Grün ging es auch bislang schon in Lloseta zu – zumindest in optischer Hinsicht. Der Konzern Cemex ließ das Zementwerk in dem Ort bei Inca grün anstreichen. Doch trotz der Camouflage hebt sich die inzwischen stillgelegte Anlage mehr als deutlich von der Kulisse der dahinter liegenden Tramuntana ab, und die Fabrik ist nach wie vor ein Symbol für die von fossilen Brennstoffen abhängige Industrie.

Seit Jahresbeginn jedoch hat das grüne Etikett durchaus seine Berechtigung: Eine Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff hat ihren Betrieb aufgenommen. Oder, wie es die balearische Linksregierung in ihrer Pressemitteilung pünktlich zu Weihnachten formulierte: „Die Balearen produzieren die ersten grünen Wasserstoffmoleküle in Spanien und im Süden von Europa.“ Noch ist es ein Probebetrieb. In der zweiten Januarhälfte werde die Justierung abgeschlossen, im Februar sei die Anlage dann voll betriebsfähig, so Antón Martínez, zuständiger Abteilungsleiter beim Konzern Enagás. Nach und nach soll die Produktion auf jährlich mehr als 300 Tonnen hochgefahren werden.

Dass sich etwas verändert hat, zeigt ein Solarpark direkt neben dem Betrieb. Er liefert, neben einer weiteren Fotovoltaikanlage bei Petra, die nötige erneuerbare Energie, damit der erzeugte Wasserstoff auch als grün bezeichnet werden kann. Die eigentliche Anlage für die Elektrolyse dagegen ist noch unscheinbar – auf einem Pressefoto ist eine Art kompakter Container auf einem Betonfundament zu erkennen. Ihn sich vor Ort anzuschauen, ist noch nicht möglich, die Pressestelle des balearischen Industrieministeriums verweist auf Sicherheitsvorkehrungen, die erst noch geregelt würden. Die Wasserstoffanlage soll auf dem Cemex-Gelände rund 4.000 Quadratmeter einnehmen.

Europaweite Schlagzeilen

Schon vor Produktionsstart ist es der Landesregierung gelungen, europaweit Schlagzeilen zu machen. „Das ist der Europäische Green Deal für die Bürger in der Praxis“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Herbst vergangenen Jahres über das Mallorca-Projekt. Die Erwartungen sind hoch: In dem Projekt haben sich neben Cemex die Konzerne Acciona Energía und Enagás mit der öffentlichen Hand zusammengetan. Die Landesregierung steuert 3,75 Millionen Euro bei, die Zentralregierung über das Energieinstitut IDAE 3,75 Millionen Euro, die EU zehn Millionen Euro – insgesamt werden knapp 50 Millionen Euro mobilisiert.

Energiewende, Innovation, neue Jobs am alten Industriestandort – der Linksregierung ist mit dem vor inzwischen vier Jahren eingefädelten Projekt „Power to Green Hydrogen Mallorca“ ein medialer Coup gelungen. Dabei sei das Projekt von Lloseta „nur die Spitze des Eisbergs“, so der balearische Generaldirektor für Energie, Pep Malagrava. Es füge sich ein in eine globale Strategie, mit der man zum Vorreiter in Sachen Innovation und Energiewende werden wolle.

Schlüsseltechnologie

Dabei ist die Technologie der Elektrolyse an sich nicht neu, sie existiert bereits seit rund 150 Jahren: Mithilfe von elektrischem Strom wird Wasser – im Fall von Lloseta voraussichtlich knapp 13.000 Kubikmeter jährlich – in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Zum Einsatz kam die Elektrolyse bisher beispielsweise in der Raumfahrt. Neu ist jetzt die Kombination mit erneuerbaren Energien, die Stichworte lauten Dekarbonisierung und Klimaneutralität. „Wir können viele Anwendungsbereiche elektrifizieren und dabei durch erneuerbaren Strom dekarbonisieren, aber nicht alle Bereiche“, erklärt Experte Marc-Simon Löffler (s. Interview re.). „Etwa im Schwerlastverkehr und im Flugverkehr, aber auch in der Stahlindustrie und in der Zementindustrie kommt der Wasserstoff ins Spiel. Anders wird man die Klimaschutzziele in diesen Bereichen nicht erreichen können.“

Bei der Energiewende hat Mallorca noch einen weiten Weg vor sich. Der Anteil erneuerbarer Energien bei der Produktion auf den Inseln nimmt zwar schnell zu, aber noch auf niedrigem Niveau, von zuletzt drei auf fünf Prozent. Da aber derzeit zahlreiche Solarparks entstehen und Fotovoltaikanlagen massiv gefördert werden, peilt die Landesregierung schon für Ende 2023 einen Anteil von mehr als 20 Prozent an. Das Fernziel für 2050 lautet 100 Prozent – so gibt es das Landesgesetz zum Klimaschutz vor.

