Der wohl älteste deutsche Radurlauber auf Mallorca spult mit 86 immer noch jeden Tag bis zu 140 Kilometer ab

Hermann Winter kommt zweimal im Jahr für drei Monate im Jahr auf die Insel. Sein Hotel hat schon ein Zimmer nach ihm benannt. Sein Fitness-Geheimnis: Rohkost

Hermann Winter, Mallorcas wohl ältester deutscher Radurlauber.

Hermann Winter, Mallorcas wohl ältester deutscher Radurlauber. / Nele Bendgens

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Wenn Hermann Winter mit seinem Rennrad durch Mallorcas Landschaft fährt, zieht er meist die Blicke auf sich. Der Rentner aus dem Großraum Hannover ist 86 Jahre alt. Von Altersschwäche ist aber keine Spur. „Ich habe mich einmal an eine Gruppe Jungspunde drangehängt, die von einem Ex-Profi geführt wurde. Als der mich sah, hat er alle zum Anhalten befohlen“, erzählt der Urlauber. „Er musste unbedingt ein Foto mit mir machen. Er meinte, dass seine Frau ihn zwingt, mit 55 Jahren mit dem Radsport aufzuhören. Ich sollte das Gegenargument sein.“

Seit den 90ern kehrt Hermann Winter regelmäßig im Frühjahr und Herbst im Hotel Bahía del Sol in Santa Ponça ein und verbringt Monate auf der Insel. In dem Hotel hat man jetzt sogar ein Zimmer nach ihm benannt.

Auf dem Sprung zum Profi

Früher stand der Hobbyradfahrer sogar selbst kurz vor einer Profikarriere. „In den 50er-Jahren war der Radsport noch beliebter als heute“, sagt Winter. Der damals 14-Jährige arbeitete sich über Rennen auf Vereinsebene und Bezirksturnieren zur deutschen Juniorenmeisterschaft in Speyer hoch. „Dort habe ich spätere Olympiateilnehmer geschlagen.“ Der Knabe war in der Ausreißergruppe dabei. „Zehn Kilometer vor dem Ziel habe ich mich gefragt, warum es auf einmal so ruhig ist. Da habe ich gemerkt, dass ich mit anderthalb Minuten Vorsprung führe.“

„Ich musste kurz anhalten und habe einen Polizisten nach dem Weg gefragt.“

Blöderweise waren damals die Rennen nicht abgesperrt und schlecht ausgeschildert. „Ich musste kurz anhalten und habe einen Polizisten nach dem Weg gefragt.“ Hinter einer Bahnunterführung sollte das Ziel sein. Als er aus dem Tunnel herauskam, war aber keine Ziellinie zu sehen. „Ich dachte, ich hätte mich verfahren. Wenig später kam das Hauptfeld an mir vorbeigerauscht.“ Wie sich heraustellte, hatte der Veranstalter das Ziel während des Rennens um 800 Meter versetzt, da es Beschwerden wegen der engen Einfahrt gab. Es sollte nicht die letzte Panne bleiben.

„Zu der Zeit sind wir auch Steherrennen auf der Aschebahn rund um die Fußballplätze gefahren. Dort durfte man nicht stürzen, oder man war für das Leben gezeichnet“, sagt der 86-Jährige. Natürlich verunglückte er auch dort. „Ich konnte mich aber noch auf das Gras retten und dort abrollen. In Notlagen habe ich mit dem Hintern auf dem Hinterreifen gebremst – Bahnräder haben keine Bremsen.“

Hermann Winter, Mallorcas wohl ältester deutscher Radurlauber.

Hermann Winter, Mallorcas wohl ältester deutscher Radurlauber. / Nele Bendgens

Ein wenig Wehmut klingt in der sonst heiteren Stimme des Rentners mit, wenn er erzählt, wie er den späteren Weltmeister Rudi Altig bei Rennen problemlos abhängte. „Aus heutiger Sicht war ich ein großes Talent. Damals wurde man aber erst mit 25 Jahren zum Profi.“ Zumal es dem Jugendlichen an Unterstützung mangelte. Ein Trainer, der ihm gut zusprach, fehlte. Der Vater drohte, das Rad mit dem Hammer zu zerstören, wenn die Schulaufgaben nicht erledigt waren.

