Gebärdendolmetscherin auf Mallorca: Ana Amate ist von klein auf darin geübt

Als kleines Mädchen begleitete Ana Amate ihre gehörlosen Eltern zu Ärzten und Terminen. Nun dolmetscht sie für andere Taube

Taube, die von Gebärdendolmetschern bei Arztterminen und Co. begleitet werden wollen, können sich bei Mallorcas Sozialbehörde IMAS melden.

Taube, die von Gebärdendolmetschern bei Arztterminen und Co. begleitet werden wollen, können sich bei Mallorcas Sozialbehörde IMAS melden. / DPA

Simone Werner

Simone Werner

„Essen“, „schlafen“, „Mama“, „Papa“: Noch bevor Ana Amate als Kleinkind sprechen lernte, konnten sie mit ihren Eltern per Hand- und Fingerzeichen kommunizieren – wobei diese anfangs wohl noch nicht mit denen der offiziellen Gebärdensprache (lengua de signos) auf Spanisch oder Katalanisch übereinstimmten. Ab wann das der Fall war, weiß die mittlerweile 50-Jährige nicht mehr. Sowohl der Vater der Mallorquinerin als auch ihre Mutter sind taub. Das war nicht von Geburt an so. „Mein Vater konnte zunächst sprechen. Nach der Behandlung einer Hirnhauterkrankung wurde er plötzlich taub“, erzählt Amate. Ihre Mutter sei als Baby in den Armen einer Nachbarin die Treppe heruntergefallen. In der Folge verlor auch sie das Gehör.

Amates Eltern lernten sich im balearischen Verein für Taube kennen. Gegründet hat ihn eine Frau namens Margalida Jofre. Die Mallorquinerin machte sich Anfang der 40er-Jahre des vorigen Jahrhunderts auf die Suche nach den Gehörlosen auf der Insel und gründete 1942 einen ersten Verein (Asociación de Personas Sordas de Mallorca). „Auch meine Eltern hatte sie dafür kontaktiert“, erinnert sich Ana Amate. „Fast alle tauben Paare haben sich damals über den Verein kennengelernt.“

Im Verein aufgewachsen

Ana Amate wiederum knüpfte dort schon von klein auf Kontakt mit anderen Kindern gehörloser Eltern. „Gebärdensprache ist meine Muttersprache. Per Handzeichen zu kommunizieren, hat mir schon immer gefallen“, betont sie immer wieder. Obwohl sie zwei Brüder hatte, war sie es auch, die ihre Eltern schon in jungen Jahren zum Arzt begleitete und dort übersetzte, oder ihnen mitteilte, was die Nachrichtensprecherin im Fernseher gesagt hatte.

Gebärdensprache im Alltag

Gebärdensprache war in ihrem Alltag so präsent, dass Außenstehende oft dachten, sie selbst sei gehörlos. „Armes Mädchen, sie ist taub“, das habe sie im Bus oder auf der Straße oft gehört. Doch Ana Amate machte es nichts aus, dass sie und ihre Eltern ständig auffielen. Irgendwie gefiel ihr die Aufmerksamkeit und das Gefühl, anders als die anderen zu sein, sogar. „Mittlerweile sieht man Gebärdensprache viel häufiger im Fernsehen oder bei Veranstaltungen. Damals war es noch eine Besonderheit“, sagt sie.

Manchmal gab das selbstbewusste kleine Mädchen auch Kontra: „Nicht ich bin taub, meine Eltern sind es.“ Ebenso erinnert sich Amate an manche Situation, in der sie die Gehörlosigkeit ihrer Eltern ausnutzte. Über Drohungen von Lehrern, bei der Familie zu Hause anzurufen oder ihre Eltern woanders sprechen zu wollen, konnte sie nur lachen. „Meine Eltern haben zu Hause nie das Telefon abgenommen. Auch im persönlichen Gespräch hätte ich ihnen alles Mögliche übersetzen können“, sagt Amate, deren Ex-Partner, der Vater ihrer Kinder, ebenfalls gehörlos ist.

Gebärdensprache ist Ana Amates Muttersprache.