Ökosystem erneuerbaren Wasserstoffs

Die weitere Steigerung der Produktion in Lloseta wird auch davon abhängig sein, wie schnell der erzeugte Wasserstoff vertrieben werden kann. Geplant ist ein „Ökosystem erneuerbaren Wasserstoffs“, wie es Martínez formuliert. Konkret sollen Busse von Palmas Verkehrsbetrieben und Lkw an einer hidroginera betankt werden. Die Gemeinde Lloseta soll den Wasserstoff auf der Basis von Brennstoffzellen für die Versorgung von Geschäften und öffentlichen Gebäuden mit Energie und Wärme nutzen.

Im Bereich Gebäudeklimatisierung ist zudem auch die Hotelkette Iberostar mit an Bord. Und dann wäre da Palmas Hafen: So sollen in Zukunft Schiffe, die Mallorca ansteuern, mit Wasserstoff aus Lloseta betankt werden, konkret wird auf eine Kooperation etwa mit der Reederei Baleària verwiesen, mit der man Machbarkeitsstudien plane.

Pipeline und Trailer

Den in Lloseta produzierten Wasserstoff sollen dann spezielle Trailer transportieren. Auch der Konzern Redexis soll sich am Transport beteiligen: Er betreibt auf den Balearen bereits jetzt rund 1.200 Kilometer Gaspipeline, an die auch viele Tourismuszonen angeschlossen sind. Nun soll Redexis die nötige Infrastruktur entwickeln, um den gasförmigen Wasserstoff ebenfalls über dieses Netz zu transportieren, wie Martínez erklärt.

Mit höherer Nachfrage werde dann auch die Produktionskapazität hochgefahren, so Belén Lineres, Leiterin Energie-Innovation bei Acciona. Und um von Anfang an transparent zu machen, dass der Wasserstoff auch wirklich „grün“ ist, soll ein Online-Portal mit Namen GreenH2Chain zum Einsatz kommen: „Mit dieser auf Blockchain-Technologie basierenden Plattform lässt sich die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette überprüfen und visualisieren“, erklärt Lineres. Von der Produktion bis hin zum Verbrauch werde sich der gesamte Prozess in Echtzeit verfolgen lassen.

Ein idealaer Standort

Mallorca sei ein idealer Standort, um das erste Wasserstoffzentrum in Südeuropa zu entwickeln und damit „das erste europäische Beispiel für eine Inselwirtschaft auf der Grundlage von grünem Wasserstoff“ zu werden, so Martínez von Enagás. So würden auch Studien und Geschäftsmodelle entwickelt, mit denen sich das Projekt auf andere Inseln in und außerhalb der EU übertragen lassen soll. Das internationale Konsortium, das man dafür gebildet habe, umfasse 30 Partner in elf Ländern aus Industrie, Wissenschaft und Politik. Das Mallorca-Modell soll Schule machen – auf Madeira (Portugal), Teneriffa, Aran (Irland), den griechischen Inseln sowie Ameland (Holland).

Marc-Simon Löffler. | FOTO: PRIVAT Frank Feldmeier

Interview mit Marc Simon Löffler

"Dier Herausforderung ist, das Ganze auf großer Skala umzusetzen"

Der promovierte Chemiker Marc-Simon Löffler ist Fachgebietsleiter am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).

Hat die Anlage in Lloseta Pilotcharakter in Europa?

Es handelt sich offensichtlich um eine Anlage im kleineren Megawattleistungsbereich. Das ist nichts Neues. Allein in Deutschland gab es in den vergangenen zehn Jahren 20 bis 30 solcher Anlagen.

Eine Produktionsmenge von 300 Tonnen Wasserstoff im Jahr ist also nicht schwindelerregend?

Nein. Das sind Standardproduktionsmengen, die auch schon andere Pilotanlagen produziert haben. Das Thema der Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien ist bereits seit etwa zehn Jahren aktuell. Die bislang gebauten Anlagen sind an verschiedene Energieerzeuger angebunden, Wind, Wasserkraft, Fotovoltaik oder Netzstrom.

