auf dem Rad sitze. Sonst wäre ich nicht zu 100 Prozent mit dem Kopf dabei. Es gibt das Risiko, dass wir einen schweren Unfall haben. Wir fahren schließlich ohne Bremsen.

Sie sind Sportsoldatin des Jahres. Wie sieht Ihre Verpflichtung gegenüber der Bundeswehr aus?

Dieser Titel ist eine große Ehre, weil darüber alle Sportsoldaten abstimmen. Ich repräsentiere die Bundeswehr nach außen und habe einmal im Jahr einen vierwöchigen militärischen Lehrgang. Ansonsten werde ich von der Bundeswehr gefördert, solange ich meine Leistungen bringe. Nach der Karriere bin ich dann aber nicht länger gebunden.