Wie benachteiligten Jugendlichen auf Mallorca Selbstvertrauen und Umweltschutz beigebracht wird

Eine Gruppe benachteiligter Jugendlicher lernt bei einem Wochenende der NGO Cleanwave achtsamer mit der Umwelt umzugehen – und sich ihren Ängsten zu stellen

Von links: Xisco, Ainhoa, Lucía, Emely, Juanga und Daniela beim Social Weekend in Cala Sant Vicenç. | FOTOS: MARLENE WEYERER

Von links: Xisco, Ainhoa, Lucía, Emely, Juanga und Daniela beim Social Weekend in Cala Sant Vicenç. | FOTOS: MARLENE WEYERER / Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

Lucía hat so viel Angst, dass sie schon fast am Weinen ist. „Ich kann das nicht“, sagt sie mit schriller Stimme und blickt die Felswand an, die sie hochklettern soll. Die 13-Jährige schüttelt entschieden den Kopf. Keine zehn Minuten später kraxelt sie dann aber gut abgesichert den Felsen an der Cala Sant Vicenç entlang. Sie kann es also doch. Einige Freundinnen feuern Lucía von unten an, andere beginnen ihrerseits zu zittern, weil sie als Nächste dran sind.

Die Sozialpädagogin Pilar Gómez, die an diesem Wochenende auf die Heranwachsenden aufpasst, überwacht das wuselige Auf und Ab zufrieden. „Normalerweise sind diese Jugendlichen bei solchen Freizeiten immer außen vor, weil es zu teuer ist“, erklärt sie. Die 14-jährige Emely erzählt zum Beispiel aufgeregt, dass sie noch nie in ihrem Leben mit Ausrüstung geklettert ist – wobei sie es eigentlich auch nicht wirklich probieren will.

Cleanwave-Stiftung will Umweltschutz durch Bildung vorantreiben

Die auf Mallorca von den Event-Spezialisten Philipp Baier und Line Hadsbjerg gegründete Cleanwave-Stiftung ist vor allem wegen ihres Kampfes gegen Einwegplastik sowie ihre Trinkbrunnen und nachfüllbaren Flaschen bekannt. Sie hat aber auch noch andere Projekte am Start, will den Umweltschutz etwa durch Bildung vorantreiben. So veranstaltet Cleanwave Wochenenden, bei denen Jugendliche lernen sollen, pfleglich mit der Natur umzugehen.

Ainhoa wird bei dem Social Weekend von Cleanwave abgeseilt.

Ainhoa seilt sich ab. / Marlene Weyerer

Normalerweise kosten diese Freizeiten 180 Euro, die fünftägigen Sommercamps rund 400 Euro. Das könnten sich nur die Eltern von Kindern aus der oberen Mittelschicht leisten, sagt Pilar Gómez. „Dabei ist Umweltschutz doch die Aufgabe von uns allen.“ Daher auch die sogenannten Social Weekends. An diesem Wochenende ist es durch die deutsche Steuerkanzlei PlattesGroup finanziert. „Wir würden gerne mehr dieser Freizeiten organisieren“, sagt Gómez. Cleanwave ist daher immer auf der Suche nach Spendern.

Sozialämter vermitteln Jugendliche

Die Jugendlichen werden dafür von den Sozialämtern verschiedener Gemeinden vermittelt. Sie kommen meist aus schwierigen Verhältnissen, haben nur wenig Bezug zur Natur. „Manche Jugendliche haben nur ein paar Mal in ihrem Leben überhaupt das Meer gesehen, und das, obwohl sie auf einer Insel wohnen“, erzählt Gómez. Abgesehen von einem Gefühl für die Natur, sollen sie an diesem Wochenende auch ein Gefühl für sich selbst bekommen. „Wenn ich nicht gelernt habe, mich selbst zu respektieren, kann ich nicht die Welt um mich herum respektieren“, sagt Gómez.

Auch Ainhoa ist inzwischen geklettert. Die 13-Jährige aus Santa Maria zittert danach immer noch leicht. Dieses Mal vor Adrenalin statt vor Angst. Sie und Lucía zählen auf, wovor sie sich alles fürchten: Höhen, Dunkelheit, Spinnen, Schlangen. „Ich gehe an viele Orte nicht hin, weil ich so Angst vor allem habe“, gibt Ainhoa zu. „Aber wenn man es ausprobiert, ist es gar nicht so schlimm.“

Evelyn bekommt beim Social Weekend der Organisation Cleanwave letzte Anweisungen.

Emely bekommt letzte Anweisungen. / Marlene Weyerer

Am Ende haben es alle geschafft. Doch hochklettern war nur der Anfang. Kurz darauf fangen die Mädchen erneut an zu kreischen und zu zittern, die Jungs blicken sich beunruhigt an. Nun sollen sie sich an einer steilen Felswand abseilen.

Neben Gómez passen die beiden 15-jährigen Mädchen Paz und Giulia auf die Jugendlichen auf. Zudem ist bei jeder Aktivität ein Trainer dabei. Beim Klettern ist das Xisco Nicolau vom Sportaktivitäten-Anbieter Món d’Aventura. Nicolau sichert die Jugendlichen beim Abseilen ab. „Du hältst mich ganz sicher fest?“, fragt der 14-jährige Mohammed. „Ich halte dich – und du sicherst dich selbst ab“, antwortet Nicolau ruhig. Der Junge sieht den Mann alles andere als überzeugt an. Aber lässt sich dann tatsächlich fallen.

Yoga und Müll sammeln

Mohammed ist der Größte der Gruppe und der Erste bei dieser Aktivität. Unten angekommen wartet er, um den Kleineren beim Rückweg über die Felsen zu helfen. „Einige dieser Jugendliche gelten in der Schule und in ihren Dörfern als Problemfälle, als aggressiv und schwer zu integrieren“, erklärt Pilar Gómez. Sieht man die Jugendlichen an diesem Wochenende, ist das schwer zu glauben. Sie albern herum, kichern und hören auf die Erwachsenen – zumindest größtenteils. „Hier geht es ausnahmsweise nur um sie, da müssen sie nicht anders Aufmerksamkeit erregen“, sagt die Sozialpädagogin.

Nach dem abenteuerlichen Nachmittag am Strand wandern die Jugendlichen zusammen mit Gómez und den beiden Helferinnen auf den Puig de Maria. Dort machen sie Yoga und schlafen in der Herberge. Auch hier geht es wieder darum, ein Gefühl für ihren Körper und für die Natur zu bekommen. Am Sonntag steht dann das Programm zum Umweltbewusstsein an: Sie lernen anhand von Videos, wie Tiere im Meer unter Plastikabfällen leiden, müssen sich selbst aus einer Plastikfalle retten und sammeln auf dem Heimweg Müll am Puig de Maria auf.