Welche vergleichbaren Anlagen mit Pilotcharakter gibt es in Deutschland?

Wir sind selbst an einer Anlage beteiligt, die an einem Wasserkraftwerk in Grenzach-Wyhlen am Hochrhein läuft. Sie ist seit 2019 in Betrieb, hat eine Leistungsklasse von einem Megawatt und kann 200 Tonnen Wasserstoff im Jahr produzieren. Die Audi-E-Gas-Anlage im norddeutschen Werlte läuft bereits seit 2013. Sie produziert noch mehr Wasserstoff, der wird allerdings direkt für die Erzeugung von erneuerbarem Methan genutzt. Solche Anlagen mit wenigen Hundert Tonnen pro Jahr, entsprechen dem Pilotcharakter der vergangenen Jahre. Bei den Anlagen, die jetzt entstehen werden, soll die Leistungsklasse deutlich nach oben skaliert werden, etwa um den Faktor 10 bis 100.

Dann wären wir schon bei 30.000 Tonnen im Jahr …

Ein Stichwort wäre Wasserstoff in der Stahlindustrie, etwa bei Thyssenkrupp. Im Rahmen der sogenannten Reallabore der Energiewende des Bundeswirtschaftsministeriums sollen in den kommenden Jahren großskalige Wasserstoffanlagen gebaut werden.

Wo liegen angesichts der Erfahrungen  in Deutschland die Hindernisse, die in der Praxis auch auf Mallorca überwunden werden müssen?

Da ist zum einen die Finanzierung. Eine Reihe von Pilotanlagen war in Förderprojekte eingebettet und wurde wieder stillgelegt. Bis vor Kurzem gab es noch keinen wirklichen Markt für grünen Wasserstoff. Und das wird auch bei Ihrer Anlage auf Mallorca der kritische Punkt sein. Wer nimmt den Wasserstoff ab? Wie viel wird dafür bezahlt? Funktioniert das Projekt auch ohne staatliche Subventionen?

Wie realistisch ist es also, den Wasserstoff für Lkw, Busse oder die Gebäudeklimatisierung einzusetzen?

Meiner Erfahrung nach liegt derzeit im Bereich der Mobilität der einzige Weg für echte Wirtschaftlichkeit. Denn man kann ernsthaft mit den heutigen Benzin- und Dieselpreisen konkurrieren und relativ viel für den Wasserstoff erwirtschaften. Im Wärmesektor dagegen konkurriert man gegen Wärmepreise, und da bekommt man sehr wenig für den Wasserstoff. Sinnvoll ist es aber, die Prozessabwärme zu nutzen. Man muss bedenken, dass bei der Produktion etwa 70 Prozent Wasserstoff und 30 Prozent Verlustabwärme entstehen.

Wie sinnvoll ist der Bau einer Pipeline zur Verteilung des Wasserstoffs im Fall der Anlage hier auf der Insel?

Angesichts der Leistungsklasse, die auf Mallorca geplant ist, wäre es sinnvoll, den Wasserstoff an einer Tankstelle abzugeben, also in Lkw oder Busse zu vertanken. Dann braucht man keine Pipeline. Entstünden mehrere Erzeugungsanlagen und Tankstellen oder sonstige Wasserstoffabnehmer auf Mallorca, könnte eine Pipeline sinnvoll sein.

Wie viel Potenzial sehen Sie also?

Die Elektrolyse-Technologie funktioniert, auch die Anlage auf Mallorca wird funktionieren. Die Herausforderung ist, das Ganze auf großer Skala umzusetzen, also wirklich Wasserstofffabriken aufzubauen oder die Anlagen sinnvoll in die Energiesysteme vor Ort zu integrieren. Es wird sicherlich ein spannendes Projekt, um das Thema zu etablieren. Es geht ja immer auch um die Akzeptanz in der Bevölkerung, sie muss mit der Technologie in Berührung kommen. Dafür sind solche Pilotprojekte sehr wichtig. Aber um dann signifikant etwas umsetzen zu können, wird das nicht die einzige Anlage bleiben können. Auf dem spanischen Festland passiert auch sehr viel, weil dort sehr günstige Wind- und Fotovoltaikbedingungen herrschen. Da werden aus meiner Sicht bald auch große Wasserstoffanlagen entstehen.