Wie Meeresschützer das Neptungras vor Mallorca retten wollen

Das Projekt MedGardens will zerstörte Neptungraswiesen vor den Küsten von Mallorca wieder aufforsten. Die MZ war auf einem Tauchgang mit dabei

Unter der Posidonia bilden sich dicke Schichten aus Schlick und Biomasse.

Unter der Posidonia bilden sich dicke Schichten aus Schlick und Biomasse. / José Escaño

Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

Das Büro von José Escaño ist noch nass vom Vortag. Das erschwert es, sich hineinzuzwängen. „Büro“, so nennt der Meeresbiologe seinen Neoprenanzug. Er verbringe mehr Zeit im Wasser als am Schreibtisch, sagt er. Escaño leitet das Projekt MedGardens der Stiftung Cleanwave. Es geht darum, die Meeresflora vor Mallorca zu pflegen. Hauptsächlich durch den Schutz bedrohter Gebiete, aber auch durch das Pflanzen von Neptungras und Algen. „Wir gärtnern wortwörtlich im Meer“, sagt Escaño.

Draußen wärmt an diesem Freitag (17.2.) zwar die Sonne, aber der Wind ist noch winterlich kühl. Dementsprechend eisig ist es auch, in einen nassen Neoprenanzug zu steigen. Aber das Meer hat in der Cala Reina bei Sant Elm in der Gemeinde Andratx etwa 14 Grad, da werden eineinhalb Stunden im Wasser ohne Neoprenanzug schwierig. „Ich bin das ja gewohnt“, sagt Escaño, während er sich den nassen Stoff über die Schultern zieht.

Außerdem ist der Mallorquiner Sohn einer Dänin. Da liege eine gewisse Frostfreiheit im Blut. Der Italiener Moreno Tabarro, der heute beim Tauchgang dabei ist, schüttelt darüber nur den Kopf. „Mir wird immer sehr leicht kalt“, erklärt er. Deswegen hat er einen Taucheranzug dabei, bei dem er fast komplett trocken bleibt.

Moreno Tabarro (li.) und José Escaño vor ihrem Tauchgang

Moreno Tabarro (li.) und José Escaño vor ihrem Tauchgang.

Das MedGarden-Team besteht neben José Escaño aus den beiden Meeresbiologinnen Tati Benjumea und Laura Royo Marí. Um ihre Projekte durchzuführen, sind sie aber auf Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Hier kommt Tabarro ins Spiel. Der Italiener arbeitet als Tauchlehrer, ist also ein Unterwasserprofi. „Ich bin kein klassischer Umweltschützer, sondern tauche nur sehr gern“, erzählt er. Durch die viele Zeit unter Wasser sei ihm die Verschmutzung der Meere bewusst, aber auch der Artenreichtum der Balearen. „Viele Menschen, die mit mir tauchen gehen, erwarten kaum noch, Fische zu sehen“, sagt Tabarro. „Das ist doch traurig.“

Neptungras (Posidonia oceanica) ist ein wichtiger Faktor für die Artenvielfalt im Meer vor Mallorca. Denn viele Fische leben in den Wiesen oder ihrem dichten Wurzelwerk. Zudem sorgt die posidonia, wie sie auch auf Spanisch genannt wird, für sauberes Wasser und wirkt als Kohlendioxid-Speicher. Sie wandelt nicht nur wie die meisten Pflanzen CO₂ in Sauerstoff um, sondern speichert in ihrem Wurzelsystem Schlick, Sedimente und weiteres Kohlenstoffdioxid. Jeder Hektar Seegraswiese speichert laut Forschern 1.600 Tonnen Kohlenstoffdioxid, etwa so viel wie 1.000 Autos in einem Jahr ausstoßen.

Das gefährdet die Posidonia vor Mallorca

Die Balearen profitieren davon, sehr große Seegraswiesen zu haben. 65.000 Hektar, die Hälfte der Neptungras-Vorkommen Spaniens, liegen um die Inselgruppe verteilt. Doch jedes Jahr werden im Mittelmeer ein bis fünf Prozent der Seegraswiesen zerstört. Grund sind verunreinigtes Wasser und Anker, die die Wiesen aufreißen. Gleichzeitig setzt die steigende Meerestemperatur den Wiesen zu.