Gebärdensprache ist Ana Amates Muttersprache. Das Zeichen links ist international und bedeutet „Ich liebe dich“ / Bendgens

„Es war Berufung“

Aus dem Gebärdensprachdolmetschen im häuslichen Rahmen wurde dann wie automatisch Amates Beruf. „Es war Berufung“, ist Amate überzeugt. Ende der 90er-Jahre war sie als Gebärdendolmetscherin zunächst einige Jahre lang im Verein für Taube tätig. 2005 wechselte sie dann zur Sozialbehörde des Inselrats (IMAS). „Das war spanienweit die erste Institution, die ab 2003 einen eigenen Gebärdensprachdolmetscher-Service hatte“, betont Amate. In diesem Jahr feiert der Dienst 20-jähriges Bestehen. Anfangs arbeiteten nur Ana Amate und eine weitere Kollegin dort. „Es gab auf Mallorca damals keine anderen Gebärdensprachdolmetscher und auch keine Ausbildung dafür“, erinnert sich die Mallorquinerin.

Irgendwann rückten dann jüngere Kollegen nach, die auf dem Festland einen Abschluss im Gebärdendolmetschen oder der Begleitung von Tauben und Taubblinden gemacht hatten. Doch zumindest einigen hatte Amate etwas voraus: Sie ist coda (child of deaf adults), also ein hörendes Kind von gehörlosen Eltern. Obwohl sie die Gebärdensprache in die Wiege gelegt bekommen hatte, studierte sie sie in Granada auf Distanz und machte einen offiziellen Abschluss.

So sieht ein typischer Arbeitstag aus

Als intérprete de lengua de signos in der Sozialbehörde durchlebt Ana Amate nun schon seit 18 Jahren viele Situationen, die sie als Kind mit ihren Eltern erlebte: Sie begleitet Taube oder Taubblinde zu Arztterminen, zum Gericht, komplizierteren Käufen wie dem eines Autos, zu Schul- oder Anwohnerversammlungen, Operationen, Beerdigungen, Hochzeiten oder Geburten. „Oft erfahre ich als Erste, wenn eine Nutzerin schwanger ist, aber leider auch, wenn ein Arzt jemandem eine schwere Erkrankung diagnostiziert“, sagt Amate.

Viele Gehörlose würden dann schon an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie gute oder schlechte Neuigkeiten überbringen werde. „Es sind teils schwere Momente“, sagt Ana Amate. Eine Frau etwa habe sie von der Diagnose Brustkrebs an durch die ganze Therapie begleitet. „Ich kenne dann intimste Details – dass mir jemand ein solches Vertrauen entgegenbringt, ist eine große Verantwortung“, sagt Amate. Eine weitere Besonderheit an der Arbeit der Palmesanerin: Viele Gehörlose, die sie betreut, kennen sie durch den Verein bereits seit ihrer Geburt. „Sie haben mich aufwachsen sehen. Nun sehe ich, wie viele von uns gehen“, sagt sie.

Katalanisch und Spanisch

Neben diesen harten Momenten gebe es auch wiederkehrende Ärgernisse. Ärzte oder Mitarbeiter einer Behörde, die Amate alles erklären, damit sie es den Betroffenen später zusammenfasst. „Dabei wollen die meist keine Zusammenfassung, sondern alles wissen.“ Gehörlose sollten eigentlich sogar entscheiden können, ob das Gegenüber auf Katalanisch oder Spanisch sprechen soll. „So können Sie die Person anhand der Lippenbewegungen besser verstehen.“ Seit September ist das nunmehr aus zwei Männern und zwei Frauen bestehende IMAS-Team nach Ankündigung bis zum Mittwoch davor auch am Wochenende im Einsatz. 2022 haben sie 2.453 gehörlose Menschen betreut.

Hilfe für Taube und Taubblinde: Servicio de Interpretación de Signos del IMAS: Mo.–Fr. 8 bis 20 Uhr (Wochenende nach Ankündigung), Telegram: 648-65 69 48, E-Mail: llenguadesignes@imas.conselldemallorca.net, https://www.imasmallorca.net/ca/unprograma/143

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