Von Teneriffa nach Mallorca

Mit dem Einstieg ins Berufsleben endete die Radsportkarriere, ehe sie richtig anfing. Hermann Winter machte sich als Haustechniker selbstständig, heiratete, bekam vier Kinder und acht Enkel. Den Nachwuchs trainierte er im Radsport, ein Sohn schaffte den deutschen Meistertitel, der ihm verwehrt blieb. 1985 kam er das erste Mal nach Mallorca. „Zuvor war ich mit den Kindern immer auf Teneriffa im Trainingslager. Ich dachte mir, es müsste doch auch ein näheres Ziel geben.“ Max Hürzeler war zu jener Zeit dabei, die Insel für den Radsport zu entdecken. Der Urlauber quartierte sich in Santa Ponça ein. „Damals bin ich aber der von mir trainierten Radgruppe meines Sohnes im Auto hinterhergefahren.“

In den Jahren darauf probierte der Radfahrer verschiedene Hotels aus, ehe er sich komplett auf das Bahía del Sol festlegte. „Die Lage ist ideal. Ich kann in den Bergen, aber auch durch das Flachland fahren“, sagt Winter, der dann wieder selbst in den Sattel stieg. Ausdauersport, Schlaf und Ernährung seien für seine beachtliche Gesundheit im hohen Alter verantwortlich. „Ich bin Flexitarier, also ein Vegetarier, der hin und wieder Hühnchen isst.“ Besonders Rohkost habe es ihm angetan, meint er und spricht wie ein Ernährungsberater über die Mengen der unterschiedlichen Vitamine, die sein Körper benötige.

Ich habe es einmal im September versucht. Da war es mir aber noch zu warm und schwül. Am Strand zu liegen ist nicht meins

Drei Monate im Frühjahr, drei Wochen im Oktober – so lautet sein Mallorca-Jahresprogramm. „Ich habe es einmal im September versucht. Da war es mir aber noch zu warm und schwül. Am Strand zu liegen ist nicht meins“, sagt der 86-Jährige. Bis zu 140 Kilometer sind seine Strecken lang. „Am Anfang pausiere ich alle zwei Tage. Danach erhöhe ich Stück für Stück das Pensum. Wenn ich 2.000 Kilometer in den Beinen habe, dann beginnt der Spaß.“

Dabei ist der 86-Jährige die meiste Zeit allein unterwegs. „Meine Frau begleitet mich nur am Anfang ein paar Tage, danach muss sie sich um den Hund kümmern. Der kommt an erster Stelle, danach die Enkel und ganz am Ende ich“, sagt er und lacht. Als Langzeiturlauber finde er aber schnell Anschluss im Hotel, und immer wieder kämen ihn Freunde besuchen, die mit ihm Rad fahren. Ansonsten liest er viel Zeitung und schaut sich Radrennen an.

Hotelzimmer nach ihm benannt

Im vergangenen Herbst fand sein Leben beinahe ein jähes Ende. Winter war mit einem Freund in Calvià unterwegs. Bei einer Abfahrt wollte er seinem Begleiter berichten, dass er an dieser Stelle einmal beinahe wegen eines Ferkels gestürzt ist. „Kaum schaue ich rüber zu ihm, werde ich unkonzentriert und fahre mit 45 Sachen gegen einen Stein“, erzählt er. Wie eine Rakete durchbricht er mit dem Kopf einen Zaun. „Das hat den Sturz gebremst und mir wohl das Leben gerettet.“ Neun Rippen und die Schulter brachen. Der Deutsche verbrachte neun Tage im Krankenhaus. „Die Hotelangestellten haben mich täglich besucht.“

„Wir dachten, dass wir ihn nie wiedersehen“, meint Hotel-Eigentümer Rolf Seelige-Steinhoff. Umso größer war die Freude, als der Opa putzmunter diesen Februar wieder auftauchte. Zum Dank für die langjährige Treue benannte der Hotelchef das Zimmer, in dem der 86-Jährige sich immer einquartiert, in „Winter-Suite“ um. Der Geehrte sagt: „Bis ich 90 bin, will ich noch Rad fahren. Danach schauen wir weiter.“

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