Mit dem Projekt MedGardens erkundet Cleanwave Wege, um diesen Verlust zu stoppen. Das Projekt ist noch jung, los ging es erst 2020. Bisher arbeiten das Team und ihre freiwilligen Helfer an drei Standorten: Formentor, Portocolom und eben Cala Reina. Während in Formentor und Portocolom bereits seit Herbst und Winter 2022 die ersten Pflänzchen neu wachsen, soll in Cala Reina demnächst die „Gartenarbeit“ beginnen. Doch dafür bedarf es Vorbereitung.

Die NGO Cleanwave pflanzt Neptungras nach.

Die NGO Cleanwave pflanzt Neptungras nach. / Silvia Mus

Also los. Tabarro und Escaño tauchen einen zuvor abgesprochenen Bereich ab, Tabarro hat dabei die Koordinaten im Blick und gibt die Richtung an, denn unter Wasser ist Orientierung alles andere als leicht. Das Neptungras unter ihnen bewegt sich im ruhigen Wasser wie in einem gemächlichen Tanz, hin und wieder schwimmen kleine und große Fische vorbei. Die beiden Taucher sind auf der Suche nach ungefähr vier Quadratmeter großen, abgestorbenen Posidonia-Flächen, die sich zum Nachpflanzen eignen.

In der jetzigen Pilotphase probiert Cleanwave verschiedene Methoden aus, um das Neptungras anzupflanzen. Dafür sammeln sie erst gesunde Exemplare, die wegen natürlicher Umstände wie Meeresströmungen oder menschlichen Einwirkungen wie Ankern von ihrer Wiese getrennt wurden. Wenn die noch gesunde Wurzeln haben, bringen die Meeresschützer sie an drei verschiedenen Materialien an: Bambusstäben, Metallstiften und Biofasermatten. Damit bepflanzen sie jeweils einen Quadratmeter. Einen weiteren Quadratmeter lassen sie zur Kontrolle frei. Im März wollen die Wissenschaftler die ersten Ergebnisse von den Pflanzungen vor Formentor und Portocolom analysieren. Geplant ist, in etwa drei Jahren die beste Methode auf größeren Flächen anzuwenden. Cleanwave hofft dafür auf EU-Gelder.

Eine der Methoden zum Nachpflanzen ist es, Posidonia an Metallstäben anzubringen.

Eine der Methoden zum Nachpflanzen ist es, Posidonia an Metallstäben anzubringen. / Silvia Wanderlust

Die Reportage ist dieses Mal zum Mitmachen. Bevor etwas gepflanzt werden kann, muss erst aufgeräumt werden. Sämtliche Gegenstände am Meeresboden, die die Taucher finden, müssen an der Oberfläche direkt darüber per GPS markiert werden. Das übernimmt die schnorchelnde Reporterin. Escaño und Tabarro finden unter Wasser alles Mögliche: Schiffsmotoren, Zementblöcke, Autoreifen, Eisenketten.

Vieles davon sind Überbleibsel ehemaliger Bojen. Die Meeresströmungen bewegen den Meeresmüll, wodurch die umliegende Posidonia geschädigt wird. Dort, wo Zementblöcke ein Loch in die Wiesen geschlagen haben, sieht man die teils meterhohen Wurzelsysteme, in denen die Posidonia CO₂ und Sedimente speichert. „Die markierten GPS-Punkte und die Fotos des Mülls zeigen wir dann der Gemeinde Andratx und bitten darum, eine große Aufräumaktion zu organisieren“, erklärt Escaño, als er sich nach dem Tauchausflug mit einem süßen Tee wieder aufwärmt.

Weniger erfolgreich war an diesem Tag die Suche nach abgestorbenen Lücken in der Wiese, die groß genug zum Nachpflanzen sind. „Wir werden noch einmal mit einem wissenschaftlichen Team die Gegend abtauchen müssen, um uns für die geeigneten Stellen zu entscheiden“, sagt Escaño. Und dann kann das Gärtnern unter Wasser beginnen.

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